Grünes Idyll in Gefahr - Kleingärten in Hohen Neuendorf sollen Wohnhäusern weichen

Nicht nur bezahlbare Wohnungen sind knapp, auch Bauland wird zur Mangelware. Deshalb geraten oft Kleingärten ins Visier der Planer - wie in Hohen Neuendorf. Bis Ende Februar sollen die Pächter ihre Parzellen räumen. Von Karsten Zummack
Erste Knospen der Weidenkätzchen sprießen, gelbe Krokusse blühen bereits. Der Frühling scheint nah in der Kleingartensparte "Am Feld" in Hohen Neuendorf (Oberhavel). Und der milde Winter lockt bereits auch die Hobby-Gärtner raus in die eingezäunten Stückchen Natur.
Ein Mann häckselt mit einem Rasenmäher-ähnlichen Gerät das Unkraut im Boden, das hier gleich als Dünger dienen soll. Ein paar Gärten weiter harkt eine Frau in knallig hellgrüner Jacke das letzte Herbstlaub weg. Und auch Renate Georg ist bereits im Frühjahrsmodus. Gerade erst in Rente gegangen, hat sie sich im vergangenen Jahr den Traum vom eigenen Garten erfüllt. Sie schneidet gerade das Schilf im ausgetrockneten Teich zurück, sie will hier Kürbisse pflanzen. Vorausgesetzt, sie kommt noch dazu. "Es ist auch ein Stück Angst dabei, dass man all das aufgeben muss und die Arbeit umsonst war", sagt Renate Georg.

Wohnungsbau contra Kleingärten
Bei allen 40 Pächtern des Kleingartenvereins in Hohen Neuendorf geht die Angst um. Dass sie früher oder später ihre Parzellen räumen sollen, ist allerdings schon seit Jahren bekannt. Bürgermeister Steffen Apelt (CDU) ist für ein Interview aktuell nicht erreichbar. Er sei krankgeschrieben, heißt es in der Stadtverwaltung. Stadtsprecher Daniel Dinse aber bestätigt, dass auf dem 12.000 Quadratmeter großen Areal etwa 200 Wohnungen geplant sind - ein Drittel davon mit Sozialbindung.
"Der Platz ist eine der wenigen Flächen in Hohen Neuendorf, die im städtischen Besitz sind. Deswegen ist es die ideale Fläche, um dort einen kostengünstigen Wohnungsbau zu machen", so Dinse. Er verweist darauf, dass die Stadt wie viele Kommunen im Berliner Speckgürtel äußerst begehrt sei bei Zuzüglern. Etwa 26.000 Einwohner zählt Hohen Neuendorf aktuell. Es dürften in den kommenden Jahren noch viele hinzukommen, doch Bauland ist eben knapp. Da liegt der Abriss der Kleingartensparte offenbar nahe.
Verband setzt auf Feststellungsklage
Rein rechtlich sei dies laut Bundeskleingartengesetz durchaus möglich, räumt Harald Böttcher vom Verband der Garten- und Siedlerfreunde (VGS) Oberhavel ein. Darin ist geregelt, dass Wohnungsbau über den Interessen der Gartenpächter steht. Doch daran sind Bedingungen geknüpft. Dazu zählen laut Böttcher ein bestätigter Bauplan sowie die Beauftragung von Architekten und Unternehmen.
"Aber das ist hier alles noch in weiter Ferne", betont der VGS-Chef. Deshalb pocht er darauf, dass der Pachtvertrag unbefristet verlängert wird. Am Ende würde das die Kleingartensiedlung auf dem gemeindeeigenen Land nicht wirklich schützen. Doch die Pächter hätten im Notfall wenigstens Anspruch auf eine Entschädigung. Böttcher hat jetzt am Amtsgericht Oranienburg eine Feststellungsklage eingereicht.
Rollen die Bagger an?
Doch die Zeit drängt. Schließlich läuft die Gnadenfrist für die grüne Oase in Hohen Neuendorf Ende Februar aus. Und in der Kolonie machen Gerüchte die Runde, schon am 1. März könnten Planierraupen anrücken. Stadtsprecher Daniel Dinse will dies nicht bestätigen. Konkret sei das weitere Vorgehen noch nicht geplant.
Kampflos will Detlef Przymusinski seine Sparte jedenfalls nicht aufgeben. Der 67-Jährige hat früher im Hennigsdorfer Stahlwerk am Ofen gearbeitet. 1988 gehörte er zu den ersten, die hier Beete angelegt und sich kleine Häuschen gezimmert haben. "Das wurde alles mit eigenen Kräften und eigenem Geld aufgebaut", erinnert sich der Vereinschef.
Dass 34 Jahre später alles weggebaggert werden soll, mag er sich gar nicht vorstellen. "Ich finde es absolut unmöglich und gegen jede Vernunft. Das ist das einzige Stadtgrün, das wir als Kompensation haben", so Przymusinski. Er verweist darauf, dass hier ganzjährige Pflanzen blühen. Das sei für die Insekten wichtig. Außerdem gebe es eine soziale Komponente. "Diese Gemeinschaft hier ist gewachsen", warnt der Vorsitzende des Kleingartenvereins. Die Stadt will auf dem Areal trotzdem lieber Wohnungen bauen.
Sendung: Brandenburg aktuell, 11.02.2022, 19:30 Uhr
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