Test-Region Berlin-Brandenburg - Warum sich die bundesweite Einführung des E-Rezepts verzögert

Sa 08.01.22 | 11:49 Uhr | Von Wolf Siebert
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Ein Mann mit seinem Handy in der Hand wird in einer Apotheke von einer Apothekerin bedient (Quelle: dpa/Mohssen Assanimoghaddam)
Audio: Inforadio | 08.01.2022 | Wolf Siebert | Bild: dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Monatelang wurde in Berlin und Brandenburg das elektronische Rezept getestet. Es sollte seit Januar bundesweit das rosa Papierrezept ersetzen, mit dem gesetzlich Versicherte Medikamente bekommen. Das scheitert vorerst - nicht nur aus technischen Gründen. Von Wolf Siebert

Anke Rüdinger wäre soweit: Die Lichtenberger Apothekerin wäre technisch in der Lage, den Barcode eines E-Rezepts einzulesen. Rüdinger, die auch den Berliner Apotheker-Verein leitet, hat sich zudem einen Router besorgt, um sich mit der digitalen Infrastruktur zu verbinden - außerdem eine Institutionskarte, um als Apotheke identifizierbar zu sein. Und Heilberufeausweise für alle Mitarbeiterinnen ihrer Apotheke hat sie auch organisiert.

Rüdinger hofft nach eigenen Angaben, dass das E-Rezept bald kommt. "Ich bin davon überzeugt, dass das E-Rezept für uns alle einen Vorteil bringt", sagt sie. "Zum Beispiel soll so die Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern einfacher werden." Sie sei optimistisch, das neue Verfahren in ein paar Monaten zum Laufen zu bringen.

"Wir wollen nicht doppelt und dreifach Schwachsinn machen"

Ein anderes Bild im Südwesten der Stadt: Anne von Törne ist Managerin einer Arztpraxis, ihr Chef ist der Vorsitzende des Berliner Hausärztverbandes. Von Törne sieht im E-Rezept keine Verbesserung, wie sie sagt. Weder für den Arzt noch für die Patienten.

Und sie ärgere sich, dass bei der Planung der digitalen Reform nicht auch Arzthelferinnen und Praxismitarbeiterinnen eingebunden worden seien."Wir müssen auch gefragt werden, wie man das Ganze sinnvoll machen kann", sagt sie. "Wir wollen nicht doppelt und dreifach Schwachsinn machen. Wir wollen effektiv und gut und sicher arbeiten, das ist unser Wunsch."

Die Apothekerin und die Praxismanagerin markieren die Pole, zwischen denen sich die digitale Reform festgefahren hat.

Das Gesundheitswesen - ein schwer zu steuernder Apparat

Festgefahren ist der Prozess auch, weil das deutsche Gesundheitswesen ein schwer zu steuernder Apparat ist: Es gibt 160 Anbieter von Software für Arztpraxen und zwölf Unternehmen bieten Software für Apotheken an. Sie alle müssen mit der Software für das E-Rezept verbunden werden.

Manchmal läuft dieses Update automatisch, in anderen Fällen soll es das Praxispersonal machen. Häufig muss der externe IT-Experte kommen. Verbunden werden müssen auch noch 102 Krankenkassen und Rechenzentren bei Apotheken und Krankenkassen. Aber beim Testlauf des E-Rezepts fehlten oft die Updates.

Steuern soll den Digitalisierungsprozess die Gematik Gmbh. 2005 wurde sie gegründet, eigentlich um die elektronische Gesundheitskarte und die technische Infrastruktur dafür vorzubereiten. Mehrheitsgesellschafter der Gematik ist inzwischen das Bundesministerium für Gesundheit. Mit an Bord sind Ärzte und Apothekerinnen, die Kammern und die Krankenkassen - also Befürworter und Zweifler unter einem Dach.

