Interview | Ermittler zu Kinderpornografie - "Es gibt Bilder, die wird man nicht mehr los"

Allein in Berlin ermittelte die Polizei im vergangenen Jahr 640 Straftaten rund um Kinderpornografie. Kriminalhauptkommissar Thorsten Ivers versucht seit 16 Jahren, Täter aufzuspüren, die Missbrauchsabbildungen anschauen, verbreiten und herstellen.
rbb|24: Herr Ivers, Sie sehen Videos, in denen Kindern Unvorstellbares angetan wird, die vergewaltigt, gequält werden. Wie oft haben Sie darüber nachgedacht, aufzuhören?
Thorsten Ivers: Tatsächlich kein einziges Mal. Ich erkenne in meiner Arbeit einen tieferen Sinn. Denn es geht letztlich darum, die hinter den kinderpornografischen Inhalten stehenden sexuellen Missbräuche aufzuklären. Mir macht die Arbeit hier trotz dieses Betätigungsfeldes sehr viel Spaß.

Konnten Sie in Ihrer Laufbahn viele Täter stoppen?
Ja, mehrfach. Es gibt viele Missbrauchstäter, die nicht nur Kinderpornografie konsumieren, also fremdes Material, sondern eigenes Material generieren. Und das ist letztlich das Ziel unserer Tätigkeit, diesen Missbrauch zu erkennen und zu beenden. Jedes Mal, wenn wir einen Tatverdächtigen haben und bei den Beschuldigten durchsuchen, dann ist für uns immer im Hinterkopf: Hat dieser Mensch auch Missbrauchstaten begangen? Hat er eigene Kinder? Oder hat er mit Kindern zu tun? Das ist uns wichtig. Aber die Auswertung braucht auch viel Zeit. Das heißt, ein paar Monate müssen wir auf die Ergebnisse warten. Und erst dann können wir mit Sicherheit sagen, beziehungsweise mit annähernder Sicherheit, ob derjenige auch selbst Missbrauchsinhalte erzeugt hat.
Wie kommen Sie den Tätern auf die Spur?
Viele Hinweise kommen aus den USA. Dort gibt es das National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). Amerikanische Anbieter sozialer Dienste sind verpflichtet, dort entsprechende Inhalte zu melden. Überdies haben auch Anbieter wie Facebook, Tiktok und Instagram begonnen, jedes Bild, jedes Video, was durch deren Netzwerke fließt, durch Automatismen zu scannen. Und jedes Mal, wenn dort ein einer Datenbank bekanntes Bild durchgeht, führt das automatisch zu einer Meldung bei NCMEC. Und die geben das dann weiter an das BKA. Und wenn die Spur nach Berlin führt, bekommen wir die Akte. Und im besten Fall können wir den Tatverdächtigen ermitteln, durchsuchen dort und finden Beweise.
Seit dem 1. Februar gilt die Novelle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Jetzt gibt es auch in Deutschland eine zentrale Meldestelle für Internetkriminalität - auch für Kinderpornografisches Material. Was heißt das für Ihre Arbeit?
Das wird zunächst mal die Fallzahlen erhöhen. Andererseits ist es eben auch ein Zeichen, dass es dem Gesetzgeber nicht egal ist, was in den entsprechenden sozialen Medien verbreitet wird. Das dient der Aufhellung des Dunkelfeldes, das ist auch eine Botschaft an die Täter. Es gibt keine Gründe, kinderpornografische Bild- und Videodateien zu versenden. Auch wenn man das selbst lustig findet oder vielleicht der Meinung ist, dass es nicht weiter auffällt. Es wird unter Umständen automatisch festgestellt, führt zu einer Strafanzeige, und wir nehmen es ernst.
Das finden Menschen lustig, solche Bilder zu verschicken?
Ja, so komisch das klingt, dass kinderpornografische Inhalte auch aus Jux und Dollerei verbreitet werden. Es gibt zum Beispiel einen kinderpornografischen Sticker, der in Whatsapp-Gruppen von Kindern und Jugendlichen häufig versandt wird. Und ja, die Kinder und Jugendlichen, die den versenden, die mögen das möglicherweise lustig finden. Oder sie möchten zeigen: Guck mal, ich habe diesen Sticker. Aber es ist eben eine Straftat. Und was einmal im Internet gepostet wurde, bleibt auch dort. Das heißt also, die Betroffenen müssen damit leben. Nicht nur, dass sie missbraucht wurden, sondern, dass auch die Dokumente ihrer Missbrauchstaten ihr Leben lang im Internet kursieren.
Das sind ja oftmals Unmengen an Daten. Sie werten ja nicht nur Fotos und Videos, sondern auch Chats und Sprachnachrichten aus. Wie schafft man das?
Wir übergeben in den meisten Fällen die entsprechenden Asservate an externe Dienstleister, die für uns die Datenträger auswerten. Die machen auch eine inhaltliche Bewertung der Sachen, die sie dort finden, auch mit unterschiedlichen Tools. Es gibt künstliche Intelligenz, um Kinderpornografie mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit aufzuspüren. Letztlich ist es aber für uns dann eben auch nur ein Hinweis. Die letztliche Begutachtung, ob es sich wirklich um Kinderpornografie handelt, ob der Tatverdächtige die Bilder nur besessen oder auch hergestellt hat, das obliegt dem kriminalpolizeilichen Mitarbeiter.
Sie sind selbst Vater. Wie geht man mit diesen Bildern um? Wie hält man das aus?
Letztlich belastet mich jedes Bild und jedes Video, was ich sehe. Und es wäre auch schlimm, wenn es nicht so wäre. Trotz 16-jähriger Tätigkeit in diesem Bereich ist es so, wenn einen diese Inhalte, die wir hier wahrnehmen müssen, gar nicht mehr tangieren, dann ist etwas falsch gelaufen. Es gibt Bilder, die wird man nicht mehr los. Und tatsächlich ist es auch so, dass oftmals die Chats, die dort geführt werden, weit über das Gesehene hinausgehen. Also, da werden oftmals Fantasien der Täter beschrieben, die vielleicht auch gar nicht physikalisch oder biologisch möglich sind. Und da muss man auch sagen, das belastet die Mitarbeitenden sehr. Also, wenn man jetzt tagelang viele Chats liest, aus expliziten Foren, wo Leute ungehemmt und unbeobachtet ihre Fantasien schildern. Das ist nicht gut.
Und wie lange wollen Sie diese Arbeit noch machen?
Alle Mitarbeitenden, die in den drei Fachkommissariaten sind, sind unglaublich motivierte Kollegen. Und wenn das Umfeld stimmt, das trägt schon. Wenn man mich nicht wegschickt, möchte ich gerne bis zur Pension hier arbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Wolf Siebert, rbb-Inforadio. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Mit einem Klick ins Titelbild können Sie das Gespräch als Audio nachhören.
Sendung: Abendschau, 03.02.22, 19:30 Uhr