Verkehrswende - Warum Berliner Fahrradstraßen von vielen Autofahrern ignoriert werden

Fr 27.05.22 | 06:05 Uhr | Von Nico Hecht
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Eine Person fährt im Bergmannkietz auf einer Fahrradstraße (Bild: imago images/A. Friedrichs)
Audio: rbb24 Inforadio | 25.05.2022 | Nico Hecht | Bild: imago images/A. Friedrichs

Vor mehr als 20 Jahren schon wurde in Berlin die erste Fahrradstraße ausgewiesen. Theoretisch haben die Radler hier Vorrang vor dem Autoverkehr. Das klappt in der Praxis aber noch immer viel zu selten. Von Nico Hecht

Von Verkehrsberuhigung kann an der Stargarder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg keine Rede sein: viele Autos, meist schnell unterwegs und der Lärmpegel ist hoch. Die Schilder an allen Kreuzungen der Stargarder "Fahrradstraße" mit dem Zusatz "Anlieger frei" scheinen hier keinen Autofahrer zu bremsen.

Das beobachtet auch Tobias Kraudzun von der Initiative Netzwerk Fahrradfreundliches Pankow. Eigentlich sagt er, habe man hier beim Radfahren fast immer Pkw im Rücken. Das sei auch kein Wunder – denn weitere Hinweise als die Fahrradstraßen-Schilder gebe es kaum. "Zudem ist die Straße gut sechs Meter breit. Da hat man als Autofahrender auch schnell den Eindruck, man kann den ganzen Platz nutzen. Und wenn man meint, man müsse mal schnell überholen, macht man das auch."

Von Vorrang für Radler ist auf der Stargarder nichts zu spüren

Die Radfahrenden haben sich offenbar darauf eingestellt. Die meisten fahren weit rechts, möglichst dicht an den parkenden Autos, damit sie die Fahrzeuge auf der Straße möglichst wenig behindern. Dabei sollten hier doch eigentlich die Radler Vorrang haben.

Aber das entwickele sich erst nach und nach, sagt Tobias Kraudzun. Kurz nach der Eröffnung Ende Dezember seien die Fahrradstraßenregeln hier noch komplett ignoriert worden, sagt er. Jetzt trauten sich immerhin auch schon manche Eltern mit ihren Kindern mit dem Rad auf die Straße, etwa der Lehrer Andreas Kornehl: "Zumindest wird man jetzt nicht mehr so oft angehupt, wenn man nebeneinander fährt. Das ist schon ein riesiger Fortschritt".

Regeln für Fahrradstraße kennen viele nicht

Auf Fahrradstraßen ist das ausdrücklich erlaubt. Schilder oder Fahrbahnmarkierungen weisen darauf hin. Für Fahrradstraßen gilt außerdem: Radler haben Vorrang. Höchstgeschwindigkeit sind 30 Kilometer pro Stunde. Beim Überholen muss ein Mindestabstand von eineinhalb Metern eingehalten werden.

Mit dem Auto darf hier nur fahren, wer hier wohnt, jemanden besucht oder etwas zu erledigen hat, also zum Arzt will oder ein Geschäft beliefern muss. Doch viele Autofahrer kennen diese Regeln gar nicht. Das bestätigt auch Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Die UDV habe zusammen mit der Polizei Autofahrer befragt, die trotz Warnschild eine Fahrradstraße befahren haben und festgestellt, "dass sehr viele Autofahrer den Bedeutungsinhalt des Schildes 'Fahrradstraße' nicht kennen oder zumindest nicht alle Inhalte."

Sind Fahrradstraßen Alibi-Politik?

Das sei aber lange bekannt. Deswegen sei es schlicht "Alibi-Politik", einfach nur ein Schild "Fahrradstraße" aufzustellen, sagt Brockmann. Zu größeren Eingriffen in den Verkehr fehle in den Berliner Bezirken oft der Mut, sagt Tim Ullrich von der Verkehrswende-Initiative Changing Cities.

Auch in der Stargarder Straße hat es bisher nur zu Schildern gereicht – obwohl im Leitfaden für Fahrradstraßen der Senatsverwaltung für Verkehr klar empfohlen wird, Durchgangs-Autoverkehr auch durch bauliche Maßnahmen zu verhindern, und zwar mit sogenannten Modalfiltern. Bei einem Modalfilter handelt es sich zum Beispiel um einen Poller oder eine ähnliche Durchfahrsperre. Sie lassen Fahrräder passieren, stoppen aber Autos oder zwingen die Fahrer an Kreuzungen zum Abbiegen. 22 Jahre nach der Ausweisung der ersten Fahrradstraße in Berlin, der Linienstraße in Mitte, sind diese Filter aber immer noch selten.

