Kadaver liefern Nährstoffe für Wald - Ökologe fordert mehr Toleranz für tote Tiere

Tote Tiere im Wald möchte man nicht unbedingt auf einem Waldspaziergang sehen. Sie riechen streng und locken Fliegen an. Aber sie sind auch eine wichtige Nahrungsquelle und wirken sich positiv auf die Flora aus. Von Andreas Heins
Dass verendete große Tiere in der Natur liegenbleiben, hat mittlerweile Seltenheitswert in Europa. Kaum ein Reh stirbt an Altersschwäche, etwa eine Million Tiere werden geschossen und weitere 200.000 überfahren. 30.000 Tonnen Biomasse werden so der Natur entzogen, allein durch die Jagd auf Rehe. Der Ökologe René Krawczynski von der BTU Cottbus hat untersucht was geschieht, wenn man die toten Tiere in der Natur belässt. Das Ergebnis hat selbst ihn überrascht, die Kadaver locken nicht nur die bekannten Aasfresser wie Greif- und Rabenvögel an. Sie sind eine wichtige Nahrungsquelle für viele Tiere und wirken sich positiv auf die Pflanzenwelt aus.
Was passiert, wenn totes Tier liegenbleibt
Die ersten Besucher sind tatsächlich Raben und Greifvögel. Raben entdecken das Aas, die Greifvögel folgen ihrer Spur. Beide mögen frisches Aas. Doch eine Wildschweinhaut ist zäh, und wenn keine großen Beutegreifer wie Wölfe den Kadaver aufbrechen, ist es schwer an die vitaminreichen Innereien zu kommen.
Bald darauf finden sich zahlreiche Insekten ein. Das Winterhalbjahr und der Frühling ist dabei die Zeit der Käfer, der Herbst eher die Zeit der Fliegen und deren Maden. Neben Käfern, die das Aas direkt fressen, gibt es auch räuberische Arten, die auf Madenjagd gehen. Auch Ameisen und Wespen nutzen den reich gedeckten Tisch. Gerade im Frühjahr, wenn Insekten noch selten sind, finden Zugvögel hier reichlich Nahrung. Die Insektenlarven verkriechen sich im Winter im Boden und der steckt dann voller Futter. Singvögel, die eher zu vegetarischer Kost neigen, brauchen ebenfalls Insekten zur Aufzucht ihrer Jungen. Und selbst die Raben bevorzugen eher Maden als Aas.
Alles wird verwertet
Meisen nutzen die Kadaver besonders nachhaltig: Im Winter fressen sie Aas, im Frühjahr die ersten Insekten. Das Fell von Rehen und Hirschen ergibt zudem ein bequemes Nestpolster, das wissen auch Eichhörnchen zu schätzen. Ist Wasser in der Nähe eines Kadavers, kommen auch Frösche nicht zu kurz. Selbst ein Maulwurf auf Insektenlarvenjagd wurde schon beobachtet. Auf der Suche nach Mineralien werden sogar Schmetterlinge und Bienen von den Überresten angelockt. Gerade auf sandigen, nährstoffarmen Böden hier in Brandenburg sind Knochen eine der wenigen Mineralienquellen.
Die Pflanzenwelt profitiert dabei genauso von den Kadavern, die den Boden mit Nährstoffen versorgen. Auf großen Knochen wachsen noch jahrelang Moose und Flechten, die auf kalkarmen Untergrund sonst nicht gedeihen würden.
Zu strenge Hygienevorschriften?
Große Beutegreifer gibt es in unseren Wäldern kaum, sieht man von den wenigen Wolfsrudeln ab. Damit sich größere Pflanzenfresser wie beispielsweise Rehe, Hirsche und Wildschweine nicht übermäßig vermehren, werden sie geschossen. Selbst in den deutschen Nationalparks wird gejagt, um "den Wald zu schützen". Das wenigste davon findet jedoch den Weg zurück in die Natur. Wenn die Kadaver so viele positive Auswirkungen in der Natur haben, warum werden sie dann aber entfernt?
Der Gründe sind einerseits die strengen Hygienevorschriften hier in Deutschland. "Die BSE-Krise Anfang der Zweitausender war der Auslöser für eine europaweite Verschärfung der Regeln", sagt der Ökologe René Krawczynski. "Mittlerweile sind die EU-Vorschriften gelockert worden". So sei seit 2011 selbst das Auslegen von Haustierkadavern für Vögel aus Naturschutzgründen ausdrücklich erlaubt. "Auf die Praxis hat das wenig Einfluss gehabt. In Deutschland wird die Möglichkeit, die Lockerungen zu übernehmen kaum genutzt", sagt Krawczynski.
Bleihaltige Munition
So heißt es immer noch in der Brandenburgischen Jagdordnung: "Aufbrüche von erlegtem Wild und erlegtes Raubwild sind von den Erlegenden so zu beseitigen, dass eine Aufnahme durch Greifvögel nicht möglich ist." Hintergrund ist hier die Blei-Belastung, da noch immer einige Jäger mit bleihaltiger Munition jagen.
In dem jetzt bekannt gewordenen Entwurf des Brandenburger Jagdgesetzes, das sich zurzeit in Überarbeitung befindet, wird dies noch verschärft. Dort heißt es: "Für verendetes Schalenwild besteht für die Jagdausübungsberechtigten die Pflicht zur Aneignung und Beseitigung …, wenn das Fallwild aufgrund seiner Lage oder seines Zustandes die Allgemeinheit belästigen kann."
René Krawczynski hält diese Formulierung für fatal, dies würde die Bedenken von Jägern noch verstärken, wenn sie mit Anzeigen von Spaziergängern rechnen müssten. Ob diese Formulierung auch in Überarbeitung ist, war vom zuständigen Ministerium nicht zu erfahren.

Mehr Toleranz gefordert
Auch das uneinheitliche Vorgehen der Veterinärämter behindere, dass Kadaver in der Natur bleiben, sagt er, da gäbe es keine einheitliche Richtlinie. Jäger, die Kadaver in der Natur belassen wollen, müssen sich einzeln mit dem zuständigen Veterinäramt auseinandersetzen, nur in wenigen Fällen werden Dauergenehmigungen erteilt. Die Afrikanische Schweinepest hat dieses Vorgehen in Brandenburg zusätzlich erschwert.
Der Geschäftsführer des Landesjagdverbands Brandenburg, Kai Hamann steht dem Auslegen von Kadavern in der Natur eigentlich neutral gegenüber, solange es sich um Wild handelt, das nicht mehr zum menschlichen Verzehr geeignet ist. Aber auch er sieht erhebliche Konflikte zwischen den geltenden Vorschriften und möglichen Waldspaziergängern.
Das ist das dritte Problem. Wir haben uns in unserer Gesellschaft so weit vom Tod entfernt, dass wir tote Tierkörper nicht mehr als natürlich empfinden. Überall, wo solche Versuche bekannt werden, rufen sie große Aufmerksamkeit und Beschwerden von Anwohnern hervor. Oft aus unbegründeten Hygienebedenken oder "weil man sowas nicht macht". René Krawczynski ruft deshalb zu mehr Toleranz gegenüber toten Tieren zum Schutz der Natur auf. "Schließlich gehört der Tod zum Leben."