Elon Musk kauft Twitter - Wenn der reichste Mensch der Welt von Meinungsfreiheit spricht

Viele Twitter-Nutzer:innen sind besorgt, dass sich Hassrede und Fake News nach der Übernahme von Elon Musk frei entfalten können. Ein Netzaktivist und ein Medienrechtler erklären, wo Medienfreiheit ihre Grenzen hat. Von Anna Bordel
"Ich hoffe, dass auch meine schlimmsten Kritiker auf Twitter bleiben, weil das Meinungsfreiheit bedeutet". Das twitterte der Mann, der als reichster Mensch der Welt gilt und sich mit dem 44-Milliarden-Euro-Kauf von Twitter in die Medienbranche einkaufen möchte: Elon Musk.
Er selbst hat mit 84,7 Millionen Followern auf Twitter so viele wie sonst nur wenig andere Menschen und nutzt die Plattform täglich meist mehrmals als Sprachrohr für private oder berufliche Anliegen. Am Montag wurde bekannt, dass der Vorstand des Kurznachrichtendienstes sein Einverständnis zu dem Kauf gegeben hat. Nach der Übernahme möchte Musk Twitter aus der Börse nehmen und zu einer Plattform der freien Rede machen. Wie genau er Meinungsfreiheit definiert, lässt Musk offen.
Unklare Definition von Meinungsfreiheit
Vielen Nutzer:innen bereitet das Sorgen, unter ihnen Netzaktivist und Journalist von netzpolitik.org Markus Beckedahl: "Musk spricht von Meinungsfreiheit, aber das ist diffus. Wir wissen nicht, was er meint. Meint er die amerikanische Meinungsfreiheit, die die Tür offen lässt für Hass und Hetze? Meint er die deutsche Meinungsfreiheit, die ihre Grenzen hat?"
Der Aktivist findet es richtig, dass die freie Rede in Deutschland gewissen Regeln unterworfen ist, Hassrede und Volksverhetzung sind hier strafbar. Zu wenig Regulierung und ein zu offenes Verständnis von Meinungsfreiheit kann die Gefahr bergen, dass Hassrede und Fake News auf der Plattform freien Lauf gelassen werden. Bei vielen Nutzer:innen scheint es ähnliches Unwohlsein darüber zu geben, dass der Nachrichtendienst bald einem Unternehmer gehören könnte. "Gehen wir jetzt alle rüber zu Ebay-Kleinanzeigen?", fragt eine Nutzerin. "Der Mann steht nicht für Freedom of Speech, sondern ihm geht es um kommunikative Kontrolle und Abwesenheit von Konsequenzen", meint ein anderer.
Meinungsfreiheit in Europa nicht grenzenlos
Marc Liesching, Professor für Medienrecht an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig rät, sich zu diesem Zeitpunkt nicht zu sehr in Spekulationen darüber zu verlieren, inwiefern die Meinungsfreiheit auf Twitter durch den Kauf in Gefahr gerät. "Was soll anders werden, als es ohnehin schon ist?", fragt Liesching. Von Künstlicher Intelligenz gesteuerte Inhaltskontrollen gebe es bereits auf Sozialen Netzwerken.
Außerdem unterstreicht er, dass die Meinungsfreiheit zumindest in Europa und Deutschland ohnehin nicht grenzenlos ist. "Jetzt darüber zu spekulieren, was Elon Musk mit Twitter macht, ist Fischen im Trüben", sagt Liesching deshalb. "Meinungsfreiheit gilt zwar in Deutschland, aber nie absolut. Sie hat Schranken und zwar beispielsweise durch das Strafrecht, das Jugendschutzrecht oder das sonstige Medienrecht".
Neues europäisches Mediengesetz fordert Transparenz
Und das Medienrecht hat gerade am vergangenen Wochenende einen weiteren Schritt nach vorn gemacht. Am Samstagmorgen haben sich Unterhändler des Europäischen Parlaments auf ein neues europäisches Mediengesetz, den sogenannten Digital Service Act (DSA), geeinigt. Darin wird viel bekräftigt, was bereits galt, zum Beispiel, dass Plattformen verantwortlich für illegale Inhalte wie Hassrede, Terrorpropaganda oder gefälschte Produkte sind. Außerdem wurde ein neues Beschwerdesystem beschlossen, das dazu führt, dass es in jedem Land einen Koordinator gibt, der auf die Einhaltung der Gesetze und Regeln achtet. Am Nutzen dieser Neueinführung zweifelt Medienrechtler Liesching allerdings: "Wie scharf das DSA-Schwert am Ende ist, wird sich daran zeigen, wie strikt der Vollzug der Regeln ist", sagt er.
