Plattformarbeit in Berlin - Was gegen die Ausbeutung von Lieferfahrern getan werden kann

Zu tausenden radeln sie durch die Berliner Straßen und liefern Lebensmittel – oft unter schlechten Bedingungen. Deshalb haben sich einige Lieferfahrer aufgelehnt. Der Arbeitskampf zahlt sich aus – aber nicht für alle. Von Laura Kingston
"Ich dachte, ich hätte mein Genick gebrochen," sagt Baris. Das war einer seiner ersten Arbeitstage als Gorillas-Fahrer. Er habe das schwere Gewicht seines Rucksacks nicht balancieren können, sei hingefallen, der schwarze Kastenrucksack auf seinen Kopf. Am Ende war "nur" sein Knie kaputt.
Baris ist einer der Gorillas-Fahrer, die sich seit mehr als einem Jahr für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen – vor allem im vergangenen Sommer lautstark – und medienwirksam. Das Medienecho ist inzwischen verklungen. Doch was hat sich für Plattformarbeiter wie Baris verändert?
Noch immer Unsicherheit über Beschäftigungsstatus
Plattformarbeiter liefern den Berlinern nicht nur Essen. Sie putzen auch ihre Wohnungen, babysitten, pflegen ihre Angehörigen, fahren sie von A nach B.
Eines haben die meisten Plattformunternehmen gemeinsam: Sie boomen in Großstädten wie Berlin. Insgesamt arbeiten in Deutschland zurzeit – je nach Studie – zwischen 500.000 und 2,7 Millionen Menschen für Plattformen. Genauere Zahlen für Berlin gibt es nach Angaben der Senatsverwaltung für Arbeit nicht, da "viele Gigworker nicht hauptberuflich über Plattformen arbeiten und/oder als solo-selbständig gelten."
Genau das war in den letzten Jahren häufig Grund für Kritik von Seiten der Gewerkschaften. Denn wer soloselbständig ist, hat zum Beispiel keine Garantie auf Mindestlohn. So auch bei der Plattform "Helpling", einem Vermittler von Putzkräften. Helpling bezeichnet sich selbst als Vermittler, Reinigungskräfte haben einen "Vermittlungsvertrag", keinen Arbeitsvertrag.
Genau mit dieser Argumentation ist Uber vorm höchsten Gericht in London gescheitert. Die Entscheidung: Uber-Fahrer sind keine "soloselbständige Partner", wie Uber sie bis dahin bezeichnet hatte, sondern Arbeitnehmer mit den dazugehörigen Rechten.
Noch immer wenig Sicherheit
Aber auch Plattformen, die Arbeiter anstellen, werden noch immer für ihre Arbeitsbedingungen kritisiert. Zum Beispiel in puncto Sicherheit: Baris ist mit seinem Arbeitsunfall nicht allein. Nach einer kleinen Anfrage der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus sind 252 Arbeitsunfälle, 454 Betriebswegeunfälle, 82 Wegeunfälle (auf dem Weg zur Arbeit) von in Berlin gemeldeten Lieferdienstfahrern gemeldet worden.
Was es braucht, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern
Ein Zusammenschluss aus internationalen Forschenden hat sich unter dem Projektnamen "Fair Work" zum Ziel gesetzt, dass "faire und bessere Jobs in der Plattformökonomie möglich sind", wie es auf der Internetseite des Projekts heißt. Es hat seine Basis an der Oxford-Universität in England und am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).
In ihrem aktuellen Report "Fair Work Rating 2021/2022" [fair.work] beschreiben die Forschenden mehrere Kriterien für faire Arbeit. Dabei geht es nicht nur um das Thema Sicherheit, sondern vor allem auch um die Mitbestimmung der Arbeitenden.
1. Mitbestimmung der Arbeiterinnen und Arbeiter
Nach langem Protest hat Gorillas seit Ende 2021 einen Betriebsrat – in Berlin. Die einzige Lieferplattform, die bisher Betriebsräte in mehreren Städten und sich mit einer Gewerkschaft zusammengetan hat, ist nach Angaben von "Fair Work" der Lebensmittellieferdienst "Lieferando". Und es hat offenbar etwas gebracht: Lieferando stellt seinen Mitarbeitenden laut der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten ein Handy und ein Fahrrad und bietet ihnen unbefristete Arbeitsverträge.
2. Klare Haltung der Politik
Plattformarbeiter:innen sind nicht allein für ihr Schicksal verantwortlich – sie sind darauf angewiesen, dass der Gesetzgeber sich auf die relativ neue Form der Plattformarbeit einstellt. Die Arbeitsrechtlerin Johanna Wenckebach sagt "Das Recht ist immer etwas hinterher hinter dem, was in der Arbeitswelt an Realitäten geschaffen wird." Die Arbeitssenatsverwaltung sagte auf rbb-Anfrage, "Berlin werde sich im Bund dafür einsetzen, Arbeitsrechte und betriebliche Mitbestimmung in der Plattformökonomie zu stärken." Zudem teilte eine Sprecherin der Arbeitssenatsverwaltung mit, es solle "dem Abgeordnetenhaus bis Herbst 2022 ein Konzept für eine Informations- und Beschwerdestelle für Arbeitsschutz vorgelegt."
Doch es werde, so Wenckebach, zu wenig Geld in die Kontrollen der Arbeitsbedingungen vor Ort gesteckt: "Das macht es eben in der Praxis leicht für Arbeitgeber, gesetzliche Vorschriften, die eigentlich bestehen, zu umgehen". In Berlin ist dafür das "Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit" (LAGetSi) zuständig.
3. Das können Konsument:innen tun
"Es ist wichtig, dass wenn man solche Angebote schon nutzt, dass man zwischen den Praktiken verschiedener Plattformen und auch, inwieweit Plattformen faire Arbeit garantieren – unterscheidet", sagt Tatiana López, Mitarbeiterin des Wissenschaftszentrums Berlins. Sie ist auch Teil des Forschungsnetzwerks Fair Work, das kürzlich seinen neuesten Report für Plattformunternehmen in Deutschland herausgebracht hat. In dem wurden, Mitarbeitende von 12 unterschiedlichen Plattformen befragt. Die Kriterien: Faire Bezahlung, Faire Bedingungen, Faire Verträge, Faires Management, Faire Repräsentation der Arbeiter.