Bezirk gegen Karlshorster Wohnwagenplatz - "Danach kommt für viele nur noch die Straße"
Etwa 100 Menschen leben zur Miete auf einem Wohnwagen- und Containerplatz in Karlshorst. Die meisten von ihnen haben auf dem Wohnungsmarkt keine Chance, doch jetzt will der Bezirk, dass der seit 15 Jahren bestehende Platz verschwindet. Von David Donschen
So richtig wohnlich wirkt es nicht auf dem Stellplatz im Hönower Wiesenweg an diesem grauen Januarmorgen. Mehr als 20 Wohnwagen stehen hier dicht an dicht, dazu noch einmal etwa so viele Baucontainer, zum Teil übereinandergestapelt.
Doch das ändert sich, sobald man einen der Container betritt. Andrea öffnet ihre Tür: Am Eingang steht ein Kühlschrank mit kleiner Kochecke, dahinter gleich der Fernseher und das Bett, das tagsüber als Sofa dient. Am Fenster ein kleiner Tisch, daneben der Kratzbaum, in dem ihre schwarz-weiß gepunktete Katze Maja döst. Die Wand ist mit Platten aus Parkettimitat verkleidet. "Wie ein langes schmales Wohnzimmer", beschreibt Andrea ihren 18-Quadratmeter-Quader.
Homeoffice im Container
Toiletten und Duschen gibt es zwei Container weiter, unten stehen Waschmaschinen für alle Mieter. Seit knapp zehn Monaten wohnt Andrea hier mit ihrem Mann Marcus und der Katze. "Ist doch ganz gemütlich, oder?" Andrea findet, es lässt sich gut leben auf dem Platz. Zumindest eine Zeit lang.
Die Krankenpflegerin macht in dem Container sogar Homeoffice: Am Laptop kümmert sie sich um das Qualitätsmanagement in Kliniken.
Vergangenes Jahr hatten sie und ihr Mann ihre Wohnung in Spandau gekündigt. Eigentlich wollten sie nach Kladow ziehen, in einen Bungalow, den sie sich dort gekauft hatten. Unter anderem wegen Corona ging der Umbau aber nicht so schnell voran wie gedacht. Also zogen sie im April 2021 in den Container. Übergangsweise, bis der Bungalow fertig renoviert ist: "Deswegen sind wir hier. Wir haben uns nichts zu Schulden kommen lassen. Manchmal geht das halt so im Leben. Vor allem jetzt während Corona."

Argument des Bezirks: Gewerbegrundstück
Sorgen bereitet ihr dagegen der Streit mit dem Bezirk. Denn der will, dass der Platz in seiner jetzigen Form verschwindet. Die Begründung: Die Wohnwagen und Container stehen auf einem Gewerbegrundstück. Die Nutzung zur Vermietung sei nie genehmigt worden und rechtlich auch gar nicht möglich.
Mit Zwangsgeldern versucht der Bezirk Lichtenberg, ein Nutzungsverbot durchzusetzen. Der Besitzer des Grundstücks ist dagegen vor Gericht gezogen. Er spricht von "Schikanen des Bezirksamtes" und argumentiert, dass der Platz zuvor schließlich auch 15 Jahre lang vom Bezirk geduldet worden sei.
Studierende, Bauarbeiter, Ex-Knackis
500 Euro kostet Andrea und Marcus der Container im Monat - inklusive Strom und Wasser. Nicht billig, aber für den Preis eine Wohnung in Berlin zu finden? Unmöglich, sagt Andrea.
Sie ist heilfroh, den Container zu haben. So wie viele andere hier. Auf dem Platz leben Studierende, Bauarbeiter, Ex-Knackis. Einer der Bewohner hat vorher auf der Brache an der Rummelsburger Bucht gelebt, die vor fast genau einem Jahr geräumt wurde. Ein anderer erzählt, dass er von seiner Wohnungsverwaltung vor die Wahl gestellt wurde: Entweder gibt er seine beiden Hunde ab - oder er muss ausziehen.
Keine Chance auf dem Wohnungsmarkt
Es sind ungeplante Abzweigungen im Leben, die viele der Bewohnerinnen und Bewohner hierhergebracht haben: der Tod eines nahestehenden Menschen, das Ende einer Ehe - anderen wurde wegen Eigenbedarf der Mietvertrag gekündigt. Und die allermeisten hier haben auf dem Berliner Wohnungsmarkt kaum noch eine Chance.
Auf eine Gehhilfe gestützt erzählt die 67-Jährige Christine ihre Geschichte. Wegen einer kaputten Hüfte kam sie ins Krankenhaus und anschließend in ein Pflegeheim. Dort hielt sie es aber irgendwann nicht mehr aus. "Tod und Demenz" wohin sie schaute. Weil sie aber mit ihrer Rente von 800 Euro keine neue Wohnung fand, zog sie vergangenen Herbst in einen der Baucontainer.
Die Atmosphäre unter den Bewohnerinnen und Bewohnern beschreibt Andrea als recht herzlich. Mit größeren und kleineren Beschwerden kommen sie zu der Krankenpflegerin. Gemeinsam mit anderen renoviert Andrea gerade einen der Dusch- und Toilettencontainer. Ab und zu gibt es auch Stress und Geschrei. "Das passiert aber doch in einem Wohnhaus genauso", meint Andrea.
Neubauprojekt auf dem Grundstück nebenan
Viele Bewohnerinnen und Bewohner vermuten, dass ein Neubauprojekt gleich nebenan der Grund für die Probleme mit dem Bezirksamt ist. Gegenüber auf der anderen Straßenseite entsteht die sogenannte "Parkstadt Karlshorst". Der Projektentwickler Bonava will hier 1.000 Eigentums- und Mietwohnungen bauen.
Und da würden die Wohnwagen und Container stören, glaubt zumindest Bewohnerin Andrea: "Klar bieten wir hier nicht den schönsten Ausblick für die Luxuswohnungen von Bonava. Aber warum kann so etwas wie wir nicht genauso existieren?" Der Bezirk bestreitet, dass die Parkstadt etwas mit der drohenden Räumung zu tun habe.
Angst vor Obdachlosigkeit
Viele der Bewohnerinnen und Bewohner sorgen sich, wie es weitergeht. "Danach kommt für viele nur noch die Straße", sagt Andrea.
Lichtenbergs Bezirksstadtrad für Stadtentwicklung und Soziales, Kevin Hönicke (SPD), versichert auf rbb-Anfrage, dass bei einer Räumung keiner der Bewohnerinnen und Bewohner auf der Straße landet. Notfalls werde der Bezirk die Menschen vorübergehend in Hostels unterbringen. Erstmal wolle man aber seitens des Bezirks das Gerichtsverfahren in der Sache abwarten.
Sendung: rbb88,8, 27.01.2022, 07:50 Uhr
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