Albert-Speer-Ausstellung in der Topographie des Terrors - Der Mythos vom "guten Nazi"

In der NS-Zeit war Albert Speer als erster Architekt des Reiches verantwortlich für zahlreiche Großprojekte, zählte zu Hitlers engsten Vertrauten. Später behauptete er, nichts gewusst zu haben. Eine Ausstellung in Berlin zeigt Speer als Meister der Eigen-PR. Von Antje Bonhage
Albert Speer ist der heute bekannteste Architekt des Dritten Reichs - und das, obwohl von seinen eigenen Entwürfen gar nicht so viel umgesetzt wurde. Als Chefplaner aber war Speer an nahezu allen Nazi-Bauten beteiligt, als enger Vertrauter Hitlers und ab 1942 als Rüstungsminister. Nach dem Krieg wurde er in Nürnberg als Kriegsverbrecher zu 20 Jahren Haft verurteilt, saß in Spandau ein. Trotzdem galt er in der Öffentlichkeit lange als der "gute Nazi", der von den NS-Kriegsverbrechen nichts gewusst habe.
Der Legende vom "guten Nazi" und der Frage, warum sich diese Legende so lange in der westdeutschen Bevölkerung halten konnte, geht seit Mittwoch die Ausstellung "Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit der deutschen Vergangenheit" in der Gedenkstätte Topographie des Terrors auf die Spur.
Speer als Konstrukt
Gleich am Anfang der Ausstellung trennen Stellwände einen eigenen Bereich ab. Auf jeder Stellwand steht ein riesiger Buchstabe: S-P-E-E-R. Schon hier wird die These deutlich: Albert Speer inszenierte sich als Marke. Er ist ein Konstrukt.
Tritt man ein in diesen Raum im Raum hört man Albert Speer im Originalton: "Damals konnte ich in der unmittelbaren Nähe Hitlers vieles sehen und vieles hören, was mir hätte bedenklich erscheinen müssen."
Das Bild vom selbstreflektierten Technokraten
In der Kabine wird man berieselt von Tönen und Bildern wie von einem Werbefilm. Speer erscheint als attraktiver Mann, sympathisch, der überlegt und nachdenklich spricht, sich einsichtig und verantwortungsvoll gibt. Mit klaren Worten distanziert er sich von Hitlers Verbrechen - und von sich selbst: "Ich hätte die Pflicht gehabt, Hitler unmittelbar zur Rede zu stellen und zu fragen, was dort vor sich geht. Ich habe nichts dergleichen getan."
Ausstellung bietet Gelegenheit, die Marke Speer zu hinterfragen
Die Idee sei, erst einmal einzutauchen in diese Töne, erklärt Alexander Schmidt, der Kurator der Ausstellung. Doch während die Bevölkerung der Bundesrepublik Speer jahrzehntelang habe reden lassen und ihm Glauben geschenkt habe, solle es in der Ausstellung genau dabei nicht bleiben. Indem man aus der Kabine mit der Aufschrift "Speer" heraustrete, kehre man ihm den Rücken, erläutert Schmidt.
"Man hört ihn zwar noch, aber man hört ihm nicht mehr zu, sondern hört auch andere Meinungen an", erklärt Schmidt. Das sei ein wesentlicher Ansatz der Ausstellung, so der Kurator.