In der Körtestraße klappt es dank nur kleiner Maßnahmen

In Kreuzberg blockiert ein Modalfilter seit Mai letzten Jahres erfolgreich den Durchgangs-Autoverkehr in der Körtestraße. Sie ist Teil der Fahrradstraße von der Hasenheide über die Urbanstraße bis zum Planufer am Landwehrkanal. Zuvor hatten sich auch hier Anwohner immer wieder beschwert, dass sich kaum ein Autofahrer an das Durchfahr-Verbot halte. Für eine Autosperre habe sich der Bezirk dann entschieden, als sich auf dieser eigentlich verkehrsberuhigten Fahrradstraße Mitte letzten Jahres zwei Pkw-Fahrer ein illegales Rennen lieferten, sagt Felix Weißbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes in Friedrichshain-Kreuzberg.

Diesen Modalfilter würden Laien wahrscheinlich einfach Poller nennen. Der Bezirk hat hier ein versenkbares Exemplar installieren lassen – ein Novum auf Berliner Fahrradstraßen: ein silberner Zylinder, gut 30 Zentimeter im Durchmesser. Der verhindere das Durchfahren der Körtestraße, erklärt Weißbrich. Anwohner- und Lieferverkehr kommen nur noch auf einer Seite hinein und wieder heraus. Müllabfuhr, Rettungsdienste und Feuerwehr hingegen haben freie Fahrt. Sie sind mit einem Transponder ausgestattet, mit dem sie den Poller nach unten ins Straßenpflaster verschwinden lassen können. Das passiert nahezu lautlos.

Poller verwandeln Körtestraße in Flaniermeile

An der Körtestraße reihen sich Eisdiele, Restaurant, Blumen- und Antiquitätenladen zu einer Flaniermeile, auf der tatsächlich niemand, wie in der Stargarder Straße, den Autolärm übertönen muss.

40.000 Euro habe dieser versenkbare Poller gekostet. Gut angelegtes Geld, sagt Felix Weißbrich. Denn diese Straße sei somit wieder ein Stück städtischer Raum geworden, anstelle einer Durchgangsstraße. "Das betrifft das Aussehen der Straße. Der Lärm ist verschwunden, und man kann in Ruhe und sicher mit dem Rad hier durch fahren."

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.05.2022, 9:25 Uhr

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Beitrag von Nico Hecht

75 Kommentare

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  1. 75.

    Ach, die Stargarder Straße ist eine Fahrradstraße?
    Dann erklärt es sich, dass nach wie vor Fahrradfahrer mit Kind und Kegel, Lastenfahrräder die Bürgersteige bevölkern und sich mit Klingeln und Rufen einen Weg durch die Fußgänger bahnen. Da unterscheiden sie sich in nichts von asozialen Autofahrern.
    Ja, ja, ich höre sie förmlich rufen, dass es auf der Straße zu gefährlich sei.
    Ja, da karrt man lieber Bürger, Kinder und Tiere um.
    Auch dagegen sollte die Polizei und das Ordnungsamt etwas tun.

  2. 74.

    Das steht doch auch so drinnen in der StVO:
    https://dejure.org/gesetze/StVO/1.html

  3. 73.

    Werte mir antwortende Person!

    Bitte richtig lesen, ggf. auch mal den Beitrag anhören.
    Meine Aussage bezieht sich auf die Stargader Straße. Die des rbb/Autors und Ihre auf „eine Fahrradstraße“.
    Auch Ihnen geneigter Leser/Leserin
    MFG

  4. 72.

    Also wenn ich in der Straßenbahn sitze sehe ich das die Radfahrer an der Haltestelle nicht anhalten.Und wenn ich zur Bahn gehe,sehe ich die Radfahrer auf dem Fußweg aufmerksam falschen Seite. Und das man am Zebrastreifen anhalten muss wissen die lieben Radler auch nicht....

  5. 71.

    "Ist es denn anders herum anders? Radfahrer pauschalisieren bei Autofahrern doch genau so." Zeigen sie uns doch mal einen einzigen Kommentar wo das so sein soll. Einen.

