Porträt | Syrische Geflüchtete in der Pflege - "Jeder sagt: Danke, danke, danke, du bist hier"

Sa 26.02.22 | 12:52 Uhr | Von Cosima Jagow-Duda
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Pfleger aus Syrien betreut eine Seniorin. (Quelle: rbb)
Video: Unser Leben: rbb-Fernsehen | 19.02.2022 | Cosima Jagow-Duda | Bild: rbb

Bis 2030 fehlen in Deutschland etwa 500.000 Pflegekräfte. Geflüchtete könnten hier eine Zukunft haben, so wie Rawa und Salam aus Homs in Syrien. Von ihren Erfahrungen profitieren auch die Menschen, die sie betreuen. Von Cosima Jagow-Duda

"Mein Spielplatz" nennt Salam Masoud den Gang mit den 16 Zimmern des Wohnbereichs A im Neuköllner Herrmann Radtke Seniorenheim. Dabei kann von Spielen keine Rede sein. Hinter jeder Tür wartet ein betagter Mensch auf den 42-jährigen Pflege-Azubi: Frau Krüger will nicht mit kalten Händen geweckt werden, ihre Nachbar hat heute Schmerzen und schlechte Laune und Frau Trolldenier muss dringend eingecremt werden.

"Ich bin alt und pflegebedürftig geworden", klagt sie. Salam entgegnet freundlich: "Sagen Sie das nicht. Sie sind noch jung! Sie geben uns immer dieses Lächeln!". Das mit dem "jung" glaubt sie ihm nicht. Aber Salams arabischer Charme hat seine Wirkung nicht verfehlt. Frau Trolldenier muss herzhaft lachen. "Wir freuen uns immer, wenn er da ist – das ist auf er ganzen Station so!"

Pflegekräfte aus Syrien Rawa und Salam. (Quelle: rbb)
Rawa Alhallit (li) und Salam Masoud | Bild: rbb

Auch Einrichtungsleiter Stefan Perkiewicz freut sich über seine Auszubildenden mit Fluchterfahrung, nicht nur weil sie die Personaldecke verstärken. "Früher waren es mehr Menschen mit Hintergründen aus Polen und Russland, jetzt sind es die Menschen mit Fluchterfahrung, die unsere Einrichtungen mit ihren Erfahrungen zunehmend bereichern. Zum Beispiel weil sie – vielleicht gerade wegen der fremden Sprache – auf der Gefühlsebene auch durch nonverbale Ausdrucksweise kommunizieren. Das ist besonders bei Bewohnern mit Demenz sehr wichtig. Und weil viele in Ihren Heimatländern Erfahrungen gemacht haben, von denen wir ebenfalls profitieren."

Neues Land, neues Leben – neuer Beruf

Salam war in Syrien Zahntechniker und Geschäftsführer einer Medizintechnik-Firma. Seine Frau Rawa hatte als Ingenieursassistentin gearbeitet, bevor sie mit ihren beiden Kindern vor dem Krieg in Homs flüchtete. Nach einem ersten Pflegepraktikum in Deutschland wusste Rawa, dass ihr ein Beruf mit Menschen liegt. Hier kann sie mit viel Gefühl arbeiten, viel mehr als in ihrem ersten technischen Beruf. Die 37-Jährige begann ihre Ausbildung vor zwei Jahren bei der Diakonie, ihr Ehemann Salam folgte ein Jahr später.

Beide gehören zu den ersten Jahrgängen der neuen generalistischen Pflegeausbildung in Berlin. Nach Ihrem Examen können sie frei wählen, in welchem Pflegebereich – Krankhaus oder Altenpflege – sie arbeiten möchten. Schon aufgrund des Pflegemangels wird man sie überall mit offenen Armen empfangen. Rawas Entscheidung steht jetzt schon fest. "Ich will mit den alten Menschen arbeiten. Im Krankenhaus gibt es jeden Tag andere Patienten. Aber hier im Altenheim bleiben die Bewohner bei uns und dann werden wir eine Art Familie. Immer wenn ich in das Seniorenheim komme, ist es so, wie wenn ich nach Hause komme, zu meinen Eltern, zu meinen Großeltern."

Alte Menschen leben anders in Deutschland

Rawa vermisst ihre Eltern, die bei Ihrem Bruder in Syrien leben, sehr. Durch die Ausbildung, die gerade auch in der ambulanten Pflege stattfindet, lernte sie viele alten Menschen kennen: "Ich finde es traurig, dass viele Menschen alleine leben", sagt sie. "In Syrien lassen wir die Menschen nicht allein am Ende Ihres Lebens. Sie sind immer bei der Familie."