Andere Meinungen: beispielsweise die von Bertrand Perz: "Die Geschichte der Konzentrationslager, vor allen Dingen ab Kriegsbeginn, ist ohne die Rolle von Speer gar nicht zu denken."
Besucher:innen sitzen an einem Tisch, dem Historiker Bertrand Perz quasi gegenüber. Er ist im Video auf einem Bildschirm zu sehen. Perz hat im Zuge seiner Forschungen zu nationalsozialistischen Konzentrationslagern im Militärhistorischen Archiv Prag ein Dokument entdeckt: einen Erweiterungsplan für das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Abgestimmt war dieser Plan zwischen der SS - und Albert Speer. Dabei hatte Speer stets behauptet, von Ausschwitz nicht direkt gehört zu haben. Die Akten erzählen anderes.
Speer hat als Minister das KZ Ausschwitz-Birkenau finanziert
Von Bertrand Perz im Video erfährt man, dass es im Herbst 1942, als der Bau von Auschwitz-Birkenau längst im Gange war, eine Sitzung gegeben habe, in der es um die Frage gegangen sei, ob Speer die nötigen finanziellen Mittel und Kontingente zur Verfügung stellen könne. Die Erkenntnis von Historiker Perz: "Speer genehmigt, wie es im Protokoll dieser Sitzung heißt, im vollen Umfang den Ausbau von Auschwitz-Birkenau. Das heißt nicht nur die Errichtung von vielen Baracken, sondern auch von vier Krematorien inklusive der Gaskammern und Leichenkeller."

Experten kommen zu Wort
An neun sogenannten Expertentischen können sich die Besucher:innen der Ausstellung setzen und Dokumente mit Erkenntnissen zu Albert Speer einsehen. Sechs Forschende erzählen, wie Bertrand Perz, im O-Ton.
Auch mit dabei: die Politikwissenschaftlerin Isabell Trommer. Sie hat über die Rezeption Speers in der Bundesrepublik promoviert: "Ich würde am Ende sagen, dass in der Figur Speers sich die zentralen Rechtfertigungs-Strategien, die es damals in Deutschland gab, gebündelt haben. Die Wahrnehmung seiner Person war also politisiert und auch zeitgeschichtlich geprägt."
Die Legende vom "guten Nazi" hielt sich dank effizienter PR-Maschinerie
Erst nach Speers Tod im September 1981 begann das Bild vom "guten Nazi" zu bröckeln. Dennoch hielt es sich bis in die 2000er Jahre hinein. Denn von Anfang an war Speers PR-Maschinerie höchst effizient und funktionierte, so wird in der Ausstellung auf thematischen Texttafeln deutlich, nicht zuletzt deshalb, weil so viele Menschen daran mitgewirkt haben: Angefangen bei seinen Verteidigern, die ihn – wie Speer sich selbst – bei den Prozessen als unpolitischen Technokraten darstellten.
Eine wesentliche Rolle spielten außerdem der Journalist Joachim Fest und der Verleger Wolf Jobst Siedler, die für Speer einen Großteil von dessen angeblichen "Erinnerungen" schrieben - und sie teilweise einfach erfanden. Und die damit die Legende Albert Speer festigten.

"Dreiste Lügenkonstrukte"
Es habe sich dabei nicht nur um Auslassungen und Beschönigungen gehandelt, so die Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors, Andrea Riedle, sondern um "dreiste Lügenkonstrukte": "Und die deutsche Gesellschaft hat das akzeptiert, hat den Konstrukten geglaubt. Wahrscheinlich, weil es auch einer eigenen Entlastung entgegenkam, nach dem Motto: Wenn einer wie Albert Speer nichts gewusst hatte, dann konnten wir doch eigentlich auch nichts wissen."
Dass die Ausstellung die "Speer-Legende" minutiös auseinandernehme, sei einer der Hauptgründe, warum die Stiftung die Wanderausstellung, die bereits seit einigen Jahren durch Deutschland tourt, zeige. "Zusätzlich zu den vielen Berlin-Bezügen, die sich bei Albert Speer finden", so Riedle.
Es ist eine Ausstellung – weniger über den Architekten und Stadtplaner Albert Speer, als vielmehr über das Beispiel einer Person, die es verstanden hat, sich zu inszenieren: für ein Publikum, das diese Inszenierungen dankbar angenommen hat. Man kann die Ausstellung auch als Aufruf sehen, grundsätzlich genauer hinzuschauen, wenn Darstellungen aufgetischt werden, die man allzu gerne hören mag. Das macht diese Ausstellung in Zeiten, in denen Selbstdarstellungen und bloße Behauptungen Hochkonjunktur haben, aktuell.
Sendung: rbbKultur, 11.05.2022, 07:10 Uhr