Landgericht Berlin - Prozess um Messerangriff im Vorgarten: Angeklagter bestreitet Vorwürfe

Di 05.04.22 | 20:34 Uhr | Von Ulf Morling
Gerichtsbild: Prozessauftakt, Frau bei Gartenarbeit fast getötet. (Quelle: rbb/U. Morling)
Audio: rbb24 Inforadio | 05.04.2022 | Ulf Morling | Bild: rbb/U. Morling

Versuchter Mord lautet der Tatvorwurf: Sieben Monate nach einem Messerangriff gegen eine Hobbygärtnerin in Wilmersdorf hat der Prozess gegen einen 29-Jährigen begonnen. Der bestritt zum Auftakt einen Vorsatz bei der Attacke. Von Ulf Morling

Wegen versuchten Mordes an einer Frau, die an einem Samstagnachmittag den Vorgarten eines Wilmerdorfer Mietshauses pflegte, muss sich seit Dienstag ein 29-Jähriger vor dem Landgericht Berlin verantworten. Der Angeklagte soll unter anderem auf die Frau eingestochen und lebensgefährlich verletzt haben.

"Ich habe mein Opfer ins Paradies geschickt", soll Abdul A. direkt nach der Tat gesagt haben, während zahlreiche Helfer in einer dramatischen Rettungsaktion versuchten, der 58-jährigen Regina Gerken am Tatort das Leben zu retten. Frauen sollten nicht arbeiten, habe der 29-jährige einem Polizisten gegenüber kurz nach der Tat geäußert haben, so ein Beamter.

Laut Anklage hatte Regina Gerken am Mittag des 4. September 2021 im Vorgarten des Wilmersdorfer Mietshauses die Hecke geschnitten. Als A. auf dem Bürgersteig vorbei lief, soll er ein Messer gezückt und unvermittelt mehrfach auf ihren Hals eingestochen haben.

Staatsanwaltschaft schließt auf "islamistische und frauenfeindliche Gesinnung"

Was die Generalstaatsanwaltschaft als Aussagen des Angeklagten am Tattag protokollierte, lässt aus ihrer Sicht auf eine "islamistische und frauenfeindliche Gesinnung" schließen. Es werden ihm versuchter Mord, schwere und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Einen Mann, der der Frau helfen wollte, soll der Angeklagte ebenfalls attackiert haben. Kurz nach der Tat war er von der Untersuchungshaft vorläufig in der Psychiatrie untergebracht worden. Sein Opfer ist seit der Tat halbseitig gelähmt. Die 58-jährige erlitt durch den schweren Messerangriff unter anderem einen Schlaganfall und sitzt im Rollstuhl.

Prozessauftakt verzögert

Der Prozessauftakt verzögerte sich um mehrere Stunden, weil der Angeklagte Abdul A. nicht mehr in Moabit in Untersuchungshaft sitzt, sondern inzwischen im Psychiatrischen Krankenhaus des Maßregelvollzuges in Reinickendorf untergebracht ist. Das aber war offenbar an den entscheidenden Stellen der Berliner Justiz nicht bekannt - und so musste etwa der Sohn der bei der Messerattacke lebensgefährlichen verletzten G. lange warten, bis die Verhandlung gegen den Angeklagten verzögert begann.

Dabei lächelte Abdul A. aus dem panzerglasgesicherten Gefangenenkäfig im größten Saal des Kriminalgerichts Moabit in die Objektive von zahlreichen Foto- und Fernsehkameras und berichtete dann zu Prozessbeginn davon, sich gegen sein mutmaßliches Opfer nur verteidigt zu haben: "Alles, was der Herr Generalstaatsanwalt vorgelesen hat, ist gelogen." Die 58-jährige habe ihn mit ihrer Heckenschere bedroht und ihn umbringen wollen. Er habe Angst gehabt. Da habe er sich gewehrt mit seinem Messer, das er nur dabei habe, wenn er mit Bekannten gemeinsam essen und Gemüse schneiden könne.

Parallelen zum Attentäter auf der Stadtautobahn

"Ich bin schließlich Koch und dafür brauche ich es." Natürlich habe er nichts dagegen, wenn Frauen eine Hecke schneiden würden. "Lassen Sie mich endlich frei und schicken Sie mich in meine Heimat zurück. Oder bringen Sie meine Familie hierher." Seit 2016 lebt Abdul A. in Deutschland und ist als Flüchtling anerkannt. Er fiel bereits mehrfach auf, zum Beispiel durch das Beschädigen von Wahlplakaten, auf denen Politikerinnen abgebildet waren. Auch soll er mit Nachdruck versucht haben, andere zum Konvertieren zum Islam zu bewegen.

