Interview | Juwelenraub aus dem Grünen Gewölbe - Kunstfahnderin glaubt nicht an Wiederentdeckung des Dresdner Schmucks
Was geschieht mit Kunstwerken wie dem aus dem Grünen Gewölbe gestohlenen Schmuck? In London wird ein "Art Lost Register" geführt, das solches Diebesgut dokumentiert. Dessen Direktorin, Amelie Ebbinghaus, hat wenig Hoffnung für die Juwelen aus Dresden.
rbb: Frau Ebbinghaus, sind die gestohlenen Juwelen inzwischen digitale Karteileichen? Oder gibt es Hoffnung, dass sie gefunden werden?
Amelie Ebbinghaus: Wir wollen die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben. Ich muss aber auch sagen, dass - ein bisschen anders als in vergleichbaren Fällen wie beispielsweise den schwedischen Kronjuwelen - hier mit dem Remmo-Clan eine sehr gut organiserte Bande auf der Täterseite steht. Dadurch sind die Chancen, die Schmuckstücke wiederzufinden, wahrscheinlich eher gering.
Aber warum stiehlt man so Einzigartiges wie diese Dresdener Juwelen? Die kann man ja nicht auf dem Flohmarkt verkaufen und jeder Juwelier recherchiert dann nach - das Ganze ist ja schlecht auf den Markt zu bringen.
Ja, in der Form, in der sie gestohlen worden sind, sind diese Objekte absolut unverkäuflich. Genauso wie auch ein Picasso-Gemälde unverkäuflich wäre. Allerdings haben sie natürlich einen inhärenten Materialwert – man kann die Diamanten aus den Schmuckstücken rausnehmen, umschleifen, und so zumindest einen Bruchteil des Versicherungswertes in irgendeiner Form umsetzen. Und dann wird es auch unmöglich, die Steine wieder zu indentifizieren.
Und damit müssten sie dann irgendwann auch aus Ihrem Register, sozusagen aus Ihrem Fundbüro für verschwundene Kunstwerke, gestrichen werden. Wie viele Kunstwerke sind bei Ihnen registriert?
Wir haben 700.000 Kunstwerke, das sind Gemälde, Uhren, Schmuckstücke und so weiter. Und normalerweise haben wir ein sehr, sehr langes Gedächtnis, das heißt, sowas wird bei uns erstmal nicht gestrichen, solange wir es nicht gefunden haben. Unsere Erfahrung ist, dass Kunstwerke sehr, sehr lange verschwunden bleiben und dann nach 20, 30 Jahren wieder auftauchen.
Ist das alles geklaute Kunst? Oder gibt es noch andere Verlustgründe? 700.000 ist ja ziemlich viel.
Das sind geklaute Kunstwerke, das ist auch Nazi-Raubkunst, also historische Diebstähle, antike Kunstwerke aus Ägypten, Iran, Syrien. Und es sind auch einige Objekte darunter, die gerade Gegenstand von Gerichtsverfahren sind, in Scheidungsprozessen oder in Erbschaftsauseinandersetzungen. Also alles Werke, die ein Problem in der Vergangenheit haben, über das ein potenzieller Käufer informiert werden müsste.
Es schlummern also 700.000 Datensätze in Ihrer Datenbank. Was wird damit gemacht - wer nutzt Ihren Service?
Wir arbeiten vor allem für Auktionshäuser, Kunstmessen, Pfandleiher, Uhrenhändler, also alle, die solche Objekte verkaufen wollen, aber auch Museen und Sammler, die ankaufen wollen. Und jeder hat die Möglichkeit, bei uns ein Kunstwerk, an dem er Interesse hat, gegen diesen Datensatz prüfen zu lassen. Wir prüfen im Jahr etwa 400.000 Objekte.
Also kann nachher keiner sagen, er hätte ja nicht gewusst, dass dieses Bild geklaut ist?
Es ist zumindest schwer zu behaupten, man hätte es nicht gewusst, wenn man nicht vorher bei uns einen Check macht. Es gibt inzwischen Gerichtsurteile, die sagen, man kann sich als Käufer nicht auf Gutgläubigkeit berufen, wenn man vorher nicht ein bisschen Prüfung gemacht hat, sondern da einfach blind reingelaufen ist. Eben dafür gibt es unsere Datenbank.
Also dokumentieren Sie verschwundene Kunstwerke - oder suchen Sie auch aktiv nach solchen Objekten?
Wir suchen auch aktiv, aber eben in der Form, dass wir kooperieren. Wir würden nicht pro-aktiv losrennen und wie ein Detektiv Keller oder Safes durchsuchen, sondern wir suchen nach Objekten, die in irgendeiner Form wieder auf den Markt kommen. Wir arbeiten also mit Marktteilnehmern wie beispielsweise Auktionshäusern wie Christies und Sothebys. Was denen angeboten wird, wird von uns geprüft. Aber auch viele kleinere Häuser, die nicht so bekannt sind, wenden sich an uns.
Frau Ebbinghaus, gibt es für Sie so etwas wie den "traurigsten Eintrag in Ihrer Datenbank"?
Die Einträge, die mich immer besonders betroffen machen, sind Nazi-Raubkunstfälle. Dabei sind die Kunstewerke eigentlich gar nicht so aufregend, beispielsweise Werke von unspektakulären österreichischen Malern aus dem 19. Jahrhundert. Aber dahinter steckt einfach eine unglaubliche Schicksalsgeschichte. Wenn man die dann mit aufarbeitet und mit den Nachfahren spricht, dann sind das schon die emotionalsten Momente.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Michael Castritius, Inforadio
Sendung: Inforadio, 28.01.2022, 10:05 Uhr