Tödliche Schüsse auf Georgier - Lebenslange Haft im "Tiergartenmord"-Prozess

Mehr als zwei Jahre, nachdem ein Georgier in Berlin-Moabit erschossen wurde, hat ein Gericht nun den Schützen verurteilt. Den Reichtern zufolge hatten staatliche russische Stellen den Mord beauftragt. Der russische Botschafter reagierte empört.
In dem auch diplomatisch heiklen Prozess um einen mutmaßlichen russischen Auftragsmord im Kleinen Tiergarten in Berlin ist der Angeklagte am Mittwoch zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Das Berliner Kammergericht sah es als erwiesen an, dass der russische Staatsbürger im August 2019 einen tschetschenisch-stämmigen Georgier in dem Park im Stadtteil Moabit erschossen hatte. Zudem verurteilte es den Mann wegen illegalen Waffenbesitzes.
Die Richter erkannten zusätzlich die besondere Schwere der Schuld, was eine vorzeitige Haftentlassung praktisch ausschließt. Das Urteil entsprach der Forderung der Bundesanwaltschaft, die wegen der besonderen Bedeutung des Falls die Ermittlungen und die Anklage übernommen hatte. Die Verteidigung des Beschuldigten hatte Freispruch gefordert.
Nach Überzeugung der Behörde handelte es sich um einen Mordanschlag im Auftrag staatlicher russischer Stellen. Diese hätten den Angeklagten angewiesen, dass Opfer als Vergeltungsmaßnahme zu "liquidieren", sagte der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi in seiner Urteilsbegründung. Für die Tat soll der Mann eine Scheinidentität bekommen haben und am Tag vor der tödlichen Attacke mit Alias-Namen nach Berlin gekommen sein.
Richter: Verbrechen wurde durch Helfer vorbereitet
Das Gericht ist davon überzeugt, dass es sich bei dem angeklagten Russen um einen Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB handelt, dem weitere Auftragsmorde im Ausland zugeordnet werden.
Der Beschuldigte wurde unmittelbar nach dem Verbrechen am 23. August 2019 in der Nähe des Tatorts von Polizisten festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Auf das Opfer waren drei Schüsse aus einer Pistole mit Schalldämpfer abgegeben worden, vor der Tat hatte sich der Angeklagte laut Anklage dem Getöteten in dem Park im Zentrum von Berlin von hinten auf einem Fahrrad genähert.
Nach Überzeugung der Richter wurde das Verbrechen "akribisch" durch in Berlin stationierte Helfer vorbereitet. Diese hätten das Opfer zuvor ausgespäht und dem Angeklagten das Fahrrad sowie Ersatzkleidung für die Flucht besorgt, sagte Arnoldi. Auch die Pistole habe der Angeklagte wahrscheinlich erst in Berlin erhalten. Zuvor war er laut Feststellungen des Gerichts von Moskau aus über Paris und Warschau in die Hauptstadt gereist. Sein Aufenthalt in Berlin sei hoch konspirativ gewesen. Wo er sich aufgehalten habe, sei unklar.
Der Beschuldigte selbst hatte zu Beginn des Prozesses über seine Anwälte erklären lassen, er heiße Vadim S., sei 50 Jahre alt und Bauingenieur. Verbindungen zum russischen Staat und dem Geheimdienst FSB bestritt er.
Fall wurde vor einem Staatsschutzsenat verhandelt
Bei dem Opfer handelt es sich um einen tschetschenisch-stämmigen Georgier, der nach Darstellung der Bundesanwaltschaft früher als Milizenführer während des zweiten Tschentschenien-Kriegs 2000 und 2004 gegen Russland kämpfte und von russischen Sicherheitskräften als Staatsfeind und Terrorist betrachtet wurde. Er lebte seit Ende 2016 als Asylbewerber in Deutschland.
Der Fall wurde vor einem Staatsschutzsenat verhandelt. Die Tat und die Ermittlungen dazu belasten das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland schwer. Nach der Tat wies die Bundesregierung als Reaktion zwei russische Diplomaten aus. Die russische Seite wies die Vorwürfe eines staatlichen Auftragsmords als haltlos zurück.
Russischer Botschaft spricht von politisch motiviertem Urteil
Der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, bezeichnete das Urteil als nicht objektiv und politisch motiviert. Der Vorwurf, dass die Russische Föderation an der Tat beteiligt gewesen sein soll, sei "absurd". Er kritisierte unter anderem, dass Recherchen der Internetplattformen Bellingcat und Insider und "sonstige unbegründete Mutmaßungen" als Beweise zugelassen worden seien und zweifelte eine Zeugenaussage an.
Netschajew kündigte eine Reaktion auf das Mordurteil an, Einzelheiten nannte er aber nicht. "Es handelt sich dabei um einen offensichtlich unfreundlichen Akt, der nicht unerwidert bleibt", erklärte Netschajew am Mittwoch in Berlin. "Auch der Zeitpunkt der Urteilsverkündung wird nicht von ungefähr ausgesucht sein. Offenbar hat jemand ein Interesse daran, dass der Dialog zwischen Russland und der neuen Bundesregierung von Beginn an dadurch überschattet wird."
Sendung: Abendschau, 15.12.2021, 19:30 Uhr