Stechlinsee in alarmierendem Zustand - Getrübter Blick in die Tiefe

Brandenburg ist mit gut 100.000 Hektar Wasserfläche das seenreichste Bundesland. Der Stechlinsee, von dessen klarem Wasser schon Fontane schwärmte, ist wohl der berühmteste. Doch der Klimawandel bedroht auch dieses Idyll. Von Karsten Zummack
Mit Spezialwerkzeugen flickt Rainer Böttcher seine Reusen - eine Arbeit, die viel Fingerspitzengefühl verlangt und natürlich Zeit. Erst jetzt im Januar kommt der 59-jährige Fischer dazu. Denn Jahresbeginn heißt für ihn Saisonende. Die Netze sind eingeholt, die Gummihosen trocknen in seiner kleinen Werkstatt am Ufer des Erholungsortes Neuglobsow.
Mit seinem Familienbetrieb bewirtschaftet Böttcher in sechster Generation den Stechlinsee (Oberhavel). Hier kennt er jede Ecke, quasi jeden Schilfhalm. Schon als Kind hat er hier Schwimmen gelernt, seit Jahrzehnten ist er normalerweise fast täglich mit dem Fischerboot draußen. Dabei beobachtet er natürlich auch, wie sich die Wasserqualität verändert.
Zunehmend trübe Ausblicke
"Wenn wir früher rausgefahren sind, konnten wir acht bis zehn Meter tief gucken", erinnert sich der Mann mit Brille und Basecap. Jetzt aber würde die Wasserqualität im Stechlin schwanken. "Der ist manchmal so trübe, da kann man vielleicht nur noch anderthalb, zwei Meter gucken."
"Tief, glasklar, sagenumwoben und voller Poesie", schrieb einst Theodor Fontane über den See. Noch heute übt der Stechlin eine magische Anziehungskraft aus. Selbst jetzt im Winter ziehen Schwimmer in Neoprenanzügen ihre Runden über das 70 Meter tiefe Gewässer.

Zuviel Phosphor, zu wenig Sauerstoff
Der See scheint zu kippen - ein Problem, das auch Experten beschäftigt. Das Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei unterhält hier in Neuglobsow sogar einen eigenen Standort mitsamt schwimmendem Seelabor. Dort werden die Auswirkungen von Klimawandel, Licht- oder Luftverschmutzung generell auf Seen untersucht.
Regelmäßig fahren die Wissenschaftler auch mit dem Motorboot weit raus auf den Stechlin, um hier Wasserproben zu nehmen. Die Ergebnisse nennt Forscher Thomas Gonsiorczyk "alarmierend". Am gravierendsten: Innerhalb weniger Jahre hat sich die Phosphorkonzentration im See vervierfacht. Das ist zwar nicht giftig. Doch "wenn mehr Phosphor in den See gelangt, haben wir auch mehr Algenwachstum", erklärt Gonsiorczyk.
Die Daten belegen: In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Phosphorgehalt im Stechlinsee vervierfacht. Vor allem in der Tiefe macht sich das bemerkbar, dort geht die Misere einher mit einem sinkenden Sauerstoffgehalt. Es sind also keineswegs nur die Algen, die Wissenschaftlern und Anwohnern Sorgen bereiten.
Sorgenkind Maräne
Fischer Rainer Böttcher sorgt sich vor allem um die für den Stechlinsee berühmte Maräne. Der lachsähnliche Fisch lebt weit unter der Wasseroberfläche. Deshalb fühlt er sich seit Jahrhunderten bereits besonders wohl in dem 70 Meter tiefen und einst glasklaren Stechlinsee. Doch die Sauerstoff-Knappheit bedroht die Maräne, fürchten Experten. Ein Grund: Der See heizt sich zeitiger auf als noch vor zehn Jahren.
"Wenn das ausfällt, ist das mehr als böse. Dann geht es an die Existenz", warnt Böttcher. Auch der Tourismus in der Region könnte darunter leiden, wenn der Stechlinsee kippt. Es müsse endlich etwas getan werden, fordert auch eine örtliche Bürgerinitiative.
Machbarkeitsstudie in Arbeit
Das hat längst auch die Politik erkannt. Unter Federführung des brandenburgischen Umweltministeriums wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, der auch Experten und Umweltschützer angehören. Schließlich geht es um die Frage, wie der Stechlinsee gerettet werden kann.
Auf dem Tisch liegen Ideen, beispielsweise mit Aluminium oder Technik den Phosphorgehalt zu senken. Der Naturschutzbund (Nabu) zeigt sich noch offen für eine Lösung, plädiert aber laut dem regionalen Nabu-Fachmann Tom Kirschey für die "umweltverträglichste Lösung".
Voraussichtlich im Frühjahr will die Arbeitsgruppe erste Konzepte für die Sanierung des Stechlinsees präsentieren. Anschließend soll die Förderung beantragt werden. Denn billig dürfte das Unterfangen nicht sein. Zudem wird es wohl etliche Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis das magische Gewässer im Norden Brandenburgs wieder so glasklar ist wie einst von Fontane beschrieben.

Sendung: Brandenburg aktuell, 15.01.2022, 19:30 Uhr