rbb|24-Datenauswertung - Sozialer Status bröckelt in Berliner Innenstadt-Kiezen

Berlin ist sozial zerstückelt. Oft trennen nur einige Meter wohlhabende Kieze von solchen mit hoher Kinderarmut. Verschlechtert hat sich die Situation laut Sozialmonitor vor allem in der Innenstadt. Von Götz Gringmuth-Dallmer und Vanessa Klüber
Die sozial schwachen Berliner Kieze in Gesundbrunnen und Wedding, Neukölln und Kreuzberg westlich vom Kottbusser Tor verfallen weiter. Die Macher des Sozialmonitors im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung haben sie auf einer Stadtkarte farblich hervorgehoben – was nichts Gutes bedeutet: Sie gehören zu den sozial benachteiligten Gebieten, in denen die Kinderarmut und der Anteil der Hartz IV-Empfänger* besonders hoch ist - und weiter steigt oder zu steigen droht.
Die Stadt nennt diese Orte "Gebiete mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf". Mit dieser Bezeichnung bekommen sie Förderung vom Staat.
Soziale Benachteiligung zuvor eher in äußeren Kiezen
Auffällig an den neuesten Zahlen ist, dass sich der soziale Status der Menschen diesmal vor allem in der Teilen der Innenstadt verschlechtert. In den vorigen Sozialmonitoren seit 2015 war das noch eher in den äußeren Kiezen der Fall.
Dem neuesten Sozialmonitor [stadtentwicklung.berlin.de] zufolge ist die Situation sowohl am Leopoldplatz im Wedding als um den Schulenburgpark in Neukölln und in der Rollbergesiedlung in Reinickendorf nicht besser geworden. Sie gehören weiter zu den Gebieten mit dem hohen Aufmerksamkeitsbedarf. Insgesamt stellen die Forscher eine "konstante Benachteiligung" in den Ortsteilten Wedding, Moabit, Gesundbrunnen, Kreuzberg, Falkenhagener Feld, Staaken, Neukölln, Hellersdorf, Märkisches Viertel und Reinickendorf fest.
Wo es besonders stark abwärts geht
Dort geht es in einigen Wohngegenden besonders stark abwärts: Das sowieso sehr niedrige soziale Niveau sank noch weiter am Rollberg in Nord-Neukölln – geprägt von Sozialwohnungen aus den 1960er und 1970er Jahren – und in der Weißen Siedlung mit ihren 18-geschossigen Hochhäusern, ebenfalls in Nord-Neukölln.
Noch weiter sozial abwärts geht es auch in Kreuzberg um den Mehring-, den Moritz-, den Wassertor-, Oranien- und Askanischen Platz. Dort waren im Jahr zuvor teils noch statistisch positive Entwicklungen im Ansatz zu erkennen. Jetzt sinkt der soziale Status in diesen Kiezen, in denen sowieso schon viele sozial Schwache wohnen.
Aber es gibt auch Beispiele weiter draußen: Verhältnismäßig stark verschlechtert hat sich auch die Situation im Kosmosviertel in Alglienicke. Das Viertel liegt am äußersten Rand von Köpenick, kurz vor dem Flughafen BER, eingerahmt von A113 und der B96a. Einige der Plattenbauten dort sind künstlerisch bemalt, um das Viertel aufzuwerten. Im neuen Sozialmonitor hat das nichts zum Positiven verändert: Der soziale Status ist sehr niedrig, Tendenz fallend. Der Kiez steht am Ende der Skala.
Auch gibt es Kieze in der Studie, in denen sich die Situation verbessert hat: in der Innenstadt teilweise in Charlottenburg, aber vor allem im äußeren Osten - Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf. Auch im äußeren Reinickendorf, in Teilen von Spandau und in Steglitz-Zehlendorf.
Insgesamt überwiegen aber die Kieze mit den Verschlechterungen gegenüber denen, wo sich der soziale Status verbessert hat.
Als Gründe für die Verschlechterungen nennen die Forscher vor allem die gestiegene Zahl an Hartz IV-Empfängern und sehen die Corona-Pandemie als einen Grund dafür: Zum ersten Mal seit 2009 steige die Arbeitslosigkeit und das Jahr, in dem die Daten für diesen Sozialmonitor erhoben wurden, ist das erste Pandemie-Jahr.**
Eine Kausalität wird in der Studie jedoch nicht nachgewiesen. Der Anteil an Transferleistungsempfängern* insgesamt ist währenddessen ungefähr konstant geblieben. Der Sozialmonitor zeigt die prekäre Lage vieler Berlinerinnen und Berliner unter 15 Jahren: 27 Prozent dieser Altersgruppe beziehen Transferleistungen. Die Forscher sagen auch: Die Kinderarmut bleibt damit in Berlin auf hohem Niveau im Bundesvergleich.
Große soziale Unterschiede oft direkt nebeneinander
Berlin ist ziemlich zerstückelt, was sozial starke und sozial schwache Kieze angeht.
Im Charitéviertel in Mitte ist der soziale Status hoch, ein paar Meter weiter im Humboldthain Nordwest sehr niedrig. Wer durch das dörfliche Alt-Rixdorf in Neukölln mit seinen hübschen Häuschen und Vorgärten spaziert und kurz darauf durch die Braunschweiger Straße geht, erlebt beinahe genauso große soziale Unterschiede.
Gerade in Mitte sind die Kontraste hoch, aber auch im westlichsten Spandau oder im östlichsten Marzahn-Hellersdorf. Vor allem bei der Kinderarmut, die in den sozialen Status eingerechnet wird, sind die stadtweiten Unterschiede groß, beschreiben die Forscher in ihrer Studie.
Wem es sozial gut geht, der zieht nicht unbedingt in ein sozial schwaches Viertel. Somit stecken die Kieze dann oft lange Zeit in ihrem Status fest - bei 92 Prozent der Einheiten stellten die Forscher weder Verschlechterung noch Verbesserung fest.
*Als Indikatoren für niedrigen sozialen Status wurden in der Studie die Gruppen Arbeitslose nach SGB II (Hartz IV-Empfänger), Bezieher von Transferleistungen (darunter zum Beispiel Aufstocker und Bezieher von Grundsicherung) sowie Bezieher von Transferleistungen unter 15 (hier als Menschen in "Kinderarmut" zusammengefasst).
**Die Daten für das "Monitoring Soziale Stadt" (Sozialmonitor) sind auf dem Stand 31.12.2020 und stellen die aktuellen für die Öffentlichkeit verfügbaren Daten dar.
Sendung: Abendschau, 12.04.22, 19:30 Uhr