Geplante Asphaltierung - Fußgänger und Radfahrer streiten sich um Spreeradweg in Berlin-Moabit
Häufig streiten Fahrrad- und Fußgänger-Lobby in Berlin gemeinsam für mehr Rechte im Straßenverkehr. In Moabit streiten sie nun gegeneinander um den Uferweg, der dem touristischen Spreeradweg weichen soll. Von Tom Garus
Plötzlich legt der Bagger los. Das ist Montagmorgen vergangene Woche. Eine vom Bezirk Mitte beauftragte Baufirma gräbt sich in den Fußweg des Schleswiger Ufers in Moabit. Christa Spannbauer telefoniert zuerst, schreibt dann mit vielen anderen Anwohnenden der Bürgerinitiative Spreeufer eine Beschwerde-Mail nach der anderen.
Sie fluten das Postfach von Almut Neumann, Bezirksstadträtin für Ordnung, Umwelt, Natur, Straßen und Grünflächen. Eine Grüne, die die Bagger kommen ließ, um den Uferweg auf einer Länge von rund 1,9 Kilometern auf bis zu drei Metern Breite asphaltieren zu lassen. Christa Spannbauer kann das nicht fassen: "Wir asphaltieren doch keinen Uferpark mehr! Die neue Regierung spricht davon, dass wir entsiegeln. Warum sollten wir denn dann einen Uferweg asphaltieren?"
Grüne Stadträtin für Asphalt
Weil es nicht so schlimm sei, verteidigt Stadträtin Almut Neumann die Entscheidung. Denn "an der bestehenden Versickerungssituation ändert sich nichts Wesentliches. Die Niederschläge werden auch zukünftig nicht in die Kanalisation geleitet, sondern versickern am Wegesrand", sagt sie.
Worum geht es? Die Uferwege in Moabit sollen Teil des rund 360 Kilometer langen Spreeradweges werden, der auch durch Sachsen und Brandenburg führt. Um die letzten Kilometer bis zur Spreemündung in die Havel gibt es heftigen Streit - aktuell in Moabit. Denn die Bürgerinitiative und der Fußgänger-Lobbyverein FUSS e.V. fürchten, die Asphaltierung des Uferweges würde die zukünftigen Fahrradtouristen zum Schnellfahren verleiten.
Vor allem für alte Menschen und Kinder aus der Nachbarschaft käme es dadurch zu gefährlichen Situationen. Das erlebe man an vielen anderen Stellen auch, warnt Roland Stimpel von FUSS e.V.: "Überall da, wo solche Wege geschaffen sind, wird schneller gefahren, da dominiert schließlich der schnellere Verkehr über die entspannte Erholung." Dabei sollten Uferwege ein Kontrastraum bleiben zur hektischen Verkehrsatmosphäre in der Stadt, findet Stimpel.
ADFC stellt sich gegen FUSS e.V.
Die grüne Bezirksstadträtin Almut Neumann sieht das anders: "Ein asphaltierter Weg ermöglicht es mobilitätseingeschränkten Personen, also beispielsweise Menschen im Rollstuhl, mit Rollator oder auch mit Kinderwagen, den Weg gut nutzen zu können, [...] ganzjährig und auch bei Nässe. Würde Kies oder Tenne verwendet, wäre beides leider nicht gewährleistet."
Der ADFC, die Fahrradfahrer-Lobby, sieht es ähnlich, denn "unbefestigt wie er jetzt ist, verwandelt sich der Weg im Regen in eine Matschwüste. Gerade für ältere Menschen ist der Weg deshalb nach schlechtem Wetter derzeit nicht nutzbar."
FUSS e.V.: "Das Gegenteil von grüner Politik"
Der ADFC ist für den Radweg und liegt mit Roland Stimpel von FUSS e.V. über Kreuz. Sonst verstünden sich beide Interessenlager gut, sagt Stimpel, hier aber nicht: "Das Fahrrad ist dann grün und Umweltschutz, wenn es auf der Straße stattfindet und Autoverkehr ablöst. Wenn aber zusätzlicher Fahrradverkehr in bisher grünen Räumen stattfindet, wenn dafür Asphalt im großen Stil verkleckert wird, wenn dort Tempo reinkommt, wo das Auto bisher Räume verschont hat, dann ist das das Gegenteil von grüner Politik."
Grüne gegen Grüne. Und viel Frust bei Christa Spannbauer. Denn den Anwohnenden sei bereits 2018 vom Bezirk versprochen worden, die Bebauungspläne nicht nur einsehen zu können, sondern auch ein Wörtchen mitzusprechen. Seitdem habe sie nichts mehr vom Bezirk gehört.
Bis dann der Bagger kam und die Bezirksstadträtin nach einer Flut von Beschwerden die Anwohnenden am Montag vergangener Woche vor Ort über die Bauarbeiten informierte. "Als wir dann fragten, wo denn die Pläne wären, wurde uns gesagt: Die Pläne sind noch nicht da und die könnten wir auch nicht einsehen. […] Von daher sind sehr viele Menschen sehr empört, die hier wohnen."
Bezirksstadträtin räumt Fehler ein
Es sei nicht optimal gelaufen, räumt Bezirksstadträtin Almut Neumann auf rbb-Nachfrage ein, "ich sehe, dass wir die erfolgten Anpassungen der Planungen besser hätten kommunizieren können. Ich werde interessierten Anwohnenden die Möglichkeit einräumen, die Planungsunterlagen einzusehen", sagt sie. Außerdem sollen die Pläne online gestellt werden. An den Bebauungsplänen am Schleswiger Ufer sei hingegen nicht mehr zu rütteln, ebenso wenig an denen für das Holsteinufer, denn "da der Bauvertrag geschlossen ist, wären solche grundsätzlichen Plananpassungen zudem mit hohen finanziellen und zeitlichen Risiken verbunden."
An anderer Stelle hatte der FUSS e.V. mehr Erfolg: An dem Uferabschnitt zwischen Charlottenburg und der Altstadt Spandau entschied sich der Senat nach anhaltender Kritik dazu, nur einen kleinen Teil der Strecke zu asphaltieren.
FUSS e.V. sieht generelle Tendenz
Darauf hofft Christa Spannbauer nun auch für den Teilabschnitt in Moabit, obwohl sie bereits um die Knallerbsensträuche am Schleswiger Ufer trauert: "Wir haben hier Sträucher, die in den 1950er Jahren gepflanzt wurden und in der Zeit des Artenschutzes und wo wir etwas gegen das Insektensterben tun müssen, ist es ein ganz wichtiges, kleines Biotop inmitten der Stadt. Auch für unsere Vögel: Das sind Nistplätze für Nachtigallen und Rotkehlchen", ist ihre Meinung.
Für Roland Stimper von FUSS e.V. reiht sich der Ausbau des Spreeradweges in eine generelle Entwicklung: "Es gibt ja viele Uferwege, die sind jahrzehntelang vom Autoverkehr verschont worden. Das waren letzte Fluchtorte, wo man mal ganz entspannt und fern von der Welt sein konnte. Die sollen jetzt nicht auch noch zu asphaltierten Verkehrswegen werden."
Sendung: Abendschau, 22.02.2022, 19:30 Uhr