Droge GHB in Berliner Clubs - Nur wenige Tropfen zwischen Rausch und Absturz

Als "K.O.-Tropfen" war die Substanz GHB/GBL einst zu trauriger Berühmtheit gekommen. Von Partygängern wird der Stoff immer häufiger als Partydroge benutzt. Berliner Clubs schlagen Alarm und starten Aufklärungskampagnen. Von Sophia Wetzke
Herbst 2019: Jedes Wochenende tropft sich Miriam* die farblose Flüssigkeit mit einer Pipette ins Getränk. "G", wie die Droge in der Szene kurz genannt wird, ist ihr ständiger Begleiter auf Technopartys in Berliner Clubs. Der Rausch: macht selbstbewusst, enthemmt, euphorisiert.
"Für mich war GHB immer ein Mittel, um extrem lange zu feiern und mich dabei extrem lange gut zu fühlen. Meine Feierzeit ist damals von circa zwölf Stunden im Club auf 30 Stunden gestiegen. Ich hab da noch nicht verstanden, wie krass lange das ist und dass man damit nicht noch angeben muss." Nach einer Weile weiß Miriam, wer im Club auch "G" nimmt. Eine eingeschworene Gruppe, der sie sich zugehörig fühlt. Das Risiko macht den Konsum reizvoll.
Die kleine Spanne zwischen gutem Gefühl und Überdosis
Dann kommt der Absturz. Miriam schätzt die Menge in der Pipette falsch ein und dosiert sich über. "Der Türsteher hat mich aus der Toilette getragen. Ich war nicht mehr ansprechbar, habe auf gar nichts mehr reagiert. Im Krankenwagen habe ich dann wohl auch eine Herzdruckmassage bekommen, denn ich hatte davon Abdrücke auf meiner Brust." Miriams Freunde erzählen ihr das alles, als sie am nächsten Tag völlig verwirrt im Krankenhaus aufwacht. Erinnern kann sich Miriam an nichts.
Diese kleine Spanne zwischen Gutfühlen und Blackout – oft nur wenige Tropfen – macht die Droge im Vergleich zu anderen Substanzen zu einem risikoreichen Sonderfall, bestätigt Felix Betzler. Er leitet an der Charité eine Forschungsgruppe zu Partydrogen. "Was GHB so gefährlich macht, ist die Gefahr der Überdosierung, das Abhängigkeitspotential und die Wechselwirkung mit Alkohol", sagt Betzler.
In vielen Clubs wird das Phänomen vernachlässigt
Im Gehirn dockt Gamma-Hydroxybuttersäure an dieselben Rezeptoren wie Alkohol an. Wird neben "G" auch Alkohol getrunken, treten Nebenwirkungen wie Krämpfe, Erbrechen, Bewusstlosigkeit noch schneller auf. Anders als bei anderen Partydrogen besteht bei GHB zudem die Gefahr einer sogenannten Atemdepression: Puls und Atmung fahren so weiter herunter, dass das Herz stehen bleibt.
Im August wird auf der Toilette des Berliner Suicide Club eine junge Irin leblos gefunden, sie stirbt im Krankenhaus an einer Überdosis "G". Jermaine arbeitet als Nachtmanager in diesem Club. "Für uns war das ein Schock, weil wir uns selber auch die Schuld gegeben haben: Hätten wir mehr machen können und so weiter. Uns hat das wachgerüttelt. Nicht nur bei uns, auch bei anderen Clubs und generell in der Kulturszene wurde das Phänomen GHB/GBL viel zu lange vernachlässigt."
Innerhalb von fünf Jahren hat sich der Konsum verfünffacht
Wenn es im Suicide Club in den vergangenen Monaten Notarzteinsätze gab, seien diese so gut wie immer auf "G" zurückgegangen, sagt Jermaine. GHB selbst ist per Betäubungsmittelgesetz verboten, das chemische Vorprodukt ist als GBL aber legal und für wenig Geld zu bekommen. Im Körper wird GBL zum Wirkstoff GHB umgewandelt. Wie verbreitet "G" in Berliner Clubs tatsächlich ist, lässt sich schwer sagen, aktuelle Zahlen gibt es nicht.
