Interview | Tierrettung Potsdam - "Viele Tiere verletzen sich am Müll, der in der Natur hinterlassen wird"

Je mehr Menschen draußen unterwegs sind, desto mehr Tiere in Not werden gefunden. Das machte sich bei der Tierrettung Potsdam gerade im ersten Lockdown bemerkbar. Eine Tierretterin erklärt, was wir beim winterlichen Spaziergang beachten können.
rbb|24: Frau Schwoerer, welche Besonderheiten bringt der Winter für die Tierrettung mit sich?
Hanna Schwoerer: Im Winter haben wir meist weniger Anrufe, weil weniger Menschen und Tiere draußen sind. Es gibt keine Jungtiere mehr und auch die Igelsaison ist inzwischen vorbei – im Herbst kümmern wir uns um sehr viele unterernährte Igel. Allerdings bekommen wir in der kalten Jahreszeit häufiger Meldungen von festgefrorenen Schwänen – dann können wir die Anrufer:innen aber beruhigen: Schwäne stehen oft auf dem Eis, frieren aber nicht fest, weil sie von Natur aus kalte Füße haben.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Arbeit des Vereins ausgewirkt?
Gerade im ersten Lockdown haben wir gemerkt, dass viel mehr Menschen spazieren waren. Und die haben auch entsprechend mehr Tiere gefunden und uns dann kontaktiert – vieles konnten wir aber schon am Telefon regeln. Nicht jedes Tier ist unbedingt in Not, vielleicht ist es zum Beispiel nur ein Jungvogel, der gerade seine ersten Flugversuche startet. Und wir geben auch gern Hilfe zur Selbsthilfe, erklären den Menschen also, wie sie ein Tier selbstständig versorgen und zu welchem Tierarzt oder welcher Tierärztin sie es bringen können.
Ansonsten hat leider das Miteinander im Verein gelitten. Vorher haben wir uns in der Regel alle zwei Wochen zum Stammtisch getroffen und ausgetauscht, auch Info-Vorträge von Expert:innen organisiert. Neue Mitglieder konnten erfahrene Tierretter:innen zunächst bei ihren Einsätzen begleiten. Das sind alles Dinge, die nun schwieriger geworden sind. Dadurch geht gefühlt momentan viel Wissen und Sicherheit verloren.
Gab es auch finanzielle Probleme?
Wir sind besser durch die Krise gekommen, als erwartet. Die Spendenbereitschaft ist kaum zurückgegangen und einige größere Unternehmen aus der Region haben uns sehr unterstützt. Die Tierrettung Potsdam ist ein ehrenamtlicher Verein und finanziert sich über die Mitgliedsbeiträge (ab 40 Euro im Jahr), Spenden und sogenannte Fundtierverträge mit den Gemeinden. Letztere sorgen dafür, dass die Gemeinden die Verantwortung für gefundene Haustiere aus der Region an uns abgeben können, wir kümmern uns dann.
Wann kann man sich denn bei Ihnen melden? Hilft der Verein jedem Tier?
Ja, wann immer es geht, fahren wir los, auch nachts. Bei kleineren Wildtieren bekommen wir oft die Frage: Ist es das überhaupt wert? Aber unser Ansatz ist es, dass so viel Natur vom Menschen zerstört wird, dass es sich in jedem Fall lohnt. Jedes Tierleben ist wertvoll. Und für Wildtiere gibt es in Brandenburg ansonsten wenig Hilfe, das bemängeln wir schon seit Jahren. Deswegen arbeiten wir eng mit engagierten Tierärzt:innen und anderen Tierschutzvereinen zusammen, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte haben.
Wir übernehmen die Erstversorgung und den Transport zum Tierarzt, beraten am Telefon oder schriftlich. Ob Wildtier oder Haustier, Maus oder Familienhund, das spielt dabei keine Rolle. Außerdem unterstützen wir bei der Suche nach entlaufenen Tieren, sichern Fundtiere, organisieren die Kastrationen von streunenden Katzen und betreiben ein eigenes Tierheim in Wiesenburg.

Wie ist die Tierrettung aufgestellt?
Wir haben etwa 500 Mitglieder, quer durch die ganze Gesellschaft, vom Abiturienten bis zur Rentnerin. Etwa 20 davon fahren aktiv auf die Einsätze, die über eine große WhatsApp-Gruppe koordiniert werden. Wir sprechen aber keine Verpflichtung aus, niemand muss immer erreichbar sein. Wer uns unterstützen möchte, sagt einfach, was er kann und wie oft – dann finden wir eine Aufgabe. Viele bringen sich auch direkt über ihren Beruf ein, verlegen zum Beispiel als Elektriker:innen im Tierheim nach Feierabend noch Leitungen. Andere päppeln junge Vögel oder Igel, stehen dafür auch nachts alle zwei Stunden auf oder nehmen ihre Schützlinge sogar mit ins Büro.
Haben Sie auch schon dramatische Rettungseinsätze erlebt? Welche Einsätze sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Erst vor Kurzem haben wir auf dem Aradosee in Potsdam einen Bussard gerettet. Er hing kopfüber in einem Baum fest, weil er sich in Angelsehne verfangen hatte. Ein Mitglied der Tierrettung stieg kurzerhand aufs Stand-Up-Paddle-Board und konnte den Vogel so dank vollem körperlichen Einsatz befreien. Jetzt wird er auf dem Falkenhof Potsdam wieder aufgepäppelt und dann anschließend ausgewildert.
Am meisten berührt es mich aber, wenn wir Tiere ihren Besitzer:innen zurückbringen können, dann ist die Freude immer riesig! In diesem Jahr konnten wir beispielsweise eine Katze nach über fünf Jahren wieder mit ihrer Familie vereinen. Möglich war das nur, weil sie korrekt gechippt und registriert war. Und diesen Hinweis möchten wir auch unbedingt allen Katzen- und Hundebesitzer:innen mit auf den Weg geben: Bitte lassen Sie Ihre Tiere korrekt registrieren, das erspart teilweise viel Leid. Den Mikrochip setzen zwar die Tierärzt:innen ein, aber die Registrierung – etwa bei Tasso oder Findefix – müssen Halter:innen selbst vornehmen und bei einem Umzug auch aktualisieren.
Gibt es etwas, das wir als Spaziergängerinnen und Spaziergänger für die Tiere tun können oder besser unterlassen sollten?
Ein wirklich großes Problem ist der Müll, den Angler:innen, aber auch andere, hinterlassen. Viele Tiere verletzten sich daran schwer, verschlucken zum Beispiel Angelhaken. Daher ist unsere große Bitte, die Natur nicht weiter zu vermüllen und so auch weniger Tiere in Gefahr zu bringen. Und wer Enten, Schwänen etc. außerdem etwas Gutes tun möchte, sollte sie niemals mit Brot füttern. Dieses quillt im Magen auf und der Vogel denkt dann, er sei satt, hat aber kaum Nährstoffe zu sich genommen. Man kann füttern – aber dann bitte mit artgerechtem Futter, wie Dosenmais oder Salat.
Und ich persönlich freue mich einfach, wenn die Menschen ein offenes Augen haben für die Tiere um sich herum. Außerdem ist es toll, wenn Menschen nach einem Anruf bei uns nicht einfach auflegen, sondern uns als Hilfe zur Selbsthilfe verstehen und dann selbst aktiv werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Herrmann für rbb|24.