Prozess um Massentötungen - Angeklagter im KZ-Prozess will nur Landarbeiter gewesen sein

Do 02.12.21 | 14:04 Uhr
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Der angeklagte ehemalige KZ-Wachmann sitzt mit seinem Anwalt Stefan Waterkamp im Gerichtssaal. (Quelle: dpa/Fabian Sommer)
Bild: dpa/Fabian Sommer

In einer von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung äußerte sich der 101-jährige Angeklagte im KZ-Prozess in Brandenburg am Donnerstag erstmals zu seiner Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs. Er bestreitet weiterhin, Wachmann gewesen zu sein.

Im Prozess um die Massentötungen von Häftlingen im Konzentrationslager Sachsenhausen hat der Angeklagte am Donnerstag erklärt, von 1941 bis 1945 zum größten Teil als Landarbeiter bei Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) tätig gewesen zu sein.

In einer von seinem Verteidiger zusammengefassten Erklärung äußerte sich der 101-Jährige am Donnerstag erstmals zu seiner angeblichen Tätigkeit in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs. Zuvor hatte er in dem Prozess mehrfach bestritten, als Wachmann der SS in dem KZ tätig gewesen zu sein, wie die Staatsanwaltschaft es ihm vorwirft.

Andere Angaben im Rentenantrag gemacht

Der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann hielt dem Angeklagten vor, dass er bei seinem Rentenantrag im Jahr 1985 für die Zeit von September 1940 bis Mai 1945 "Wehr- und Kriegsdienst" angegeben habe. Dies widerspreche seinen Angaben im Prozess deutlich. Dagegen erklärte der Verteidiger Stefan Waterkamp, der Antrag sei damals bei einer Rentenberatung und nicht von seinem Mandanten persönlich ausgefüllt worden. Dazu bemerkte Lechtermann: "Ich habe ganz erhebliche Schwierigkeiten, Ihnen zu glauben, was Sie hier erzählen."

Nebenkläger-Anwalt Thomas Walther regte an, das Gericht solle eine Psychologin und weitere Sachverständige hören. Damit solle bewiesen werden, dass der Angeklagte seine Beteiligung an der Vernichtung von Leben in dem KZ verleugnet und verdrängt und sich stattdessen eine Scheinwelt aufgebaut habe. Das Gericht entschied zunächst nicht darüber.

Anklage: Beihilfe zum Mord an Tausenden

Laut Anklage soll der heute 101-Jährige als SS-Wachmann in dem KZ von 1942 bis 1945 Beihilfe zum Mord an Tausenden Häftlingen geleistet haben. Die Staatsanwaltschaft stützt sich dabei auf Dokumente zu einem SS-Wachmann mit dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Angeklagten. In dem Prozess hatte auch der Historiker Stefan Hördler zahlreiche Belege zur Tätigkeit dieses Mannes in mehreren SS-Wachkompanien geliefert.

Der Angeklagte war 1941 als sogenannter Volksdeutscher von Litauen nach Deutschland umgesiedelt worden. Zunächst habe er in einer kleinen Firma Ersatzteile für die Wehrmacht hergestellt, hieß es in seiner Erklärung. Anschließend habe er von einem Umsiedlungslager in Pasewalk aus in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet. Zum Kriegsende sei er nach Kolberg abkommandiert worden, um als Zivilarbeiter Schützengräben zu schaufeln und Unterkünfte zu bauen. Anschließend sei er bis Juni 1946 in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen.

Prozesstermine bis in den Januar

Der Prozess vor dem Landgericht Neuruppin findet aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel statt. Bislang sind Termine bis in den Januar anberaumt.

Im KZ Sachsenhausen waren zwischen 1936 und 1945 nach Angaben der dortigen Gedenkstätte mehr als 200 000 Menschen inhaftiert. Zehntausende Häftlinge kamen dort durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit, medizinische Versuche und Misshandlungen um oder wurden Opfer systematischer Vernichtungsaktionen.

 

Sendung: Inforadio, 02.12.2021, 13:43 Uhr

17 Kommentare

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  1. 17.

    "Zunächst habe er in einer kleinen Firma Ersatzteile für die Wehrmacht hergestellt, hieß es in seiner Erklärung. Anschließend habe er von einem Umsiedlungslager in Pasewalk aus in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet. Zum Kriegsende sei er nach Kolberg abkommandiert worden, um als Zivilarbeiter Schützengräben zu schaufeln und Unterkünfte zu bauen. "
    Nach den Einlassungen des Angeklagten war er zu keinem Zeitpunkt im KZ Sachsenhausen anwesend gewesen. Gibt es denn Dokumente, die Gegenteiliges beweisen?

  2. 16.

