Hohe Nachfrage seit Pandemiebeginn - Online-Sprechstunden bei Hausärzten boomen in Berlin

Berliner Ärzte verzeichnen ein enormes Wachstum bei den digitalen Sprechstunden. Während im Jahr 2019 noch 132 Videostunden abgerechnet wurden, hat sich diese Zahl 2020 exponentiell auf fast 300.000 erhöht. Von Marcus Latton
Der ausladend große Flachbildschirm und die Webcam sind für Hanns Iblher inzwischen so wichtige Arbeitswerkzeuge wie Stethoskop und Thermometer. Gemeinsam mit seiner Frau Barbara Iblher betreibt der Allgemeinmediziner und Anästhesist eine Hausarztpraxis in Berlin-Karlshorst. Seine Arbeit verrichtet Iblher nicht mehr nur analog.
"Wir haben Patienten, die mit uns über die Videosprechstunde chronische Beschwerden thematisieren. Und wir haben Patienten, die uns aus dem Ausland kontaktieren", sagt Iblher. "Da sind gewisse Grenzen aufgehoben, so dass man niederschwellig miteinander in Kontakt kommen kann."
Exponentieller Anstieg der Videosprechstunden
Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen gibt es seit der Pandemie einen großen Sprung. Während 2019 von den Hausärzten, Fachärzten und Psychotherapeuten der Hauptstadt 132 Videostunden abgerechnet wurden, hat sich diese Zahl nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin 2020 exponentiell auf fast 300.000 erhöht. Vergangenes Jahr rechneten die Mediziner sogar 380.000 Online-Sprechstunden ab.
Das Angebot wird von Hanns Iblhers Patienten dankend angenommen. Über die Plattform Doctolib verbinden sie sich via Computer oder Smartphone mit seinem Praxiszimmer. Allerdings sieht Iblher die Grenzen der Methode: Wenn es etwa Hautprobleme gibt, die eine Patientin in die Kamera hält. "Da muss man manchmal auch sagen: Sorry, das reicht jetzt nicht. Sie müssen zu uns in die Sprechstunde kommen."
Wer Online-Sprechstunden wahrnimmt, muss dem Arzt während des Videocalls seine Gesundheitskarte der Krankenkasse in die Kamera halten. Die Daten werden vom Praxisteam aufgenommen und händisch ins System übertragen. Krankschreibungen lassen sich auf diese Art bei bekannten Patienten für sieben Tage und bei neuen Patienten für drei Tage ausstellen. Sie werden per Post verschickt. Bei allen Folgekrankschreibungen lassen sich nur dann online ausstellen, wenn der Patient bereits vorher in der Praxis war. Einen rechtlichen Anspruch darauf haben Patienten nicht. Das gilt ebenso für die postalisch versandten Medikamenten-Rezepte. Die Verschreibung in der Videosprechstunde bleibt ärztliche Ermessenssache.
Aus der Ferne Blutzucker messen
Der Bundesverband Gesundheits-IT hat knapp 110 Mitgliedsfirmen und ist Veranstalter der Fachmesse DMEA für digitale Gesundheitsangebote, die vom 26. bis 28. April auf dem Berliner Messgelände stattfindet. Viele der Unternehmen forschen und produzieren im Bereich der Telemedizin. Dabei gehe es laut Verbands-Geschäftsführer Sebastian Zilch künftig weniger darum, etwa die Qualität der Videoübertragung zu verbessern, sondern um eine Vernetzung von verschiedenen Gesundheitsdaten.
Beispiel Diabetes: Hier wäre es vorstellbar, dass mehr Patientinnen und Patienten ein Gerät zu Hause haben, um ihren Blutzuckerspiegel zu messen. "Die Daten könnten dann übertragen werden und sie könnten im Rahmen der Videosprechstunde viel mehr Information einsetzen", sagt Zilch. "Ich glaube, darin liegt viel mehr die Innovation."
Der Verbands-Geschäftsführer glaubt, dass es für einen breiteren Einsatz der Videosprechstunden allerdings nicht nur technische und datenschutzrechtliche Hürden gibt. Viele ältere niedergelassene Mediziner hätten wenig Interesse, sich mit neuer Technik zu befassen. Und auch bei vielen Patienten gebe es Vorbehalte. Sie bevorzugen weiterhin das persönliche Gespräch mit ihrem Hausarzt.
Sendung: Inforadio, 26.04.2022, 12:00 Uhr