rbb-Transparenzserie | Interview mit Chefredakteur David Biesinger - "Wir haben eine große Meinungspluralität"

In Zeiten, wo Fakten bezweifelt werden, muss sich der rbb vielen Fragen stellen. Wird objektiv berichtet oder gar etwas verschwiegen? Im Interview spricht rbb-Chefredakteur David Biesinger über Glaubwürdigkeit, Meinungsvielfalt und auch um Fehlerkultur.
Vom 3. bis 7. Januar gibt der rbb Einblicke in den journalistischen Arbeitsalltag. In der Transparenz-Reihe "So machen wir das" geht es um vielfältige Fragen: Nach welchen Kriterien werden die Themen ausgewählt? Wie bleibt die Unabhängigkeit in der politischen Berichterstattung garantiert? Wann sind Quellen verlässlich?
In dieser Serie antworten Redakteur:innen, Reporter:innen und die Sendeleitung auf diese Fragen in einer Videoserie und in Interviews bei Inforadio.
rbb: Herr Biesinger, was sich manche Hörer:innen und Zuschauer:innen fragen: Haben Sie den überragenden Einfluss? Geben Sie zum Beispiel eine politische Richtung vor?
David Biesinger: Nein, auf gar keinen Fall. Das kann und darf es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht geben. Wir pflegen Meinungspluralität. Innerhalb der Redaktion wird viel darüber gestritten, wie ein Thema angegangen werden soll, welchen Blickwinkel wir vielleicht gerade nicht sehen. Der rbb ist mit seinen vielen Sendungen in Radio, Fernsehen, Online und den sozialen Medien auch so groß und hat so viele kluge Köpfe in den Redaktionen, dass es gar nicht möglich ist, eine Linie für alle vorzugeben. Dazu haben wir eine viel zu große Pluralität und das zeichnet uns letztlich auch aus.
Von Hörern kommt auch die Frage, ob die Intendantin eine Richtung vorgibt.
Nein, das tut sie nicht. Unsere Intendantin ist selbst Journalistin. Sie war als Korrespondentin und Leiterin großer Abteilungen viele Jahre selbst journalistisch tätig und weiß, dass das aktuelle Geschäft in den Redaktionen läuft.
Als ich beim SFB anfing, riefen auch mal Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende bei der Intendantin oder bei einer Redaktionsleiterin an, um sich zu beschweren. Wehren Sie als Chefredakteur auch heute noch Einflussnahme von außen ab? Oder gibt es das gar nicht?
Da müssen wir auf zwei verschiedene Aspekte gucken. Das eine ist die direkte, plumpe Einflussnahme, dass bei mir also jemand anrufen würde. Die gibt es nicht und die meisten wissen auch, dass so etwas nicht zum Ziel führen würde.
Es gibt aber eine viel kompliziertere Situation, die vor allem unsere Reporterinnen und Reporter vor Ort immer wieder erleben. Wo Lobbyisten oder Pressesprecherinnen und Pressesprecher versuchen, unseren Kolleginnen und Kollegen einen besonderen Spin, einen besonderen Blick auf ein Thema mitzugeben. Das ist deren Job. Ich bin sehr froh, dass unsere Kolleginnen und Kollegen so professionell sind, dies zu erkennen und damit umzugehen. Sie unterscheiden, was ist Fakt und was soll mir hier vielleicht mitgegeben werden.
Bei manchen Fragen von Hörer:innen und Zuschauer:innen ist aufgefallen, dass uns nicht alle politische Unabhängigkeit zutrauen. Wie gewinnt man dieses Vertrauen zurück?
Wir müssen mit denjenigen, die nicht an unsere politische Unabhängigkeit glauben, immer wieder im Dialog sein und erzählen, wie wir arbeiten. Genau das machen wir in dieser Woche. Das ist auch nur ein Auftakt für den Dialog mit unseren Zuschauerinnen und Zuschauern und den Hörerinnen und Hörern.
Kritik ist für mich völlig in Ordnung. Ich erlebe uns in unserem Programm als sehr unabhängig. Das kommt aus der Vielfalt, die wir in den Redaktionen haben und ist bedingt durch deren Größe. Dass es auf manche anders wirken kann, müssen wir zur Kenntnis nehmen. Dann müssen wir erklären, wie wir arbeiten - und das machen wir hier gerade.
Sie haben die Vielfalt in den Redaktionen angesprochen. Ich habe vor kurzem mit einer Kollegin im Rahmen dieser Reihe gesprochen - über die politische Ausrichtung. Das sagte sie: Naja, die Mehrheit von uns, die kommt schon so aus dem ähnlichen politischen Milieu. Ich persönlich habe hier konservative Stimmen seit langem nicht mehr gehört, auch nicht als Kommentator:innen oder als Beitragsmacher machen die Konservativen inzwischen einen großen Bogen um den rbb, weil sie sagen: ‚Da hast du keine Chance‘.