Technisches Zubehör für das elektronische Rezept
Technisches Zubehör für E-Rezepte | Bild: rbb/Josefine Jahn

Der Staat beauftragt, die Krankenkassen sollen zahlen

Beim gescheiterten Test des E-Rezepts habe das Problem nicht so sehr bei den technischen Schwierigkeiten gelegen, schreibt der Spitzenverband der Krankenkassen auf rbb-Anfrage. "Das Problem lag vielmehr darin, dass mit dem E-Rezept-Test eine Entscheidung allein auf Basis der Mehrheit eines einzigen Gesellschafters in der Gematik-Gesellschafterversammlung durchgedrückt wurde."

Also vom Bundesgesundheitsminister. Jens Spahn hatte die Digitalisierung des Gesundheitswesens in seiner Amtszeit vorangetrieben. Die finanziellen Folgen trügen aber die gesetzlichen Krankenkassen, die die Arbeit der Gematik fast vollständig bezahlten, heißt es auf Anfrage des rbb weiter.

Deshalb müssten das Gematik-Modell und die Finanzierung "grundlegend geändert werden". Entweder solle die gesetzliche Krankenversicherung "die entscheidende Verantwortung für die Gestaltung" bekommen - "oder die Verantwortung für die Finanzierung geht in die Hände des Staates über. Das heißt, es werden Steuermittel eingesetzt."

Ärzte im Digitalisierungsprozess mitnehmen

Der Bund hat zwar in der Gematik-Gmbh die Mehrheit, aber bei der Umsetzung des E-Rezepts bleibt er auf die Unterstützung der übrigen Gesellschafter angewiesen - darunter auch die der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die erwartet vom Bundesgesundheitsminister mehr Kooperation: Man unterstütze die Einführung des E-Rezepts, wenn dadurch die Versorgung der Patienten und Patientinnen verbessert und der Praxisalltag erleichtert werde.

Aber auf rbb-Anfrage schreibt die Vereinigung auch: "Das kann nur gelingen, wenn die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Digitalisierungsprozess mitgenommen werden. Diesen Anspruch darf vor allem die Politik nicht aus den Augen verlieren."

2022 geht der Testlauf für das E-Rezept erst einmal weiter. Einen neuen Termin für die bundesweite Einführung gibt es noch nicht.

Sendung: Inforadio, 08.01.2022, 07:35 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

37 Kommentare

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  1. 37.

    Das Thema ist Digitalisierung und nicht Smartphone Besitz.
    Und die Menschen mit Grundbedüfnissen oder Obdachlosen haben bessere Smartphones als Sie und ich.
    Auf Antrag bekommt man (fast) alles vom Amt bewilligt.
    Wir leben im Jahre 2022 nach Christus und nicht 1970.
    Ich finde es persönlich nicht gut wenn man den technischen Neuerungen nicht bewältigen will nur weil man etwas älter ist.
    Jeder nach seiner façon, Stift und Zettel gibt es immer.

  2. 36.

    Es ist ja soweit funktionell, insofern wird es vermutlich in den nächsten Monaten so weit sein.

  3. 35.

    Also ich bezweifle, dass in der digitalen Wüste Deutschland das E-Rezept überhaupt kommen wird. Sollte es dennoch gelingen werden die selbsternannten Datenschützer mit einem kollektiven Aufschrei die Einführung verhindern.

  4. 34.

    Diese Frage blieb seitens der Krankeasse schon unbeantwortet, als ich mit Hilfe einer speziellen Speziellen Software, die aber nur auf einem sehr teuren Smartphone lief, nach einem Herzinfarkt weitermitueberwacht werden sollte. Wurde nichts draus, musste dann nach alt hergebrachter Weise den Kadiologen ueber mehrere Wochen immer wieder für neue einzelne Termine aufsuchen. Soweit zur Telemedizin.

  5. 33.

    Niemand ist gezwungen die neuen Funktionen zu nutzen. Entsprechend gibt es auch keinen Grund für Zuschüsse in dem Zusammenhang.

    Bei den heutigen Preisen ist ein Gerät mit Datenvertrag eher eine Frage der Priorität als dass es unerschwinglich wäre.

