Fachkräftemangel in Berlin und Brandenburg - Mehr als 800 Intensivbetten in der Region können nicht genutzt werden

Hunderte Intensivbetten können in Berlin und Brandenburg nicht betrieben werden, weil Fachpersonal fehlt. Manche sind abgewandert, andere in Teilzeit - und viele erkrankt. Die Kliniken warnen: Die Personalnot ist so groß wie nie während der Pandemie. Von Frank Preiss
In Berliner und Brandenburger Krankenhäusern stehen deutlich weniger belegbare Intensivbetten zur Verfügung als noch vor wenigen Monaten. Konnten in Berlin laut Daten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) Mitte Mai noch bis zu 1.438 Intensivbetten [intensivregister.de] betrieben werden, sind es derzeit nur noch 1.087. Nur 8,7 Prozent der betreibbaren Intensivbetten in Berlin waren am 6. Dezember noch frei.
In Brandenburg lag das Maximum an belegbaren Intensivbetten im Juni dieses Jahres bei 1.107 - aktuell liegt diese Zahl laut Divi-Intensivregister bei 622. 15 Prozent der Betten können derzeit noch neu belegt werden.
Damit bestätigt sich in Berlin und Brandenburg der bundesweite Trend. Seit Jahresbeginn seien in Deutschland etwa 4.000 Intensivbetten verlorengegangen, teilte Divi-Präsident Gernot Marx Ende November mit. Grund dafür sei, dass viele Pflegekräfte wegen der Belastungen ihren Beruf beendet oder ihre Arbeitszeit reduziert hätten.
Besonders großer Personalausfall in Brandenburg
Das Groteske an der Situation: Brandenburg und Berlin stehen grundsätzlich deutlich mehr Intensivbetten zur Verfügung, als noch zu Beginn der Pandemie. 686 Millionen Euro investierte der Bund im Frühjahr 2020 nach Ausbruch der ersten Corona-Welle in neue Intensivbetten. "In ganz Brandenburg gab es Anfang 2020 ganze 536 Intensivbetten, inzwischen hat sich diese Zahl nahezu verdoppelt", erklärt der Geschäftsführer der Brandenburger Landeskrankenhausgesellschaft, Michael Jacob, am Dienstag im Gespräch mit rbb|24. Doch aufgrund von Personal-Engpässen und auch neu festgelegter Personal-Untergrenzen seien nur zwei Drittel davon betreibbar.
"Hier ist in manchen Krankenhäusern mehr, in manchen weniger stark Personal verloren gegangen, entweder weil die Beschäftigten komplett aus dem Beruf raus oder in andere Bereiche gewechselt sind", erklärt Jacob. "Der Unterschied zu vorherigen Wellen ist diesmal, dass Kinder stark betroffen sind. Nicht, weil sie in Krankenhäuser müssen, sondern weil ihre Eltern für ihre Kinder in Quarantäne sorgen. Im Pflegeberuf gibt es viele Mütter. Hinzu kommt der Krankenstand unter den Pflegekräften, dabei geht es neben Corona natürlich auch um normale Wintererkrankungen. Daneben führt das diesmal unter Kindern stärker grassierende RS-Virus dazu, dass viele Eltern zuhause bleiben müssen. Wir haben derzeit einen deutlich höheren Personalausfall als noch in den letzten Wellen", so Jacob.
Versorgungslücke in Berlin liegt bei 10 Prozent
Auch die Berliner Kliniken schildern "einen vehementen Rückgang der Versorgungskapazitäten auf Intensivstation von bis zu zehn Prozent infolge von Personalmangel", teilt Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft, auf rbb|24-Anfrage mit. Grund seien Kündigungen und vermehrte Teilzeittätigkeit, daneben Ausfall durch Krankheit und Quarantäne.
Zwar stehen sowohl Berlin als auch Brandenburg Notfallreserven zur Verfügung, die auch schnell in Betrieb genommen werden könnten, betonen sowohl Schreiner als auch Jacob - 323 Intensivbetten in Berlin und 324 in Brandenburg. "Aber dafür müssten wir in den Katastrophenmodus wechseln", betont der Geschäftsführer der Brandenburger Landeskrankenhausgesellschaft, Jacob. "Wir schulen schon länger Kräfte anderer Abteilungen um, die müssten dann dort zum Einsatz kommen müssten. Und andere Einrichtungen wie zum Beispiel Reha-Kliniken müssten ebenso eingebunden werden."
Berlin braucht 10.000 zusätzliche Pflegekräfte
Immerhin - in Berlin wurden im vergangenen Jahr wieder mehr Pflege-Auszubildende registriert, heißt es von der Berliner Landeskrankenhausgesellschaft. "Die weitere Erhöhung der Ausbildungszahlen ist aber trotzdem ein notwendiges Ziel, um den Fachkräftebedarf in der Pflege zu sichern", betont deren Geschäftsführer Schreiner. Allein in Berlin müssten bis 2030 zusätzliche 10.000 Pflegekräfte gewonnen werden, fordert er.
Dabei sei auch und vor allem die Politik gefragt: "Die Politik hat erkannt, dass mehr Einsatz für Pflege erforderlich ist. Das ist auch bei einem Blick in die nun auf Bundes- und Landesebene vorliegenden Koalitionsverträge erkennbar. Allerdings kommt es darauf an, wie die Maßnahmen gemeinsam mit den Krankenhäusern entwickelt und umgesetzt werden", schränkt Schreiner ein.
Pflegekräfte in der Zeitarbeit müssten in die Stammbelegschaft zurückkehren und Pflege im Team Krankenhaus wieder stark machen, so Schreiner: "Und all diejenigen Kräfte, die den Beruf verlassen haben, sollen zurückgewonnen werden. Dazu braucht es jetzt die überzeugende Kraft der Politik."
Ruf nach weniger Bürokratie in Krankenhäusern
Dem schließt sich sein Brandenburger Amtskollege Jacob an. Ihm geht es aber auch um einen spürbaren Abbau der Bürokratie in Krankenhäusern, die deutlich zu viel Personal bündele, das an anderer Stelle fehle. "Die Nachweise über Schichtbelegungen, denen ein gutes Dutzend von Richtlinien zu Grunde liegt, die Strukturprüfungen vom Medizinische Dienst - das alles zieht Unmengen von Material nach sich", kritisiert Jacob.
Mehr Nachwuchs im Pflegebereich kann er derweil in Brandenburg nicht feststellen. "Es gibt aber auch keinen Einbruch bei den Auszubildenden-Zahlen", betont Jacob zugleich. Bemerkenswert sei für ihn in jedem Fall, dass vor allem das Intensivpflegepersonal in den Häusern mit hoher Belastung, beispielsweise in Cottbus und in den anderen südlichen Regionen Brandenburgs, "nach wie vor sehr hoch motiviert ist".
Sendung: Inforadio, 07.12.2021, 23 Uhr