Naja, was heißt 'die Konservativen'? Das ist ein sehr, sehr allgemeiner Begriff. Aber ich ahne, wo Sie mit der Frage hinwollen. Journalisten, die teilweise in der gleichen Universität studiert haben, die teilweise aus gleichen Milieus stammen, auf ähnlichen Schulen gewesen sind. Ist das zu sehr eine Richtung? Es ist in der Tat eine Aufgabe für uns, die Diversität in den Redaktionen noch viel stärker zu pflegen, als wir es bislang getan haben. Ein Teil dieser Beobachtung ist schon richtig.
Große Teile von Redaktionen kommen aus ähnlichen Bildungszusammenhängen. Das führt dazu, dass man auch auf ähnliche Weise tickt. Was aber macht eine Journalistin oder einen Journalisten aus? Das Interesse von Journalistinnen und Journalisten muss deutlich über das eigene Interesse hinausgehen. Professionelle Haltung muss weit mehr umfassen als die eigene Erfahrungswelt, das eigene Leben. Das ist für Journalistinnen und Journalisten auch eine Frage der Berufsehre, uns immer wieder gegenseitig zu packen, auch zu provozieren und zu fragen: Haben wir dieses Thema nur von einer Seite aus diskutiert? Das ist unser täglicher Job.
Die (Nicht-)Abbildung der konservativen Kommentare oder konservativeren Haltungen nehme ich anders wahr. Da habe ich gerade diese Woche Beispiele im Programm gehört. Es ist wichtig, das intensiver zu pflegen, aber ich würde es ungern nur am Begriff 'konservativ' festmachen. Wir müssen diejenigen Blickwinkel auf das Leben besser erfassen, die bei uns nicht so oft vorkommen - egal aus welcher Richtung.
Ich hake noch mal nach ohne den Begriff konservativ. Ich habe mal einige Hörer:innen-Mails zusammengefasst. Ein Eindruck, der da entstanden ist vom rbb-Programm: "Ihr im rbb seid pro Fahrrad, für E-Mobilität, pro Flüchtlinge und auch fürs Gendern. Dabei gibt es zu all diesen Themen doch auch gut begründete Einwände und alternative Vorstellungen." Unser öffentlich-rechtlicher Auftrag ist es, zur Meinungsbildung beizutragen und nicht den politischen Mainstream wiederzugeben. Schwimmen wir da manchmal zu sehr im Mainstream?
Unser Job ist, Meinungsbildung zu ermöglichen und nicht nur den Mainstream abzubilden, das ist völlig richtig. Das ist unsere Leitlinie. Das mag uns mal besser, mal schlechter gelingen. Ich habe schon den Eindruck, dass es uns an vielen Stellen sehr gut gelingt. Wir haben uns in den vergangenen Jahren damit sehr intensiv auseinandergesetzt. Wie kommen wir auch in unseren internen Diskussionen zu einem möglichst breiten Meinungsbild? Beim Gendern kenne ich sehr, sehr strittige Redaktionsdiskussionen...
Aber die Wahrnehmung der Hörer ist, dass das im Programm nicht so prominent vorkommt wie die andere Seite.
Ja, und das genau ist das Interessante. Im Wissen dieser intern strittigen Diskussion, von außen gespiegelt zu bekommen, dass wir anscheinend in dem, was wir senden, anders daherkommen als in unseren Diskussionen. Deswegen bin ich auch so froh über diese Woche, weil uns diese Rückmeldungen erreichen. Schon uns beide jetzt beschäftigt dieses eine Thema derart, dass wir sagen: 'Komisch. Die Wahrnehmung ist eine andere als die Diskussion'. Das heißt, wir müssen genau solche Hinweise ernst nehmen, um weiter voranzukommen.
Es gibt einen schmalen Grat zwischen einem engagierten und einem aktivistischen Journalisten. Gibt es da im rbb Richtlinien? Oder überlässt man das den Redaktionen, das zu diskutieren und nach Möglichkeit sauber zu trennen?
Das lässt sich nicht mit dem Lineal festlegen. Zu sagen: 'Bis hierhin ist es Journalismus und ab hier ist es Aktivismus.' Meine persönliche Haltung ist, an dieser Stelle lieber genauer als ungenauer zu sein. Also lieber die Grenze zum Aktivismus früher ziehen als später. Mir ist es wichtig, diese Grenze klar zu ziehen. Wer journalistisch tätig ist, kann nicht gleichzeitig aktivistisch tätig sein. Das funktioniert nicht.
Natürlich hat jeder ein Privatleben. Und natürlich gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sind in Parteien oder in Verbänden aktiv oder in der Kommunalpolitik in ihrem Ort oder in ihrem Bezirk. Das muss auch möglich sein. Es darf sich nur an keiner Stelle verwaschen mit der journalistischen Tätigkeit.
