Protestbewegung "letzte Generation" - Wer die Autobahn-Blockierer:innen sind

Seit bald zwei Wochen blockieren die Aktivist:innen der Bewegung "Aufstand der letzten Generation" fast jeden Morgen Teile der Stadtautobahn und sorgen für lange Staus. Aber wer steht eigentlich hinter der Bewegung? Von Hendrik Schröder
Carla Hinrichs ist 24 Jahre alt und studiert eigentlich Jura in Bremen. Doch ihr Studium hat sie unterbrochen, um sich hauptberuflich für die Bewegung "Aufstand der letzten Generation" zu engagieren: "Ich bin dazu gekommen, weil ich die letzten Jahre viel auf der Straße war, demonstriert habe, Petitionen geschrieben habe und das alles leider nichts gebracht hat."
Nun sei es an der Zeit für radikalere Proteste, sagt sie, denn die Welt sei auf dem Weg in eine Katastrophe: "Wo kann man in Deutschland die größtmögliche Störung hervorrufen, wenn nicht auf deutschen Autobahnen?" Größtmögliche Aufmerksamkeit für ihre Themen durch größtmögliche Störung der täglichen Routine, so das Kalkül der Aktivist:innen.
Die Polizei zählte zwischen dem 24. Januar und 8. Februar insgesamt 29 Blockaden auf verschiedenen Straßen und Plätzen in Berlin, darunter auch auf Autobahnauf- und -ausfahrten. Zwischen fünf und 50 Teilnehmer setzten oder legten sich dabei auf die Straßen, viele waren mehrfach dabei.
250 Menschen zwischen 19 und 72 Jahren
Erstmals aufgefallen ist die Gruppe durch einen 27-tägigen Hungerstreik im vergangenen Sommer im Regierungsviertel. Ihre Forderung damals war ein Gespräch mit dem damaligen Kanzlerkandidaten und jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Thema Klima. Als gewaltfreien, zivilen Ungehorsam beschreiben die Aktivisten ihre Protestform.
Nach eigenen Angaben besteht die Gruppe aus deutschlandweit circa 250 Menschen zwischen 19 und 72 Jahren – und bildet einen Querschnitt aus der Gesellschaft; Handwerker, Angestellte, Studierende, Akademiker. Viele von ihnen waren vorher in Gruppen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion aktiv. "Wir sind eine große Klimagerechtigkeitsbewegung", sagte Sprecherin Carla Hinrichs am Mittwoch. Sie alle eine die Überzeugung, dass wirkungsvoller Protest nun radikaler werden müsse.
Die Forderungen
Konkret fordert die Gruppe von der Bundesregierung, ein Gesetz zu erlassen, dass das Wegwerfen von Lebensmitteln verhindert. 18 Millionen Tonnen wandern jedes Jahr in den Müll, sagt Carla Hinrichs, das sei eine Lkw-Ladung pro Minute. Diese Lebensmittel zu retten, wäre ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz. Einen entsprechenden Gesetzentwurf, der zum Beispiel Supermärkte zum Spenden nicht mehr benötigter Lebensmittel verpflichtet, haben sie bereits ausarbeiten lassen.
Radikale Protestformen für mehr Aufmerksamkeit
Dass der Protest von Umweltaktivisten nun solche radikalen Formen annimmt, habe mehrere Gründe, sagt der Protestforscher Michael Neuber von der TU Berlin: "Angesichts der Corona-Pandemie geht die Aufmerksamkeit weg von der Klimaproblematik hin zu Lockdowns, Impfungen und so weiter. Damit hat die Klimabewegung zu kämpfen."
Auf der anderen Seite fürchten die Aktivisten, so Neuber, dass das Engagement gegen den Klimawandel in der Bevölkerung nachlässt, weil nun die Grünen mit in der Regierung sitzen und viele denken, dass das reiche.
Genervte Autofahrer
Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma unterstützt den Protest. Es brauche mehr, friedliche Proteste für Klimagerechtigkeit: "Was wir gerade sehen, ist, dass wieder junge und alte Menschen gemeinsam fürs Klima auf die Straße gehen. Das ist gleichzeitig ein Resultat der sich zuspitzenden Klimakrise und der politischen Untätigkeit." Dadurch sei es nur logisch, dass mehr Menschen auf die Straße gehen, so Reemtsma. "Ist es nicht total absurd, dass wir uns darüber aufregen, dass Menschen 15 Minuten im Stau stehen."
Die Protestform der "letzten Generation" ist umstritten, vor allem bei den blockierten Autofahrern. In Videos im Internet war zu sehen, dass die erzürnt und zum Teil aggressiv versuchten, sitzende oder liegende Blockierer von der Straße zu ziehen oder zu zerren. Solche Protestformen könne man nicht ewig aufrecht erhalten, sagt Protestforscher Neuber, irgendwann sei die Strategie aufgebraucht und der Nachrichtenwert nehme ab, dann müsse man sich etwas neues überlegen.
Bei den Aktivisten hingegen klingt das derzeit noch anders. Um die Menschen im Stau tue es ihr leid, sagt Hinrichs, niemand möge den Feueralarm. Ihre Gruppe sei aber nun mal der Feueralarm und werde so lange weiter protestieren, bis ihre Forderungen erfüllt seien. Auch für die kommenden Tage hat die Initiative weitere Autobahn-Blockaden angekündigt. Man werde so lange auf die Straße gehen, "bis es eine zeitlich verbindliche Zusage zu dem Gesetz" gibt.
Sendung: Abendschau, 09.02.2022, 19:30 Uhr
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