Die Erfahrung der Großfamilie, in der die alten Familienmitglieder bis zum Tod gepflegt werden, teilen viele Mitschülerinnen und Mitschüler von Salam und Rawa. In der Berufsfachschule der Kreuzberger Stiftung SPI haben inzwischen 65 Prozent ausländische Wurzeln, Tendenz steigend. Neben vielen Deutschen mit Migrationshintergrund trifft man dort junge Frauen aus Vietnam oder von den Philippinen, die gezielt für einen Pflegeberuf angeworben worden sind.

Herausforderung für Auszubildende mit ausländischen Wurzeln

Auch Geflüchtete kommen immer mehr in die Ausbildung, selbst wenn längst nicht alle, die mit einem Praktikum beginnen bis zum Examen durchhalten. Die Geflüchteten in der Stiftung SPI sind meist älter als die anderen Azubis. Einige haben wie Rawa und Salam schon Kinder und eine gute Ausbildung oder ein Studium im Heimatland hinter sich. Vielleicht konnten sie auch deshalb die sprachlichen Hürden für die Ausbildung leichter nehmen.

Denn die Sprache ist die größte Herausforderung, betont Dozentin Birgit Thaeter. Und natürlich muss man für diesen Beruf auch geschaffen sein, mit Empathie und Offenheit, kommunikativ, ohne Berührungsängste. Das sind nicht alle Geflüchteten und wohl auch die meisten Deutschen nicht. Salam wundert das: "Ich habe auch überlegt, warum die Deutschen kein Interesse haben an diesem Beruf. Und bis jetzt habe ich diese Antwort nicht gefunden." Seine eigene Antwort nach dem ersten Jahr ist klar: "Ich bin begeistert von dieser Arbeit. Es ist echt schön. Man bekommt viele Komplimente, den ganzen Tag, was braucht man mehr? Jeder sagt, danke, danke, danke, du bist hier!"

Sendung: rbb-Fernsehen "Unser Leben", 19.02.2022, 17:20 Uhr. Das Video ist noch bis zum 19.02.2022 in der Mediathek abrufbar.

Beitrag von Cosima Jagow-Duda

8 Kommentare

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  1. 8.

    Ja, sie haben Recht. Es gibt solche und solche, ich bin mit dem generellen Zugezogen Meckern nicht einverstanden. Der Herr Reinickendorfee hat mich überhaupt nicht verstanden, es geht hier nur um Leute die arbeiten könnten, aber keinen Bock haben.

  2. 7.

    Da mögen Sie ja nicht ganz daneben liegen, aber genau diese soziale Hängematte ist doch das eigentliche Problem, bei manch einem Deutschen wie teilweise bei Schutzsuchenden. Wenn keine Leistung mehr eingefordert wird, wird das Sozialsystem auch missbraucht und das schürt Widerspruch. Ich kenne einige Syrer, die fleißig und gern arbeiten, es gibt aber auch eine Menge Gegenbeispiele und jede Forderung, bei Letzteren etwas einzufordern, wird von geneigten Kreisen schnell als Rassismus ausgelegt. Es sind gerade die Parteien, die ständig Solidarität für die Schwachen fordern, die dies als Einbahnstraße verstehen und damit Solidarität ad absurdum führen, weil es dann zum Ausnutzen wird, vollkommen unabhängig von der Nationalität der hier Lebenden.

  3. 6.

    Ich kenne von 2768 Fällen leider keine Erfolgsgeschichte."
    Und ich kenne von 28456 Fällen 28455 Erfolgsgeschichten.
    So.

  4. 5.

    Was genau wollen Sie uns damit sagen. Dass die Deutschen alle faule Säcke sind. Verdammt anmaßend muss ich sagen. Ich habe mittlerweile 43 Jahre auf dem Buckel. Soll ich mir von ihnen sagen lassen dass ich faul bin? Vielleicht sollten Sie etwas mehr differenzieren bevor sie hier irgendwelche Pauschalurteile abgeben.

  5. 4.

    Ja, erstmal 2, besser als nix.
    Und wieviele Deutsche gehen nicht mehr arbeiten? Die haben keine Sprachhürden aber keinen Bock, lieber in der sozialen Hängematte liegen. Solange es diese Leute gibt, können wir nicht auf die "Zugezogen" schimpfen und einige dürfen gar nicht arbeiten.

  6. 3.

    Es gibt vereinzelt auch positive Beispiele, wenn man lange genug sucht. Ich kenne von 2768 Fällen leider keine Erfolgsgeschichte.

  7. 2.

    Die werden den knochenjob nicht lange durchhalten.
    Aber versucht mal euer Glück

  8. 1.

    2 von ...wieviele sind 2015/16 als Fachkräfte gekommen? Und ausgerechnet der Habeck von den Grünen überlegt jetzt woher die Fachkräfte für die Wirtschaft kommen sollen, wenn so viele deutsche in Rente gehen. Ins eigene Knie geschossen, liebe Grüne!

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