  6. 32.

    Es einfach nicht benutzen und den Patientenausdruck mit dem QR-Code einfach wie bisher in der Apotheke abgeben?

  7. 31.

    Was machen eigentlich Menschen die kein Smartphone haben bzw. mit so einem Gerät überfordert sind? ( Alte Menschen , Alg2 Empfänger , seelisch, geistig Behinderte ... )

  8. 30.

    Vielleicht zahlen die Krankenkassen dann einen schönen Zuschuss für das Smartphone und den Datenvertrag, so dass zumindest das Finanzielle der Anschaffung und Unterhaltung der neuesten Technik nicht im Wege steht.

  9. 29.

    Geehrte/r Tosca, ich finde es befremdlich, dass der Besitz eines Smartphones quasi verpflichend sein soll. Meine 90jährige Mutter z.B. erlernt den Umgang mit einem Smartphone definitiv nicht mehr.
    Die Redaktion des rbb ist mit dem "Symbolfoto" etwas über das Ziel hinaus geschossen. Selbstverständlich geht das auch ohne Smartphone. Einen Termin beim Bürgeramt bekommt man auch ohne Internet. Ihre Vorstellungen würde viele Menschen bei Grundbedürftnissen einfach ausschließen.

  10. 28.

    Nein, kein Patient muss "ein Endgerät vorhalten". Es hätte zwar auch Vorteile, aber wenn ein Patient das nicht möchte, ändert sich am Ablauf für den Patienten nichts. Er bekommt einen Ausdruck und geht damit in die Apotheke. Der Ausdruck sieht dann nicht mehr wie das Muster 16 aus wie bisher, sondern enthält QR-Codes plus die Bezeichnung des Medikaments. Die Verwendung ist aber wie vorher: Man gibt den Ausdruck in der Apotheke ab.

  11. 27.

    Dann sollten Sie sich vielleicht nach einer besseren Apotheke umschauen. Bei unserer ist es kein Problem telefonisch das Medikament zu bestellen, dann wird es je nach Verfügbarkeit noch am selben Tag nach Hause gebracht und dabei dann das Rezept abgeholt. Zumindest die Vorbestellung per Telefon sollte ja nun kein Problem darstellen.

  12. 26.

    Das ist nicht ganz korrekt. Für den Patientenausdruck ist vorgeschrieben, dass neben dem QR-Code auch das Medikament abgedruckt wird, schon damit der Patient überhaupt weiß welches Rezept für welches Medikament ist. Und dass es keine Vorteile gibt, ist auch falsch. Nachteile gibt es auch, ja. Aber es gibt auch deutliche Vorteile. Zum Beispiel kann nach einem Arztbesuch zuerst eine Laboruntersuchung gemacht werden bevor der Arzt z.B. ein Antibiotikum verordnet. Das Rezept bekommt man dann ohne weiteren Besuch beim Arzt unmittelbar auf das Handy, wenn es sich als nötig erweist. Unser Hausarzt gibt heute dann das Rezept schon mit und bittet darum mit der Einlösung zu warten bis er telefonisch mitgeteilt hat, ob es nötig ist. Prüfen oder steuern kann er das dann aber ja nicht.

  13. 25.

    Beispiele wären dafür interessant. Denn die Wirkstoffe selbst dürfen ja nicht anders sein. Die Grenze für Unterschiede in der Dosierung finde ich allerdings mit bis zu 25% zu weit gefasst. Das macht allerdings kaum einen Unterschied bei den Nebenwirkungen, eher bei deren Stärke. Unterschiede gibt es ansonsten vor allem bei den Hilfsstoffen. Dadurch sind z.B. allergische Reaktionen oder Unverträglichkeiten möglich, allerdings sowohl beim Wechsel von einem Original zum Generikum als auch vom Generikum zum Original oder einem anderen Generikum.

  14. 24.