    Nun, im Gegensatz zu Ihnen liegen mir zweifelhafte Vergleiche (psychologisches Gutachten vs. Lügendetektor) fern. Und dass dieses Verfahren auf Grundlage gültiger Gesetze stattfindet, ist für mich selbstverständlich. Daher ist Ihre seltsame Anmerkung, ich würde hier eine Art "DDR Justiz" fordern, absolut hanebüchen und durch nichts in meinen Aussagen begründbar. Sie schreiben wirres Zeug, Ronaldo.

  3. 15.

    Zutat: "Meines Erachtens kommt es aus juristischer Sicht darauf an, ob dem Beschuldigten eine konkrete Täterschaft als SS-Wachmann persönlich im KZ Sachsenhausen nachgewiesen werden kann." . . . "Aber vielleicht geben ja die nicht näher bezeichneten Dokumente "zu einem SS-Wachmann mit dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Angeklagten" einen rechtlichen Nachweis auf eine Täterschaft des Beschuldigten als Wachmann im KZ Sachsenhausen."

    So hätte Ihr Beitrag lauten können, und damit wäre alles Relevante gesagt gewesen.

  4. 14.

    Wenn bewiesen werden kann, dass der Mann an diesen Verbrechen beteiligt war, muss er verurteilt werden. Wie lange sei dahingestellt. Sich aber nur auf Historiker zu berufen ist sehr dünnes Eis. Ich hätte mir gewünscht, das die Justiz immer so konsequent bei der Verfolgung von ehemaligen Nazis gewesen wäre. Viele davon tauchten in den Führungsetagen der BRD wieder auf, ihre Taten während der Nazizeit wurden nie aufgeklärt, im Gegenteil.

  5. 13.

    @PM: Sie scheinen unser Rechtssystem nicht zu kennen, auch wenn es schmerzt: Ein Angeklagter darf bei uns lügen, dass sich die Balken biegen, ohne wenn und aber und ohne, dass ihm daraus Nachteile entstünden.

  6. 12.

    Sie irren, gerade das habe ich sehr sorgfältig gelesen. Meines Erachtens kommt es aus juristischer Sicht darauf an, ob dem Beschuldigten eine konkrete Täterschaft als SS-Wachmann persönlich im KZ Sachsenhausen nachgewiesen werden kann. Das ist m.E. mit den Ausführungen eines naturgemäß unbeteiligten Historikers, der "zahlreiche Belege zur Tätigkeit dieses Mannes in mehreren SS-Wachkompanien geliefert" hat, aber zum konkreten Tatvorwurf zum KZ Sachsenhausen, um das es hier geht, nichts sagt, nicht gegeben.

    Aber vielleicht geben ja die nicht näher bezeichneten Dokumente "zu einem SS-Wachmann mit dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Angeklagten" einen rechtlichen Nachweis auf eine Täterschaft des Beschuldigten als Wachmann im KZ Sachsenhausen. Irgendwo mal als "SS-Wachmann"n eingesetzt worden zu sein, reicht da m.E. nicht.

  7. 11.

    Sie können aber mit den Begriffen "Beweiskraft" und "Anerkennung durch ein Gericht" schon etwas anfangen? Das ist jetzt ein bisschen anders, als wie sie es vielleicht gewohnt sind, oder Gerd Glaudino?
    Die Zeiten, wo die Politik, sofern man bei einer SED-hörigen Führung überhaupt davon sprechen kann, ist vorbei. Jetzt entscheiden unabhängige Gerichte auf der Grundlage von Gesetzen und NUR DENEN sind sie verpflichtet, oder sind sie anderer Meinung, Gerd Glaudino?

  8. 10.

    Zu den abweichenden Angaben im Rentenantrag:
    1) Egal, wer den Antrag ausgefüllt hat: Der Angeklagte hat unterschrieben, dass alle Angaben der Wahrheit entsprechen.
    2) Wenn die Zeit im KZ als Wehr-/Kriegsdienst anerkannt wurde, muss der Angeklagte entspr. Unterlagen vorgelegt haben - oder die Zeit wurde aufgrund einer eidesstattlichen Versicherung/Erklärung anerkannt.
    (Ich habe über 40 Jahre für die Gesetzl. Rentenversicherung gearbeitet)

  9. 9.

