Luftqualität in Berlin - Diesel-Fahrverbote und Tempo-30-Strecken stehen in Frage

Erst das zweite Mal kann Berlin die gesetzlichen Grenzwerte zur Luftverschmutzung einhalten. Obwohl die Berliner Luft weiter negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat, könnten für Autofahrer:innen bald Beschränkungen wegfallen. Von Dominik Ritter-Wurnig
Nach 2020 kann Berlin auch im zweiten Pandemie-Jahr die gesetzlichen Luftverschmutzungsziele einhalten. Das zeigt eine exklusive Auswertung der vorläufigen Messdaten des Landes Berlin durch das rbb|24-Datenteam. "Nach den bislang vorliegenden Daten hält Berlin zum zweiten Mal in Folge alle Jahres-Grenzwerte für die Luftreinheit ein", bestätigt die Umweltstaatssekretärin Silke Kircher (Die Grünen) dem rbb.
Die höchste Belastung durch Stickstoffdioxid wurde im Jahr 2021 an der A100 bei Westend mit 38 Mikrogramm sowie in der Neuköllner Silbersteinstraße mit 35 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel gemessen. Gesetzlich erlaubt sind maximal 40 Mikrogramm im Jahresdurchschnitt.
Bessere Luft ist keine Corona-Eintagsfliege
Jahrelang lag die Belastung mit dem Reizgas Stickstoffdioxid über dem gesetzlich erlaubten Wert von 40 Mikrogramm im Jahresdurchschnitt. Hauptverursacher sind Dieselautos - vor allem jene Autos mit eingebauter Schummelsoftware, die auf der Straße weit mehr Druck rauslassen als auf dem Prüfstand.
Nach einer erfolgreichen Klage der Deutschen Umwelthilfe wurde das Land vom Gericht zu harten Maßnahmen verpflichtet: Durchfahrtverbote für Diesel-Fahrzeuge und Tempo-30-Beschränkungen an etlichen Hauptverkehrsstraßen.
2020 konnte dann erstmals der Grenzwert flächendeckend in Berlin eingehalten werden. Auch dank des harten Lockdowns am Beginn der Corona-Pandemie, als viele Leute zuhause blieben und der Verkehr merklich zurückging. Die Messdaten aus 2021 zeigen nun, dass die Verbesserung der Luft kein einmaliger Corona-Effekt war, sondern ein Trend ist. Schon in den Jahren zuvor sind die Werte kontinuierlich gesunken, wie die untenstehende Zeitreihe der Hotspots (Grafik) zeigt.
Wird die Grüne Senatorin Tempo-30 aufheben müssen?
Durch die verbesserte Luftqualität stehen die die vier noch verbliebenen Durchfahrtverbote sowie 21 Kilometer Tempo-30 zur Luftreinhaltung auf dem Prüfstand. "Die Durchfahrtverbote für Dieselfahrzeuge können aufgehoben werden, wenn die NO2-Grenzwerte auch in diesem Jahr sicher eingehalten werden", sagt der Sprecher der Umweltsenatsverwaltung Jan Thomsen. "Sollte die NO2-Belastung weiter sinken, gilt dies auch für die Luftreinhaltungsgründe für Tempo-30-Abschnitte auf Hauptstraßen." Noch gilt ein Durchfahrtverbot für Diesel-Fahrzeuge, die nicht der neuesten Schadstoffklasse entsprechen, in der Hermannstraße, der Silbersteinstraße, der Leipziger Straße sowie der Straße Alt Moabit.
Tempo-30-Abschnitte sind auf Hautpstraßen gemäß der Straßenverkehrsordnung nur mit einer sorgfältigen Begründung - wie etwa Luftreinhaltung, Lärmschutz oder Verkehrssicherheit - zulässig. Wenn die Luft sauberer wird, fällt ein Grund weg. Im Mai 2021 hat die Senatsverwaltung das Durchfahrtverbot auf vier Strecken wieder aufgehoben, weil dort die mittlere NO2-Belastung unter 30 Mikrogramm gesunken ist [externer Link Umweltsenatsverwaltung]. Sobald die qualitätsgeprüften Ergebnisse und Berechnung vorliegen, könnte die Grüne Umwelt- und Mobilitätsenatorin Bettina Jarasch dazu gezwungen sein, Autos wieder schneller fahren zu lassen.