Abduls Geschichte scheint dem Attentäter von der A100 in Berlin zu ähneln, der auf Berlins Straßen den Koran lauthals zitierte und schließlich im August 2020, nachdem er mit seinem Auto drei Motorradfahrer schwer verletzt hatte, auf der A100 einen Gebetsteppich ausgerollt und eine vermeintliche Munitionskiste auf sein Autodach gestellt hatte. Vor der Tat hatte eine von Bürger:innen alarmierte Polizeistreife den späteren Täter weitgehend ignoriert. Er war vom Gericht für schuldunfähig erklärt und in die Psychiatrie eingewiesen worden. Ein islamistisches Motiv konnte allerdings nicht festgestellt werden, wenngleich laut Urteil "religiöse und islamistische Elemente sich nicht abstreiten" ließen.

Zeug:innen belasten den Angeklagten

Während ein Zeuge am Tatort gehört haben wollte, dass Abdul A. davon gesprochen habe, dass er sein Opfer ins Paradies geschickt habe, bestritt das der Angeklagte in seiner Aussage: Niemals habe er vom Paradies gesprochen. Als die Vorsitzende Richterin ein Messer mit einer Klinge von acht Zentimeter Länge hochhält, sagte A.: "Jaja, das ist mein Messer.“

Eine 59-jährige Schutzpolizisten, die in der zweiten Funkstreife saß, die den Angeklagten noch am Tatort festnahm, sagte aus, dass A. berichtet habe, dass er den Befehl "von seinem Gott" bekommen habe, "die Frau zu töten". Er habe auf sie einen verwirrten Eindruck gemacht.

Als letzter Zeuge musste am ersten Prozesstag der 66-jährige, inzwischen berentete Krankenpfleger aussagen, der versucht hatte, Regina Gerken vor den mutmaßlichen Angriffen des Angeklagten zu retten. Die 58-jährige hätte vor dem Angeklagten in dem Vorgarten gekniet und er habe einen "ganz schrecklichen Schreckensschrei" von ihr gehört. Mit der rechten Hand habe der Angeklagte sie an den Haaren festgehalten und mit der linken habe er sein Messer zu ihrem Hals geführt.

Der Angeklagte habe ihn fast mitleidig angesehen, sagte der Krankenpfleger weiter aus. Seine Blicke schienen ihm zu sagen: "Junge, was mischst Du Dich ein, jetzt bist Du dran.“ Nach mehreren Stichen sei er schließlich geflüchtet zu dem Friseurladen auf der anderen Straßenseite. Man habe die Polizei alarmiert.

Wie geht es dem Opfer?

Regina Gerken ist bis heute halbseitig gelähmt. Durch den der Tat nachfolgenden Schlaganfall ist ihr Sprachzentrum weitgehend beschädigt. Ihre beiden Söhne im Alter von 30 und 31 Jahren kümmern sich seit der Tat sehr intensiv um ihre Rehabilitation. Nach zögerlichen und für ihre Mutter nicht ausreichenden Genehmigungen durch die Kassen haben beide über eine Crowdfunding-Seite im Internet versucht, die bestmögliche Therapie für ihre Mutter ermöglichen zu können. Dort wurden bereits knapp 180.000 Euro gespendet.

Die 58-jährige wird im Prozess durch einen ihrer Söhne und Nebenklageanwalt Roland Weber vertreten. "Die Chancen ihrer Heilung sind bei exakt null Prozent. Zu der schweren Sprachstörung durch die Hirnschädigung nach der Tat befindet sie sich im Rollstuhl", sagte Weber. Die Angehörigen bemühten sich, durch weitere Spezialtherapien noch eine Besserung zu erreichen.

Sechs weitere Termine bis zum 6. Juni sind für den Prozess gegen Abdul A. vorgesehen. Das bisherige psychiatrische Gutachten diagnostiziert eine strafrechtliche Schuldunfähigkeit für den 29-Jährigen, sollte er schuldig gesprochen werden. Sollte das Gericht dem folgen, würde der Angeklagte weiter in der Psychiatrie verbleiben, bis er - nach weiteren Gutachten - nicht länger als gefährlich für die Allgemeinheit eingeschätzt wird.

Sendung: rbb24 Abendschau, 05.04.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

Nächster Artikel