    Das ist alles schon geschehen und es gab auch viele Tests. Das Problem an der Geschichte ist, dass so viele Projekte auf einmal angeschoben wurden (elektronische Patientenakte, elektronische Krankschreibung, ...), dazu die normalen Aktualisierungen, dass kaum jemand frühzeitig mit der Implementierung fertig war. Dadurch konnte in den Tests zwar am Ende die Ausstellung der Rezepte und die Einlösung in der Apotheke weitgehend problemlos getestet werden, aber die Abrechnung dahinter leider deutlich weniger. Es ist aber schlecht, wenn eine Apotheke nicht sicher sein kann, dass sie eingelöste Rezepte auch abrechnen kann. Dazu kommt, dass die Anbindung an die sichere Verbindung zu den Servern bei allen Beteiligten vorhanden sein muss, sprich in den Praxen und Apotheken.

  15. 23.

    Das E-Rezept KANN man auf dem eigenen Smartphone nutzen, MUSS es aber nicht. Man bekommt genauso einen Patientenausdruck wie vorher, nur dass sich darauf QR-Codes befinden.

  16. 22.

    Aussage ist völlig daneben. Menschen mit geistigen und/oder körperlichen Einschränkungen können schon mal nicht mit Smartphones umgehen. Dann gibt es Menschen, die sich ein Smartphone garnicht leisten können, oder wegen Eintrags in der Schufa keinen Vertrag bekommen, oder weil sie keinen festen Wohnsitz haben, oder, oder, oder... Ein Smartphone zur Daseinsvorsorge geht genau so wenig, wie die Abschaffung des Bargelds. Was geschieht bei einem Zusammenbruch der digitalen Infrastruktur? Dystopische Vorstellung.

  17. 21.

    @Bernie: Vielen Dank für die gute Erklärung, worin der Vorteil des E-Rezepts liegt!
    Gerade als Patient mit chronischem Leiden ist es tatsächlich oft dämlich, nur zum Abholen eines neuen Rezepts extra zum Arzt zu müssen.
    Sehr schön haben Sie auch beschrieben, wie toll so ein System funktionieren kann - da kann man echt neidisch werden auf die polnischen Nachbarn. Für Ihre Mutter freut es mich jedenfalls sehr, dass sie dadurch unnötige Wege vermeiden kann. :-)

  18. 20.

    Ist ja schön das sie in ihrem Alter noch Flugreisen buchen können. Einen Pc und ein Smartfon dafür benutzen. Aber ich glaube kaum das ein Gebrauchtwarenkaufhaus und kleiner Rente mich im Alter auf dem neusten Stand der Technik haelt. So geht es vielen, kein Smartfone, kein Pc, vieleicht nochnicht einmal Tv, aber wer aif hohem Ross sitzt kann ja spenden.

  19. 19.

    Jede Form der Digitalisierung, die dem Versicherten das Vorhalten eines Endgrätes abverlangt, wird an der Akzeptannz einer großen Anzahl der Versicherten scheitern. Warum werden die Rezepte nicht einfach auf der Versichertenkarte gespeichert? Für Deutschland zu einfach!

  20. 18.

    Wow, warum kupfern wir Deutschen das nicht in Polen ab? Das hört sich sehr einfach an, wenn es so alte Damen schaffen. Aber ne, bei uns ist ja alles immer ein Staatsakt *seufz* - jedenfalls muss ich mir nächstens dann immer einen Tag Urlaub nehmen, um beim Arzt ein "Pseudorezept" zu holen, damit in die VORGESCHRIEBENE Apo gehen, die das Medikamten nicht hat, dann weggehen und im Ernstfall am Montag wiederkommen... nach einem langen Wochenende ohne Medikament! Und das. wo die nächste Apo in Brandenburg eine halbe Stunde Fahrzeit entfernt ist, mit Öffis gar nicht erst zu erreichen!

    Diese Berater-Generation kennt nur sich selber, Mitte 30, alles mit dem Handy, und keine Großeltern mehr! Ätzend aber auch, dass sich unsere "Entscheider" so einen Mist aufschwatzen lassen...

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