    Danke Gerd!
    Ich schäme mich, was das betrifft, für Deutschland. Diesen Mann, der bis heute lügt, erst jetzt zur Verantwortung zu ziehen. Nur, weil es so viele gab, ist dieses Verbrechen nicht zu entschuldigen. Und gerne gebe ich mein Steuergeld für einen "endlich " Prozess aus. Dort zu sitzen in einer eiskalten Dreistigkeit und zu behaupten, er wäre Landarbeiter gewesen, und bei der Rentenversicherung anderes angegeben zu haben, dafür könnte man ihm einfach nur auf den Schoss kot... Sorry. Ich wünsche mir, das das Gericht endlich Gerechtigkeit spricht. Ich schäme mich für diesen Mann und alle, die für sein Alter Verständnis zeigen oder für das, was er tat. Der liebe Gott hat zugesehen und ihm zur Belohnung ein langes Leben beschehrt. Das allein ist ungerecht für all die, die er auf seinem nicht vorhandenen Gewissen hat.

  10. 8.

    Sie vergleichen die Expertise einer Psychologin mit einem "amerikanischen Lügendetektortest", um diese von vornherein als "Quatsch" zu bezeichnen?! Was befähigt Sie zu dieser seltsamen, behauptenden Aussage, Ronaldo?


    Zitat: "Was ist aber, wenn er Recht hatte? Das wäre dann, bei dem Rummel, blamabel."

    Wenn ihm die angeklagten Vorwürfe nicht nachzuweisen sind, wird er freigesprochen. Oder hegen Sie daran etwa Zweifel? Und diesen Prozess als "Rummel" zu bezeichnen, halte ich für wenig angebracht, Ronaldo.

  11. 7.

    Im Ausland erwartet das faktisch keiner mehr, abgesehen von ein paar wenigen Opferangehörigen, die sich davon eine persönliche Genugtuung erwarten. Der Rest schaut eher erstaunt auf diese späten Prozesse und wundert sich ob der Verbissenheit, mit der jetzt schnell noch die kleinen Rädchen abgeurteilt werden, weil man das bei den großen Rädern nicht leisten wollte. Die Justiz hat sich zwischen 33 und 45 ja nun auch nicht mit Ruhm bekleckert und war verlässlicher Teil des mörderischen Systems. Gerechtigkeit kann durch diese Prozesse heute allein deshalb nicht mehr erfolgen, höchstens Recht. Einen konkreten Nutzen für die Gesellschaft gibt es nicht mehr, weil viel zu spät.

  12. 6.

    Zitat aus dem Artikel: "Die Staatsanwaltschaft stützt sich dabei auf Dokumente zu einem SS-Wachmann mit dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Angeklagten. In dem Prozess hatte auch der Historiker Stefan Hördler zahlreiche Belege zur Tätigkeit dieses Mannes in mehreren SS-Wachkompanien geliefert."

    Das scheinen #1 und #2 überlesen zu haben. Und zu Kommentar #3 fällt mir nichts mehr ein; ausser vlt., dass der dort angezeigte Vergleich von Ungeimpften mit KZ Insassen an Widerwärtigkeit kaum zu überbieten ist.

  13. 5.

    Der Prozess ist nur „Schein für das Ausland“? Wäre mir neu, wenn „das Ausland“ bei uns jetzt Schein-Prozesse bestellen könnte. Ich finde es jedenfalls auch als Inländer richtig, NS-Verbrecher solange zu bestrafen, wie das möglich ist. Es ist gut, wenn dem ein oder anderen Täter doch noch Gerechtigkeit widerfährt, auch nach so langer Zeit noch. Die Menschen, die im KZ ermordet wurden, konnten keine 101 Jahre alt werden. Mein Steuergeld ist in diesem Prozess gut angelegt.

  14. 4.

    Und wie will man jetzt die Wahrheit finden? Die Idee mit dem Psychologen ist doch Quatsch. Das erinnert an die amerikanischen Lügendetektortests, die dort vor Gericht auch keine Beweiskraft haben.
    Es ist die Rentenantragsstellung nochmal aufzudröseln. Dort müssen ja Dokumente vorgelegen haben. Es gab Soldbücher und auch in der Landwirtschaft wurden Arbeitsnachweise erstellt.
    Was ist aber, wenn er Recht hatte? Das wäre dann, bei dem Rummel, blamabel.

  15. 3.

    Geben sie heute doch mal eine Anzeige auf: Wachpersonal für ein Lager für Ungeimpfte gesucht und sie werden sich vor Bewerbungen nicht retten können.

  16. 2.

    Leider waren im Kriege Millionen in jener Zeit im "Wehr- und Kriegsdienst" eingesetzt, das ist eine geläufige Bezeichnung, die dann millionenfach in Papieren der Rentenversicherungsträger aufgetaucht sind. Das schließt ja nicht aus, dass der Beschuldigte dann konkret in der Landwirtscchaft oder zum Ausheben von Schützengräben und zum Bau von Unterkünftgen eingesetzt wurde.

  17. 1.

    Wie will man einen 101jährigen bestrafen? Der Prozess ist nur Schein fürs Ausland und reine Steuergelder-Verschwendung.

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