"Zero-Waste"-Konzept - So will die Berliner Regierung Elektroschrott wiederbeleben
In Berlin landen pro Jahr rund 50.000 Tonnen Elektrogeräte auf dem Müll, viele davon durchaus noch funktionsfähig. Die Berliner Landesregierung will mit dem 2021 beschlossenen "Zero Waste" die Strategie ändern. Hans Ackermann erklärt das Konzept.
Der Motor läuft, aber das Messer der Küchenmaschine steht still: Mit diesem "Fall" habe ich mich beim "Repair Café Schöneberg" zum Online-Selbstversuch angemeldet. Zur verabredeten Zeit werde ich in den Chatraum gelassen, dort wartet schon Rüdiger Bittner auf dem Bildschirm.
Der ehrenamtliche Elektro-Experte schlägt vor, dass wir gemeinsam in das Innere der Maschine schauen. Ich richte dafür meine Webcam auf die Maschine aus, drehe dann unter den Augen des Experten vier Schrauben aus dem Gehäuseboden und finde wenig später im Inneren einen gebrochenen Antriebsriemen vor - so einfach geht das also mit dem Reparieren.
Hilfe zur Selbsthilfe im Reparatur-Café
Organisiert wird der Workshop von Daniel Affelt. Er ist Mitglied in der Umweltorganisation BUND und hat das Schöneberger Repair Café vor acht Jahren gegründet. "Hilfe zur Selbsthilfe" wolle man hier bieten. "Wir möchten Reparaturwissen an die Menschen weitergeben und freuen uns, wenn sie die Angst verlieren, mal in so ein Gerät hineinzuschauen", sagt Affelt.
Mutig in Küchenmaschinen und andere scheinbar defekte Geräte hineinzuschauen ist eine vorzügliche Möglichkeit, den Berg aus Elektroschrott zumindest ein Stück weit abzutragen. Weltweit türmen sich pro Jahr 50 Millionen Tonnen auf, ein Fünftel davon in der EU. Dort sieht Daniel Affelt durchaus positive Entwicklungen im Kampf gegen den Elektroschrott. Gerade hätten unsere französischen Nachbarn einen Reparatur-Index eingeführt, so Affelt. "Da erkennen die Konsumentinnen und Konsumenten anhand einer Kategorisierung zwischen 1 und 10 schon beim Kauf, wie gut sich ein Gerät später reparieren lässt." Ein solcher Index sei natürlich auch in Deutschland wünschenswert, ebenso sogenannte Reparaturprämien, wie sie etwa in Wien gezahlt werden.
"Gute Entwicklungen" sehe der Umweltschutzaktivist aber auch in Berlin, wo im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung jetzt ein Reparaturnetzwerk skizziert worden sei. "Das ist für uns eine ganz wichtige Sache, wenn so ein Netzwerk gegründet wird." Mit Beteiligung der Handwerkskammer, der Entsorgungswirtschaft und den ehrenamtlichen Initiativen werde die Reparaturbewegung damit "von allen Seiten" gestärkt.
Mit Laptops fast zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalent einsparen
Was auch dringend notwendig ist, denn in Berlin müssen pro Jahr immerhin rund 50.000 Tonnen Elektroschrott bewältigt werden. Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich dabei um äußerst kostbaren Schrott, wie Benjamin Bongardt sagt. Er leitet das Referat "Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung" in der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. "Wenn ich daran denke, welche Rohstoffe in Elektrogeräten verbaut sind und welcher CO2-Rucksack in solchen Geräten steckt, liegen die großen Umweltschutz-Potentiale bei den Elektrogeräten."
Den "CO2-Rucksack" verschiedener Produkte hat die Senatsverwaltung schon vor Jahren in einer Studie des Heidelberger Instituts für Energie- und Umweltforschung berechnen lassen. Ergebnis: Verdoppelt man zum Beispiel die Lebensdauer eines Laptops mit einem neuen Akku und einer neuen Festplatte von drei auf sechs Jahre, spart diese Weiterverwendung die Hälfte des CO2-Äquivalents, das zur Herstellung eines neuen Geräts verbraucht würde.