Im zweiten Halbjahr 2022 will die Umweltsenatsverwaltung dazu einen Luftreinhalteplan vorlegen.
Gründe für verbesserte Luftqualität
Die Corona-Pandemie habe laut der Umweltsenatsverwaltung für die Luftverschmutzung 2021 keine Rolle gespielt. Der kleine Rückgang um etwa 1 Mikrogramm im Vergleich zu 2020 konnte demnach vor allem durch die Modernisierung und Elektrifizierung von BVG-Bussen sowie die allgemeine Flottenerneuerung unter allen Fahrzeugen erreicht werden. Wie hoch der jeweilige Anteil war, lässt sich nicht beziffern.
Aktuell fährt knapp jeder zehnte Bus elektrisch; bis Ende 2022 soll der Anteil auf 15 Prozent steigen. Noch fahren 110 ältere Doppeldeckerbusse der BVG mit schlechter Schadstoffnorm in Berlin herum, aber mittlerweile sind alle mit Stickstoffdioxidfiltern nachgerüstet. Auch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe haben alle 73 älteren Müllsammelfahrzeug mit Abgasfiltern nachgerüstet.
Wenig bewegte sich durch die Pandemie laut Umweltsenatsverwaltung bei der Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung. Bis Ende 2020 sollte laut Plan auf 75 Prozent der Fläche innerhalb des S-Bahn-Rings das Parken kostenpflichtig sein; in Wirklichkeit sind es gerade einmal 52 Prozent der Flächen. Ziel der Verwaltung war es auch, die Stadtrundfahrtbusse sauberer zu machen: Weil es pandemiebedingt weniger Tourismus und damit weniger Rundfahrten gäbe, wurde das Thema "zurückgestellt".
Luft hat weiter negative Auswirkungen
Trotz Erreichen der gesetzlichen Luftverschmutzungsgrenzwerte räumt die Senatsverwaltung ein, dass nach wie vor "negative Auswirkungen auf die Gesundheit insbesondere für empfindliche Personen" durch die Berliner Luft auftreten können. "Das Land hat sich vorgenommen, die Berliner Luft mit Hilfe einer langfristigen Luftreinhaltestrategie noch sauberer zu machen", sagt Staatssekretärin Karcher.
Die im September 2021 beschlossenen ambitionierten Luftqualitätsziele der Weltgesundheitsorganisation WHO [who.int] liegen für Berlin in weiter Ferne. Die Messstelle in der Neuköllner Silbersteinstraße ist 2021 der Feinstaub-Hotspot Deutschlands mit 22 Überschreitungen des Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm PM10-Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Laut Weltgesundheitsorganisation sollte an maximal vier Tagen im Jahr die Belastung 46 Mikrogramm PM10-Feinstaub übersteigen. Der Stickstoffdioxid-Jahremittelwert sollte unter 10 Mikrogramm liegen.
Ball liegt bei der Europäischen Union
"Diese neuen WHO-Richtwerte für Feinstaub liegen so niedrig, dass sie derzeit selbst im ländlichen Raum, etwa in Brandenburg, teils deutlich überschritten werden", sagt Thomsen. "Um diese Werte für Feinstaub zu erreichen, brauchte es also zusätzlicher Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene." Auf einer Hauptverkehrsstraße wie der Frankfurter Allee kämen zwei Drittel des gemessenen Feinstaubs aus Quellen außerhalb der Stadt.
Die Richtwerte werden nicht nur in Berlin, sondern europaweit deutlich überschritten. Die EU-Kommission als Gesetzgeber plant laut Umweltsenatsverwaltung eine Überarbeitung mit Blick auf die WHO-Empfehlungen und 2022 soll ein erster Vorschlag kommen.
Bis eine solche EU-Verordnung beschlossen und dann ins nationale Recht überführt ist, werden aber noch Jahre vergehen.
Sendung: rbb24, 14.01.2022, 13:00 Uhr