Modernes Bauen - Berlin will großflächig das Regenwasser besser nutzen

Berlin leidet zunehmend unter Trockenheit. Geht Starkregen über der Hauptstadt nieder, kommt es schnell zu Überschwemmungen. Um sich für den Klimawandel zu wappnen, soll die Metropole zur "Schwammstadt" werden. Von Franziska Ritter
Eine Neubausiedlung in Berlin: Wenn es über den Häusern des Quartiers 52° Nord in Grünau regnet, fließt das Wasser nicht einfach in die Kanalisation. Es versickert in Mulden, verdunstet auf begrünten Dächern und läuft in ein 6.000 Quadratmeter großes Wasserbecken, das der Blickfang der Anlage ist. Das bis zu 80 Zentimeter tiefe Bassin fängt über unterirdische Rohre das Niederschlagswasser auf, das auf die Dächer der angrenzenden Gebäude und die versiegelten Flächen fällt.
"Wir brauchen Regenwasser, um die Vegetation zu versorgen und damit über die Verdunstung die Stadt gekühlt wird", erläutert Darla Nickel, während sie den Gehweg am Rande des Wasserbeckens entlang spaziert. Die Hydrologin leitet die Berliner Regenwasseragentur, die der Senat und die Wasserbetriebe 2018 gegründet haben, um Grundstückseigentümer und Investoren in der Bauplanung zu beraten.
Regenwasser soll vor Ort bleiben
Regenwasser ist eine Ressource, die in Zeiten des Klimawandels immer knapper wird. Um sie zu schonen, soll Berlin zu einer so genannten "Schwammstadt" werden. "Das bedeutet, das Regenwasser verbleibt vor Ort und wird vor Ort bewirtschaftet", sagt die Hydrologin Nickel. Seit 2018 müssen Bauvorhaben in der Hauptstadt so geplant werden, dass möglichst kein Regenwasser in die Kanalisation oder Gewässer gelangt. Es muss also weitgehend auf den Grundstücken versickern, verdunsten, genutzt oder gespeichert werden.

Damit will Berlin auch verhindern, dass es nach Starkregen zu Überflutungen kommt. "Wir haben in der Vergangenheit gedacht, wir leiten das Wasser einfach aus der Stadt heraus, dann haben wir trotz Regenwetter trockene Straßen", erläutert die Leiterin der Berliner Regenwasseragentur. "Das war das ein Trugschluss, denn wir können die Systeme nicht so groß bauen, dass sie so viel Wasser aufnehmen."
Was erschwerend hinzu kommt: Innerhalb des Berliner S-Bahnrings gibt es eine Mischkanalisation, wie es typisch für Stadtteile ist, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebaut wurden. Das heißt, Regenwasser und Fäkalien landen in einem Kanal. Läuft die Kanalisation über, gelangt dieses Gemisch in Havel oder Spree und wird zu einer Gefahr für Mensch und Natur.
Regenwasserbecken noch eine Seltenheit
In der Vorzeigesiedlung 52° Nord in Grünau, die direkt an die Dahme grenzt, kann das nicht passieren. Sollte tatsächlich einmal mehr Regen fallen, als die begrünten Dächer, Vorgärten, Mulden und Rückhaltebecken aufnehmen können, würde das Wasser vom Bassin in die angrenzende Dahme überlaufen. Mit dem Abwasser der Bewohner kommt es aber nicht in Kontakt.
Die BUWOG Bauträger GmbH, die das zum Teil noch im Bau befindliche zehn Hektar große Quartier realisiert, hat in Grünau zum ersten Mal ein Regenwasserbecken in dieser Größenordnung errichten lassen. "Das war sehr aufwendig. Wir brauchten eine Menge Genehmigungen", räumt Eva Weiß rückblickend ein. In den Sommermonaten wälzen zwei Pumpenanlagen das Regenwasser um. Das Ufer ist mit Schilf bestanden, das das Wasser filtert. Zusätzlich sind biologische Substratfilter eingebaut.

Becken muss gereinigt werden
Forscher der Technischen Universität Berlin überprüfen regelmäßig die Wasserqualität des Beckens, das seit 2017 in Betrieb ist. "Wir haben tatsächlich auch ein Entenpärchen, die die ersten Bewohner des Quartiers waren, kaum dass das Wasser zum ersten Mal in dieses Becken geflossen ist", erzählt die BUWOG-Geschäftsführerin. "So schön es ist, Fischschwärme in diesem Regenwasserbecken zu haben: Sie verschmutzen das Wasser und einiges davon lässt sich biologisch nicht mehr reinigen." Deshalb muss das Wasser hin und wieder abgelassen werden, um das Becken zu reinigen.
Zu DDR-Zeiten hat der VEB Berlin-Chemie auf dem Gelände in Grünau Arznei- und Pflanzenschutzmittel produziert. Nach der Wende wurde das Erdreich umfassend saniert, auf der Industriebrache entstand eine Vorzeigesiedlung. Im Sommer treffen sich Bewohner am Ufer des Wasserbeckens, spazieren auf den Gehwegen oder sitzen auf Bänken, Kinder spielen auf dem angrenzenden Wasserspielplatz. "Uns war wichtig, dass das hier ein lebenswertes Lebensumfeld wird und dadurch mussten wir auch eine Aufenthaltsqualität in dem Quartier schaffen. Das ist natürlich durch so ein erlebbares Wasserbecken wunderbar", betont BUWOG-Geschäftsführerin Eva Weiß.
Versickerungsmulden und Rigolen
Doch es braucht nicht immer solch aufwendige Maßnahmen, um Regenwasser vor Ort zu bewirtschaften. Eine unscheinbare, aber effektive Maßnahme sind Versickerungsmulden, wie sie auch in der Siedlung in Grünau zu finden sind. "Das ist einfach ein Graben, maximal 30 Zentimeter ausgemuldet", erklärt Darla Nickel. "Der Oberboden ist so zusammengesetzt, dass er möglichst viele Schadstoffe zurückhält. Das Wasser, das in den Unterboden oder vielleicht auch ins Grundwasser gelangt, ist sauber." Kombiniert man Mulden mit darunter liegenden Rigolen, die mit Kies oder anderen Materialien gefüllt sind, versickert das Regenwasser noch besser ins Erdreich.
Die Regenwasseragentur verweist auf Kostenstudien, wonach es bei Neubauvorhaben auch aus ökonomischen Überlegungen heraus sinnvoll sei, Regenwasser vor Ort zu bewirtschaften. Leiten Grundstückseigentümer nämlich kein Regenwasser in die Kanalisation ein, brauchen sie auch keine Niederschlagswassergebühr zu zahlen. Sie beträgt in Berlin immerhin 1,809 Euro pro Quadratmeter entwässerte Grundfläche pro Jahr.