Josephinen-Anlage Potsdam - Gekündigte Senioren sollen Studenten weichen

Mehr als 100 Mietern der Seniorenwohnanlage Josephinenstift wurde Ende letzten Jahres gekündigt. Einen Verkauf der Anlage an die Stadt lehnt der Betreiber ab. Er möchte daraus ein Studentenwohnheim machen. Das verspricht auch höhere Rendite. Von Efthymis Angeloudis
Die Josephinen-Wohnanlage in Potsdam soll ein Studentenquartier werden, sobald die letzten der rund 110 gekündigten Seniorinnen und Senioren das Haus verlassen haben. Die Wohnungen sollen für die Vermietung an Studenten hergerichtet werden, wie es in einem Schreiben des Betreibers, SGG Soziale Grundbesitzgesellschaft Potsdam, an den SPD-Ortsverein heißt, das rbb|24 vorliegt. Zuvor hatte die "PNN" [pnn.de] berichtet.
Eine rbb-Anfrage dazu ließ das Mutterunternehmen der SGG, die Hamburger MK-Kliniken AG, bislang unbeantwortet. Der Betreiber der Wohnanlage hatte den Bewohnern mit der Begründung gekündigt, er könne die Pflege "weder jetzt noch in Zukunft zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen" erbringen. Allerdings würden keine finanzielle Schäden durch den Betrieb der Wohnanlage entstehen, teilte die MK-Kliniken AG im November dem rbb auf Anfrage mit.
Studentenwohnheime nicht von Mietspiegel begrenzt
Studentenwohnheime unterliegen nicht dem Mietspiegel und den meisten Regelungen zur Begrenzung der Miethöhe. "Da diese Quartiere von den Regularien der Mietpreisbremse weitgehend ausgrenzt sind, kann man sich vorstellen, dass das lukrativ sein könnte", kommentierte Holger Catenhusen, Geschäftsführer des Potsdamer Mietervereins, die Pläne des Betreibers gegenüber dem rbb.
Damit es dazu kommt, müssten die verbliebenen Bewohner aus der Wohnanlage in der Burgstraße 6A ausziehen. Ende Januar sollten laut SGG 90 Wohnungen in der Anlage leerstehen. Die Zahl ist laut rbb-Informationen jedoch bei Weitem nicht erreicht. Rund 50 Prozent sollen nach Angaben von Bewohnern und Pflegern ihre Wohnungen verlassen haben. Der Rest denke nicht über einen Auszug nach.
"Ich habe überhaupt nicht die Absicht, auszuziehen", sagt Marianne, eine der verbliebenen Bewohnerinnen, rbb|24. "Die Kündigung ist gar nicht rechtsgültig." Die 92-jährige habe mittels ihres Rechtsanwalts bereits Einspruch eingelegt. Die meisten Bewohner haben eine dreimonatige Kündigungsfrist - ihre Kündigung wäre wirksam im April. Wie Marianne aber sagt, hält ihre Familie zu ihr.
Potsdamer Mieterverein: Kündigung ist unwirksam
Auch der Potsdamer Mieterverein hält die Kündigungen für unwirksam. "Wenn es zu einem Räumungsrechtstreit käme, hätten die Bewohner gute Chancen, gegen die Kündigung vorzugehen", sagt Holger Cathusen dem rbb. "Wir halten die Begründung für unzureichend", sagt der Geschäftsführer des Mietervereins. "Die Kündigungsschreiben sind sehr wortreich auf viele Seiten, aber das sind keine triftigen Kündigungsgründe."
In dem Kündigungsschreiben, das rbb|24 vorliegt, verweist Manfred Dreier-Gehle, Geschäftsführer des SGG, darauf, dass Probleme mit dem Bau eines Speisesaals auf dem Grundstück der Anlage entstanden seien. "Der Stillstand der Bauarbeiten ist im Wesentlichen der Covid-19-Pandemie und ihren Folgen geschuldet". Wegen der Lockdowns seien die begonnenen Arbeiten, um den Speisesaal zu modernisieren und Tagespflegeplätze zu schaffen, "immer wieder verschoben worden". Die Bauarbeiten könnten unter den besonderen Sicherheitsvorkehrungen für die vulnerablen Bewohner somit nicht fortgeführt werden. Auch könne er die Pflege "weder jetzt noch in Zukunft zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen" erbringen.
"Dass da nicht renoviert werden kann, ist Vermieterrisiko", sagt Cathusen. "Warum muss man den Menschen deswegen kündigen?" Die Mieter seien auch ohne einen Speisesaal gut zurecht gekommen. Angesichts der Pandemie wäre ein gemeinsamer Speisesaal für vulnerable Gruppen auch fragwürdig. "Mietrückstände gibt es nicht, und bei 110 Wohnungen kann man auch schlecht Eigenbedarf anmelden."
Betreiber lehnt Ankauf von Stadt ab
Wieso die Häfte der Bewohner bereits ausgezogen ist, kann Marianne nicht verstehen. Die Bewohner, die bereits ausgezogen sind, seien sehr traurig gewesen. "Die, die ich kenne, sind nach Görlitz gezogen. Die sind gar nicht in Potsdam geblieben", sagt die 92-Jährige.
Ihr werde das nicht passieren. "Sollte es zum Äußeren kommen, lass ich mich hier raustragen", sagt sie entschlossen. Die Rente für die 2.000 Euro, die sie anderswo in einem Pflegeheim zahlen müsste, habe sie nicht, und aus Potsdam weg wolle sie in ihrem Alter nicht. "Ich lass mich nicht verjagen."
Dabei hätte es längst nicht so weit kommen müssen. Laut Angaben des Betreibers versucht die Stadt Potsdam "Ankaufsmöglichkeiten" der Wohnanlage "zu suggerieren". Diese schlägt die SGG aber aus und besteht darauf, dass zukünftig an Studenten vermietet werde.
Studenten-Senioren WG?
Der Potsdamer Mieterverein reagiert auf Anfrage des rbb mit einem Gegenvorschlag. Er schlägt eine gemischte Nutzung von Seniorenwohnen und studentischem Wohnen bei gleichzeitigem Verzicht auf gerichtliche Auseineinandersetzungen vor. "Soweit der Vermieter darauf nicht eingehen sollte, währen wir gehalten, die rechtlichen Fragen bei den zuständigen Gerichten anhängig zu machen", teilt Rainer Radloff, Vorstandsvorsitzender des Mietervereins mit.
Projekte wie eine gemeinsame Wohnanlage für Studenten und Senioren gibt es in mittlerweile in mehr als 30 Städten in Deutschland. In vielen Uni-Städten ist bezahlbarer Wohnraum rar, viele Rentner wohnen wiederum allein in einer großen Wohnung oder einem Haus und brauchen gerade im Alter oft Hilfe im Haushalt und Alltag.
Ein Vorschlag, der auch bei Marianne gut ankommt. "Ich stell mir das ganz lustig vor." Kinder und Jugendliche hätten sie noch nie gestört. Außerdem sei die Schalldämmung im Haus ganz gut. "Neben mir wohnt eine schwerhörige Dame und ich höre ihren Fernseher kaum", sagt sie. "Im schlimmsten Fall gibt es ja auch Ohropax."
Die Kommentarfunktion wurde am 28.01.2022 um 13:44 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.