Bezogen auf geschätzte 200.000 Laptops, die dann in Berlin pro Jahr weiterverwendet werden könnten, ließen sich auf diese Weise fast zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalent einsparen.
Wiederverwenden oder Wiederverwerten
Trotz eindeutiger Zahlen ist die Wiederverwendungs-Quote von Elektrogeräten in Deutschland mit weniger als 5 Prozent aber nur gering. 95 Prozent der ausrangierten Elektrogeräte werden stattdessen zerlegt und verwertet. Wenn dabei die Gehäuse der Geräte und ihre Leiterplatten geschreddert werden, lassen sich zwar Ressourcen zurückgewinnen, gleichzeitig sind viele der eigentlich nur reparaturbedürftigen Geräte damit endgültig zerstört.
Besonders im Bereich der Computertechnik, meint Bongardt, könne man wesentlich höhere Wiederverwendungs-Quoten erreichen. "Unsere Erfahrung aus der öffentlichen Verwaltung ist, dass man durchaus bis zu 50 Prozent der Geräte einem 'Refurbishment' zuführen könnte - also Akku und Festplatte austauschen - und damit auch noch Geld sparen würde."
"Zero Waste" durch nachhaltige Kreislaufwirtschaft
Das Abfallproblem kann nach Meinung vieler Experten nur in einer konsequenten Kreislaufwirtschaft bewältigt werden. "Ein Kreislauf ist dann gegeben, wenn ein Produkt, das kaputt geht, nochmal repariert und weitergenutzt wird - oder wenigstens Teile davon in einer neuen Maschine verbaut werden können." Bongardt wünscht sich, dass damit der Nachhaltigkeits-Gedanke früherer Gesellschaften wiederbelebt wird. "Damit erreichen wir einerseits eine Schonung der natürlichen Ressourcen und tragen gleichzeitig etwas zum Klimaschutz bei."
Und nicht nur das: Durch Reparatur und Wiederverwendung entstehen auch Arbeitsplätze - Schätzungen zufolge in der Wiederverwendung dabei zehnmal mehr als in der Wiederverwertung. So hat etwa die Berliner Firma "Rebuy" mit ihren mehr als 500 Mitarbeitern im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben rund 180.000 wiederaufbereitete Smartphones in den Kreislauf zurückgebracht.
Müllvermeidung: Öko- oder Basis-Szenario?
Bis 2030, so Referatsleiter Bongardt, habe man sich mit der Berliner "Zero-Waste"-Strategie vorgenommen, den Abfall drastisch zu reduzieren. Bongardt betont, dass das "Zero Waste"-Leitbild aber nicht nur für "alte Radios", sondern für den gesamten Abfall der Stadt gelte, ingesamt mehrere Millionen Tonnen jährlich. Diese unvorstellbare Menge möchte der Senat bis 2030 drastisch reduzieren, mit einer Reihe von Maßnahmen, die im 2021 beschlossenen "Abfallwirtschaftskonzept" des Senats auf rund 160 Seiten beschrieben werden.
In diesem Konzept geht die Senatsverwaltung allerdings von zwei unterschiedlichen Szenarien aus: ein "Öko-Szenario", bei dem sich zwei Drittel der Berliner Bevölkerung aktiv an der Müllvermeidung beteiligen, und ein "Basis-Szenario", bei dem nur ein etwa ein Drittel mitmacht. Welche dieser beiden "Müllprognosen" wahr wird und wie nah das "Zero-Waste-Konzept" im Jahr 2030 dann tatsächlich an das "Null-Abfall"-Ziel herankommt, entscheiden am Ende also allein die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Verhalten, meint Referatsleiter Bongardt. "Wenn mehr mitmachen, umso besser, dann erreichen wir das Öko-Szenario aus dem Abfallwirtschaftskonzept. Wenn weniger mitmachen, erreichen wir nur die Zahlen des Basis-Szenarios."
Sendung: Kulturradio, 31.01.2022, 06:24 Uhr