Begrüßen tut er indes, dass Unternehmen mit der Einführung des Gesetzes verpflichtet sind, ihre Algorithmen, die sie ihren inhaltlichen Kontrollen und der Werbeeinspielung zugrunde legen, veröffentlichen müssen. Musk hat die Veröffentlichung des Quellcodes der Algorithmen für Twitter nach seiner Übernahme bereits in Aussicht gestellt. Mit den weiteren Gesetzen des Medienrechts werde Musk sich in Deutschland gegebenenfalls auseinandersetzen müssen, so Liesching. Wenn ihm diese nicht gefalle, müsse er vor Gericht gehen.
Musk will Twitter für sich allein
Grenzenlose Meinungsfreiheit zu ermöglichen, ist nicht die einzige Gefahr, die der Netzaktivist Beckedahl in Bezug auf die Übernahme Musks sieht. Reich ist Elon Musk bislang vor allem mit seiner E-Automarke Tesla und seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX geworden. Inwiefern es mit dem Kauf von Tesla zu unternehmerischen Verstrickungen auf Twitter kommen könnte, ist natürlich spekulativ, aber Beckedahl ist dennoch misstrauisch. Musk habe bislang nicht mit seinem großen Einsatz für Meinungsfreiheit geglänzt. Die Teslafabrik in Brandenburg, dessen Eigentümer Musk ist, antworte laut Beckedahl kaum auf kritische Fragen. "Es könnte ja sein, dass versteckt im Programmcode von Twitter bald steht, dass Teslakritische Inhalte nicht so vielen Nutzern gezeigt werden", sagt er.
Auch er betont, dass zu diesem Zeitpunkt niemand genau weiß, was Musk mit Twitter eigentlich vorhat. Tatsache ist, dass er den Kurznachrichtendienst für sich allein haben möchte. Er will das Unternehmen nach einer Übernahme von der Börse nehmen und muss deshalb vorher die Aktien der allermeisten Aktionäre aufkaufen. Insofern ist der Deal auch noch nicht vollzogen. Wenn sich einige Aktionäre weigern oder den Preis deutlich in die Höhe treiben, könnte Musks Plan Twitter als Ganzes zu übernehmen noch scheitern.
Elon Musk als "Alleinherrscher" bei Twitter
Als "Alleinherrscher" ein Unternehmen zu kontrollieren, das nicht an der Börse ist, findet Beckedahl auch deutlich bedenklicher als die Art wie beispielsweise Mark Zuckerberg Facebook kontrolliert. Auch er trifft alle Facebook betreffenden Entscheidungen weitestgehend allein, ist aber von der öffentlichen Meinung abhängig, da sein Unternehmen börsennotiert ist. "Zuviele falsche Entscheidungen kann der sich nicht leisten", so der Aktivist. Diese zusätzliche Kontrolle würde bei Twitter und Musk nach einer Übernahme wegfallen.
Beckedal selbst werde auch nach einer Übernahme von Twitter durch Elon Musk dort bleiben, weil es keine wirkliche Alternative dazu gebe: "Ich bin seit 15 Jahren auf Twitter und ich bleibe auch da. Ich habe jetzt auch keinen Bock, auf Tiktok Politik zu tanzen". Das Problem sei vielmehr, dass die Gesellschaft es bislang versäumt habe, gemeinwohlorientierte offene Alternativen anstatt privatisierter Öffentlichkeiten aufzubauen. Er misst Twitter in Deutschland eine große Bedeutung bei. "Twitter ist in Deutschland eine relevante Infrastruktur für den gesellschaftlichen Diskurs", meint er. "Wollen wir in einer Welt leben, in der der reichste Mensch der Welt einfach mal diese Infrastruktur kaufen kann?"
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.04.2022, 14:14 Uhr