Tag des Riesenrads - Als Berlin das Rad neu erfinden wollte und scheiterte

Mit dem "Great Berlin Wheel" wollte Berlin hoch hinaus: Ein Wahrzeichen und Europas höchstes Riesenrad sollte entstehen. Doch die Investoren brachten das Projekt selbst zu Fall. Ein Blick auf eine kuriose Baugeschichte anlässlich des Tag des Riesenrads. Von Jenny Barke
Die Nullerjahre waren für Berlin ein Jahrzehnt des architektonischen Aufbruchs. Durch den Zweiten Weltkrieg und die Mauer entstandene Baulücken wurden gefüllt. Auf dem Potsdamer Platz wuchsen Tonnen von Beton, Stahl und Glas in die Höhe - ein neues Stadtzentrum wurde geschaffen. An der Spree investierten Unternehmen Millionen in die Sanierung alter Lagerhallen - die "Mediaspree" war geboren. Berlin bekam einen Hauptbahnhof, mehrere Malls und einen neuen Flughafen - naja, zumindest war das der Plan.
Was da noch fehlte, war ein neues Wahrzeichen zur Erweiterung der Berliner Silhoutte. Geboren war in den 2000ern die Idee zum großartig großen Rad, zum "Great Berlin Wheel".
120 Millionen Euro für 185 Meter
Dabei wollte der damalige Regierende, Klaus Wowereit, wie so oft in seiner Regierungszeit nicht kleckern sondern klotzen: Das Riesenrad sollte nicht nur jenes aus DDR-Zeiten überragen, das nach der nach der Insolvenz des Spreeparks nur noch von Unkraut und Lost-Places-Touristen besucht wurde. Nein, das neue Berliner Riesenrad sollte den Höhenvergleich aller europäischen Riesenräder gewinnen. Die ehrgeizigen Visionäre blickten nach London zum 135 Meter hohen Aussichtsrad. Ganze 50 Meter sollte das neue Berliner Rad das "London Eye" übertrumpfen.
Schon sprach Wowereit beim Spatenstich 2007 von einem "neuen Wahrzeichen". Und das durfte auch was kosten. Die Pläne sahen Investionen von 120 Millionen Euro vor für die Attraktion vor. Darin inklusive: 36 klimatisierte Gondeln, eine Abflughalle mit Gastronomie und Geschäften, Platz für 40 Fahrgäste.
Schon sahen Investoren und Senat einen künftigen Tourismusmagneten, mit mindestens zwei Millionen Besucherinnen und Besuchern wurde gerechnet. Das Areal mit schönem 360°-Rundumblick dafür war in der Hauptstadt der Brachen schnell gefunden: Auf einem alten Wirtschaftshof zwischen Tiergarten und Zoologischer Garten an der Hertzallee.
Vision trifft auf Wirklichkeit
Noch heute hat der Block, eingerahmt von Landwehrkanal, S-Bahn-Gleisen und Technischer Universität viel Potenzial. Nutzen will das künftig ein Privatinvestor mit seinem Projekt Berlin Hertzallee GmbH. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sollen dort mehrere Türme gebaut werden. Möglich ist das, weil dort heute kein Riesenrad steht. Dass es nie dazu kam, ist eine Geschichte zwischen Vision und Wirklichkeit, im Jahrzehnt der unbegrenzten Baumöglichkeiten in Berlin.
Denn schnell scheiterten die hochfliegenden Ambitionen. Erst verzögerte sich der Bau, der innerhalb eines Jahres fertiggestellt werden sollte, weil auch der Zoologische Garten Neubauten plante und die Stadt das innerstädtische Areal um den Hardenbergplatz ausbaute. Dann stellte man fest, dass die Materialkosten steigen würden. Die Pläne verkleinerten sich: Kein prachtvoller Vorbau mit Restaurants, weniger Gondeln und - das schmerzte die Visionäre wohl am meisten - weniger Höhe. Zehn Meter fielen dem Sparzwang zum Opfer.
Zootiere durch Riesenrad gestört?
Die Schwierigkeiten beim Bau wurden von gesellschaftlichen Debatten begleitet. Die Tiere des naheliegenden Zoos könnten durch die Lichter des Riesenrads in ihrem Tag-Nacht-Rhythmus empfindlich gestört werden, befürchtete damals der Berliner Tierschutzverein. Allerdings widersprach selbst der Zoo diesen Befürchtungen.
Dann kam die Weltfinanzkrise. Und die brachte das Riesenrad endgültig zu Fall. Denn das Projekt sollte über einen Fonds finanziert werden - mehr als 10.000 Anleger zahlten insgesamt etwa 208 Millionen Euro ein. Die Investoren gaben das Geld allerdings nicht für das Rad aus, sondern für andere Grundstücke und Entwicklungen. Wie die rbb Abendschau 2010 berichtete, wurde unter anderem Geld in die Karibik umgeleitet und Dienstleistungen in Singapur bezahlt. Die Riesenrad-Projekte des Fonds, mit denen auch Riesenräder in Orlando und Peking gebaut werden sollten, scheiterten.
"Great Berlin Wheel" kam nie über Spatenstich hinaus
Schließlich drehten alle am Rad: Wütende Kleinanleger klagten gegen die Banken, die den Riesenrad-Fonds verkauft hatten. Auch die Berliner Staatsanwaltschaft erstattete 2010 Anzeige gegen drei Verantwortliche der Betreibergesellschaft wegen des Verdachts der Veruntreuung von Anlegergeldern.
Nach der Pleite wurde den geprellten Anlegern ein Vergleich angeboten: Sie sollten 60 Prozent ihres eingesetzten Kapitals zurückerhalten, wenn sie von weiteren Rechtsmitteln absehen. Die überwiegende Mehrheit ließ sich auf dieses Angebot ein.
Über den symbolischen Spatenstich kam das "Great Berlin Wheel" nie hinaus. Und damit geriet das gewünschte neue Wahrzeichen Berlins in Vergessenheit.