Lange war die Substanz eher als Nischendroge in der Szene von Chemsex-Partys und beim queeren Publikum verbreitet, mittlerweile berichten Veranstaltende wie Gäste und auch Drogenaufklärungsstellen von immer mehr Vorfällen in der Technoszene. Die Charité-Forschungsgruppe um Felix Betzler sah bereits vor zwei Jahren eine klare Tendenz, "wenn wir uns die Zahlen von 2015 bis 2019 anschauen, hat sich der Konsum von GHB in dem Zeitraum verfünffacht."
Die Clubs stellt das vor große Herausforderungen: Einerseits müssen sie einen sicheren
Raum für ihre Gäste schaffen, andererseits ist der komplett drogenfreie Technoclub eine Illusion. Rüdiger Schmolke vom Projekt "Sonar" bietet Aufklärungsarbeit zu Substanzgebrauch im Nachtleben an und setzt auf Safer Use statt Verboten. "Selbst in Hochsicherheitstrakten gibt es Substanzen und im Club kriegt man die auch nicht weg, das ist unrealistisch. Unser Gegenvorschlag ist eine klare Schadensminimierung. Wir wollen, dass auch die Clubgänger:innen lernen, dass sie Verantwortung übernehmen können."
Nulltoleranz-Politik sorgt eher für größere Probleme
Eine Nulltoleranz-Politik gegenüber GHB, wie sie der Suicide und viele andere Berliner Clubs bisher gefahren haben, sei mitunter sogar kontraproduktiv, so Schmolke, "wenn die Gäste wissen, sie kriegen lebenslang Hausverbot oder müssen den Club sofort verlassen, wenn rauskommt, dass sie 'G' genommen haben, dann verhindert das natürlich eine effektive Hilfe." Eine Erfahrung, die auch Nachtmanager Jermaine bestätigt: Je strenger der Konsum bei ihm im Club sanktioniert werde, desto häufiger würden Vorfälle vor dem Personal versteckt.
Seit dem Todesfall im eigenen Laden setzt der Suicide Club nun auf Gesprächsrunden und Infoveranstaltungen zum GHB-Konsum. Das Projekt "Sonar" bietet Infostände in Clubs an und schult das Personal in Erster Hilfe. Die Berliner Clubcommission als Interessenvertretung der Nachtgastronomie betreibt Aufklärung per Social Media und hat einen Runden Tisch zum Umgang mit der Droge angekündigt. Außerdem starten die Plattform The Clubmap und der Suicide Club mit Unterstützung diverser Akteure der Szene eine Plakatkampagne.
Dass eine bestimmte Substanz öffentlich so gezielt adressiert wird, ist ungewöhnlich und zeugt von den Problemen, die diese Droge zur Zeit im Nachtleben macht.
Besondere Belastung von Clubpersonal und Freunden
Clubmitarbeiter Jermaine appelliert an die Verantwortung des Einzelnen für eine sichere Party. Wer im Club "G" konsumiert und damit einen Absturz riskiert, handelt seiner Meinung nach egoistisch und zieht alle anderen mit rein. Im Ernstfall müssen Barleute und Türsteher helfen. Und das jedes Wochenende. Die Belegschaft vom Suicide Club steht mittlerweile emotional extrem unter Druck.
"Die Leute kommen rein und geben ihre Verantwortung an der Garderobe ab. An uns, das finde ich schon schlimm genug, weil wir völlig unbekannte Menschen sind. Aber was ich noch viel schlimmer finde, ist, dass man ja seinen kompletten Freundeskreis mit reinzieht. Die werden in eine Situation gebracht, in der sie nie sein wollen und haben im schlimmsten Fall das Leben des eigenen Freundes in der Hand. Wir wollen, dass die Leute Spaß haben, dass sie die Musik zelebrieren und da müssen wir auch wieder hinkommen."
Sendung: Inforadio, 21.11.2021, 10:40 Uhr