Wir hatten auch schon Fälle, wo wir einvernehmlich mit den Kolleginnen und Kollegen gesprochen und gesagt haben: Du bist gerade privat in diesem Bereich so stark engagiert, dann lass bitte die Berichterstattung darüber sein und sei die nächsten Monate in einem anderen Themenfeld tätig. Solche Fälle kommen immer wieder vor. Das ist dann eine Frage der Professionalität, so etwas zu vereinbaren und umzusetzen.
Eine Frage noch zu einer Personalie. Der Ehemann der Grünen-Verkehrssenatorin, Bettina Jarasch, arbeitet seit vielen Jahren im rbb. Auch das führte bei manchen Zuschauern zu der Vermutung, da könnte politische Einflussnahme drohen. Wie schließt der rbb aus, dass es da zu einem Interessenkonflikt kommt?
Ich bin dankbar, wenn wir das gefragt werden – dann können wir auch transparent darauf antworten. Wichtig zu wissen ist, dass Oliver Jarasch seit zwei Jahrzehnten für dieses Haus arbeitet. Er ist ein exzellenter Journalist, früher als Beitragsmacher und später als Führungskraft. Er ist aufgrund seiner politischen Unabhängigkeit und seines eigenen Kopfes seit jeher sehr geschätzt im Haus. Erst dann bekam seine Frau ein politisches Amt. Das ist für die Vorgeschichte wichtig.
Ganz einvernehmlich haben wir bereits Ende 2020, als Bettina Jarasch Spitzenkandidatin der Grünen wurde, entschieden, dass Oliver Jarasch nicht mehr inhaltlich tätig ist. Wir haben unsere Arbeitsprozesse so sortiert, dass er im Moment Organisationsprozesse übernimmt, unseren neuen Newsroom aufbaut. Er also all das tut, damit gut gearbeitet werden kann, aber derzeit keinerlei inhaltliche Verantwortung trägt. Diese Entscheidung ist mehr als ein Jahr alt. Und dabei bleibt es jetzt natürlich, nachdem seine Frau Senatorin geworden ist.
Wie hält es der rbb mit dem Gendern? Gibt es da ein eine Entscheidung?
Da sind wir wieder bei der Pluralität im Haus. Das ist ein Thema, das wir sehr intensiv seit zwei, zweieinhalb Jahren diskutieren, und bei dem es sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Wir haben uns für den Moment darauf verständigt, dass wir in unseren Nachrichten - außer bei der Jugendwelle Fritz - nicht gendern. Ansonsten ist es ein Stück weit auch den Redaktionen überlassen, wie sie damit umgehen wollen.
Uns ist klar, dass wir es hier mit einem lebendigen Sprachprozess zu tun haben. Ich persönlich bin eher zurückhaltend bei diesem Thema. Meiner Meinung nach ist das nicht nur ein sprachlicher Prozess innerhalb der Redaktionen, sondern innerhalb der gesamten Gesellschaft. Insofern geht es da auch ein bisschen darum zu gucken, wo eigentlich der gesellschaftliche Konsens bei diesem Thema ist.
Aber es gibt keine klare Festlegung im Sinne von ‚jeder muss dies oder das tun‘. Da sind wir wieder bei unserem Ausgangspunkt. Das würden kluge, selbständig denkende Journalistinnen und Journalisten nicht mit sich machen lassen. Aber es gibt schon ein paar Grundvereinbarungen wie zum Beispiel für die Nachrichten.
Wenn wir dieses Gespräch in fünf Jahren erneut führen sollten, was werden wir da im rbb anders machen?
Die Arbeitsweise wird sicherlich komplett crossmedial sein. In vielen Bereichen sind wir da schon angekommen und in fünf Jahren wird dieser Prozess abgeschlossen sein. Ich glaube, in fünf Jahren werden unsere digitalen Produkte eine noch weit größere Rolle spielen als heute. Und ich hoffe, dass wir dann auch sagen können, es war klug, immer wieder hinzuhören, wenn wir sehr kritisch angegangen wurden und daraus zu lernen. Mir ist wichtig, Kritik nicht als unfair, sondern als hilfreich zu empfinden, solange sie im Stil ordentlich passiert. Ich möchte diesen Dialog mit unseren Nutzerinnen und Nutzer zu pflegen, weil wir von allen in dieser Gesellschaft bezahlt werden. Insofern sind wir auch für alle da und müssen unsere Programme auch entsprechend immer wieder feinjustieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit David Biesinger führte Wolf Siebert, Inforadio.
Der Text ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie im Audio-Player nachhören.
Sendung: Inforadio, 07.01.2022, 10:45 Uhr