Interview | Gruppen-Coming-Out in katholischer Kirche - "Wir wünschen uns eine Kirche ohne Angst"
Es ist das größte Coming Out, das es in der katholischen Kirche in Deutschland jemals gegeben hat: Mehr als 100 Gläubige im Dienst der katholischen Kirche wagen den gemeinsamen Schritt an die Öffentlichkeit. Veronika Gräwe ist eine von ihnen.
rbb|24: Frau Gräwe, im Rahmen der Initiative "Out in Church" outen sich heute mehr als 100 katholische queere Menschen öffentlich – was wollen Sie mit dieser Aktion erreichen?
Veronika Gräwe: Uns geht es darum zu sagen, dass wir da sind. Über uns wurde gesprochen, und jetzt wollen wir selber sprechen. Es geht darum zu sagen, dass wir uns eine Kirche ohne Angst wünschen. Denn es macht Menschen im schlimmsten Fall krank, wenn man über Jahre aus beruflicher Angst nicht sagen kann, wer man eigentlich ist.
Was kann man unter dieser Kirche ohne Angst genau verstehen?
Es geht um eine Kirche, in der Menschen aller sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten Zugang zu allen Berufs- und Handlungsfeldern haben. Wenn ich in einer lesbischen Partnerschaft lebe und standesamtlich heirate, dass ich dann keine Angst haben muss, gekündigt zu werden. Da fordern wir eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts.
Und wir fordern eine generelle Überarbeitung der Lehre. Die aktuelle kirchliche lehramtliche Position sagt, dass homosexuelle Menschen nicht in der Lage sind, korrekte Beziehungen zu Frauen und Männern aufzubauen, das ist eine sehr verletzende Position. Deswegen ist es sehr wichtig, dass diese Lehre geändert wird.
Es geht auch um den Zugang zu Sakramenten, also zum Beispiel, auch wenn ich offen lesbisch lebe, dass ich dann keine Sorge haben muss, dass mir die Kommunion verweigert wird. Es geht um Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare. Es geht aber auch darum, dass Transpersonen getauft werden können und das unter ihrem Namen, den sie nutzen. Es geht im großen Ganzen auch darum, dass Kirche sich gegen Diskriminierung engagiert.
Man muss sagen, dass durch die Diskriminierung von LSBTI-Personen enormes Leid entstanden ist in den letzten Jahrzehnten. Und da geht es einfach darum, sich diese Schuldgeschichte anzuschauen und Verantwortung für sie zu übernehmen, dazu fordern wir die Kirche auf.
Wer ist an der Aktion beteiligt?
Wir sind über hundert Personen, darunter Menschen, die hauptamtlich für die Kirche arbeiten, zum Beispiel als Religionslehrerin oder Pastoralreferentin. Das sind auch ehrenamtliche Personen dabei, die zum Beispiel am Sonntag in der Kirche Texte lesen oder die Eucharistie austeilen. Das sind Menschen dabei, die für die Kirche gearbeitet haben und nicht mehr arbeiten, zum Teil aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Und es sind Menschen dabei, die zum Beispiel Theologie studieren und sich vorstellen könnten, für die Kirche zu arbeiten.
Sie haben sich schon vor längerer Zeit als nicht heterosexuell geoutet, was haben Sie da persönlich für Erfahrungen im kirchlichen Rahmen gemacht?
Ich habe sehr lange überlegt, mich nicht zu outen. Ich war ein Jahr lang in einer katholischen Ordensgemeinschaft in Frankreich. Da habe ich nicht offen gesagt, dass ich queer bin und ab einem bestimmten Punkt gemerkt, dass das sehr anstrengend war. Ich bin dann ausgetreten und merke einfach jetzt, dass es wesentlich weniger belastend ist.
Aber es gibt auch nicht nur diesen einen Moment, wo man das Coming-Out hat. Man kommt immer wieder in neue Kontexte. Leute gehen meistens erst mal davon aus, dass man heterosexuell ist.
Wenn ich in einer Gruppe mit anderen jungen katholischen Erwachsenen bin und jemand erzählt von seiner Ehefrau, überlege ich dreimal: Erwähne ich jetzt auch meine Partnerin? Weil ich nicht einschätzen kann, wie die Leute reagieren und ob vielleicht eine blöde Reaktion kommt.
Wie praktizieren Sie Ihren Glauben?
Ich bete immer wieder und bin in einer Gruppe von mehreren jungen katholischen Frauen, wo wir zusammen beten, die Bibel lesen und uns darüber austauschen. Ich gehe auch in verschiedene katholische und evangelische Gemeinden zum Gottesdienst.
Mir ist es aber wichtig, dass dort auch Frauen predigen können und dass ich keine Angst haben muss, dass LSBTI-feindliche Inhalte als legitim dargestellt werden. Und das ist in katholischen Gemeinden, manchmal ein bisschen schwierig.
Warum bleiben Sie denn in der Kirche, obwohl auch diese queerfeindlichen Positionen vertreten werden?
Weil mein Glaube mir sehr viel gibt. Und weil wir in der Kirche auch sehr viel engagierte Menschen haben, die sich für eine andere Kirche einsetzen und das ist für mich zumindest aktuell noch ein Grund dabeizubleiben.
In den letzten Jahren habe ich auch Zeichen der Hoffnung erlebt. Als zum Beispiel das Segnungsverbot letztes Jahr aus Rom kam, haben über tausend kirchliche Mitarbeitende, pastoralen Ungehorsam geübt und gesagt: Wir segnen weiter. Wir gehen nicht davon aus, dass wir morgen die Ehe für alle in der katholischen Kirche haben. Aber wir haben schon die Hoffnung, dass sich da was im Kleinen zumindest bewegt.
Ab welchem Punkt würden Sie sagen: Es reicht, ich trete aus.
Es gibt Punkte, die schon sehr lange auf der Agenda sind; das Frauenpriestertum oder die Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche. Und drängend ist natürlich auch die Frage von sexualisierter Gewalt und eine angemessene Entschädigung der Betroffenen und eine wirklich ernsthafte Aufarbeitung.
Das sind so Punkte, da habe ich noch die Hoffnung, dass sich was tut. Aber wenn da jahrzehntelang nichts passieren würde, wäre das, glaube ich, für mich ein Grund zu sagen: Ich trage dieses System nicht mehr mit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Mara Nolte, rbb|24.
Sendung: Das Erste, 24.01.2022, 22:50 Uhr