Test-Region Berlin-Brandenburg - Warum sich die bundesweite Einführung des E-Rezepts verzögert
Monatelang wurde in Berlin und Brandenburg das elektronische Rezept getestet. Es sollte seit Januar bundesweit das rosa Papierrezept ersetzen, mit dem gesetzlich Versicherte Medikamente bekommen. Das scheitert vorerst - nicht nur aus technischen Gründen. Von Wolf Siebert
Anke Rüdinger wäre soweit: Die Lichtenberger Apothekerin wäre technisch in der Lage, den Barcode eines E-Rezepts einzulesen. Rüdinger, die auch den Berliner Apotheker-Verein leitet, hat sich zudem einen Router besorgt, um sich mit der digitalen Infrastruktur zu verbinden - außerdem eine Institutionskarte, um als Apotheke identifizierbar zu sein. Und Heilberufeausweise für alle Mitarbeiterinnen ihrer Apotheke hat sie auch organisiert.
Rüdinger hofft nach eigenen Angaben, dass das E-Rezept bald kommt. "Ich bin davon überzeugt, dass das E-Rezept für uns alle einen Vorteil bringt", sagt sie. "Zum Beispiel soll so die Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern einfacher werden." Sie sei optimistisch, das neue Verfahren in ein paar Monaten zum Laufen zu bringen.
"Wir wollen nicht doppelt und dreifach Schwachsinn machen"
Ein anderes Bild im Südwesten der Stadt: Anne von Törne ist Managerin einer Arztpraxis, ihr Chef ist der Vorsitzende des Berliner Hausärztverbandes. Von Törne sieht im E-Rezept keine Verbesserung, wie sie sagt. Weder für den Arzt noch für die Patienten.
Und sie ärgere sich, dass bei der Planung der digitalen Reform nicht auch Arzthelferinnen und Praxismitarbeiterinnen eingebunden worden seien."Wir müssen auch gefragt werden, wie man das Ganze sinnvoll machen kann", sagt sie. "Wir wollen nicht doppelt und dreifach Schwachsinn machen. Wir wollen effektiv und gut und sicher arbeiten, das ist unser Wunsch."
Die Apothekerin und die Praxismanagerin markieren die Pole, zwischen denen sich die digitale Reform festgefahren hat.
Das Gesundheitswesen - ein schwer zu steuernder Apparat
Festgefahren ist der Prozess auch, weil das deutsche Gesundheitswesen ein schwer zu steuernder Apparat ist: Es gibt 160 Anbieter von Software für Arztpraxen und zwölf Unternehmen bieten Software für Apotheken an. Sie alle müssen mit der Software für das E-Rezept verbunden werden.
Manchmal läuft dieses Update automatisch, in anderen Fällen soll es das Praxispersonal machen. Häufig muss der externe IT-Experte kommen. Verbunden werden müssen auch noch 102 Krankenkassen und Rechenzentren bei Apotheken und Krankenkassen. Aber beim Testlauf des E-Rezepts fehlten oft die Updates.
Steuern soll den Digitalisierungsprozess die Gematik Gmbh. 2005 wurde sie gegründet, eigentlich um die elektronische Gesundheitskarte und die technische Infrastruktur dafür vorzubereiten. Mehrheitsgesellschafter der Gematik ist inzwischen das Bundesministerium für Gesundheit. Mit an Bord sind Ärzte und Apothekerinnen, die Kammern und die Krankenkassen - also Befürworter und Zweifler unter einem Dach.
Der Staat beauftragt, die Krankenkassen sollen zahlen
Beim gescheiterten Test des E-Rezepts habe das Problem nicht so sehr bei den technischen Schwierigkeiten gelegen, schreibt der Spitzenverband der Krankenkassen auf rbb-Anfrage. "Das Problem lag vielmehr darin, dass mit dem E-Rezept-Test eine Entscheidung allein auf Basis der Mehrheit eines einzigen Gesellschafters in der Gematik-Gesellschafterversammlung durchgedrückt wurde."
Also vom Bundesgesundheitsminister. Jens Spahn hatte die Digitalisierung des Gesundheitswesens in seiner Amtszeit vorangetrieben. Die finanziellen Folgen trügen aber die gesetzlichen Krankenkassen, die die Arbeit der Gematik fast vollständig bezahlten, heißt es auf Anfrage des rbb weiter.
Deshalb müssten das Gematik-Modell und die Finanzierung "grundlegend geändert werden". Entweder solle die gesetzliche Krankenversicherung "die entscheidende Verantwortung für die Gestaltung" bekommen - "oder die Verantwortung für die Finanzierung geht in die Hände des Staates über. Das heißt, es werden Steuermittel eingesetzt."
Ärzte im Digitalisierungsprozess mitnehmen
Der Bund hat zwar in der Gematik-Gmbh die Mehrheit, aber bei der Umsetzung des E-Rezepts bleibt er auf die Unterstützung der übrigen Gesellschafter angewiesen - darunter auch die der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die erwartet vom Bundesgesundheitsminister mehr Kooperation: Man unterstütze die Einführung des E-Rezepts, wenn dadurch die Versorgung der Patienten und Patientinnen verbessert und der Praxisalltag erleichtert werde.
Aber auf rbb-Anfrage schreibt die Vereinigung auch: "Das kann nur gelingen, wenn die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Digitalisierungsprozess mitgenommen werden. Diesen Anspruch darf vor allem die Politik nicht aus den Augen verlieren."
2022 geht der Testlauf für das E-Rezept erst einmal weiter. Einen neuen Termin für die bundesweite Einführung gibt es noch nicht.
Sendung: Inforadio, 08.01.2022, 07:35 Uhr