    "Fakt ist aber, dass es unter allen Verkehrsteilnehmern zu viele Rücksichtslose und Unwissende gibt, die damit sich und andere gefährden. Viele Radfahrer wissen gar nicht, wie gefährlich es ist, Radwege in die falsche Richtung zu benutzen, von Fußwegen ganz zu schweigen, da haben die in aller Regel rein gar nichts verloren. Durch Unachtsamkeit, Rücksichtslosigkeit und dem Beharren auf dem eigenen Recht kommt es immer wieder zu gefährlichen, manchmal sogar tödlichen Situationen. Leider ist § 1 der StVO den meisten überhaupt kein Begriff und das betrifft ausdrücklich alle!"

    Und warum schreiben sie dann ausschließlich von Radfahrern? Sie sind unglaubwürdig hoch zehn. Und ich kenne keinen tödlichen Unfall der letzten 2 Jahre in Berlin, an dem der Radfahrer schuld war. Solche Lügen machen sie noch unglaubwürdiger.

  6. 70.

    Das gibt es allerdings den Radfahrer, der sogar hier berichtet, dass er sich bewusst über die StVO stellt und die Verkehrsregel missachtet - auch zu Lasten des ÖPNV.

    Übrigens, kommt Ihnen das bekannt vor:
    "Die Zahl der Fahrradunfälle in Münster liegt mindestens dreimal höher als bislang angenommen: 2.250 Fahrradunfälle verzeichnet eine erstmals in dieser Form durchgeführte Fahrradstudie. Polizeilich erfasst wurden davon 723 Unfälle. Über einen Zeitraum von zwölf Monaten wurden von der Polizei und den Krankenhäusern in Münster alle Daten gemeinsam zusammengetragen und im Universitätsklinikum Münster (UKM) ausgewertet."
    falls nein, folgen Sie mal dem Link aus #1221 in https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/05/rad-typen-typologie-instagram-berlin-fahrrad-ampel.html
    Den Link hat Hagen dort gepostet, als der Radfahrer die hohe Dunkelziffer bei Radlerunfällen als Verdrehung der Tatsachen dazustellen versucht hatte.

  7. 69.

    Das kann ich nur bestätigen.Es wird Zeit,das der Fußgänger als solcher ,vor Autofahrer und vor Radfahrer geschützt werden.Wobei ich mal als Fußgänger deutlich machen muß,das ich von vielen Autofahrern achtsamer wahrgenommen werde als von Radlern,die oft sehr rücksichtsloses Verhalten an den Tag legen.

  8. 68.

    Wenn ich als Radfahrer wegen sehr schlechten Radweg weiß ich, da gehöre ich eigentlich nicht hin. Also fahre ich Schritt oder halte an, wenn es geboten ist(z.B. Kinder). Aber ich störe mich auch an Radfahrern, die auf dem Gehweg genau so fahren wie auf dem Radweg. Wenn ALLE im Verkehr sich daran erinnerten, wo sie sich gerade befinden und sich dementsprechend benehmen würden, würde manches nicht erlaubte auch toleriert werden. Gilt aber für Radfahrer, Autofahrer und Fußgänger gleichermaßen.

  9. 67.

    @ Braun, habe noch kein Auto kennengelernt, welches belangt wurde.

  10. 65.

    "Ich bin ÖPNV Nutzer. Und solange wie man Radfahrer sieht,die bei einer einzigen Fahrt fast gegen alle Verkehrsregeln verstoßen, muss sich die Fahradgemeinde nicht wundern das sie keiner leiden kann."

    Und weil sie ÖPNV Nutzer sind können sie mitbekommen wie Radfahrer "die bei einer einzigen Fahrt fast gegen alle Verkehrsregeln verstoßen"?

    Sie machen sich selbst völlig unglaubwürdig mit solchen Aussagen.

  11. 64.

    Wo sind eigentlich die Bahnverbindungen, mit denen 85% der Pendler aus dem Umland in der halben Zeit zu ihren Arbeitsplätzen kämen? Hat mal jemand den Durchgangsverkehr in der Stargarder mitgezählt? Wieviel Busse bekäme man damit voll? Wenn ich auf dem Weg zur S-Bahn über die Karl-Marx-Allee will, komme ich an der Ampel leicht über zwei Fahrbahnen, davor und dahinter muß ich aufpassen - Zweiräder aus allen Richtungen in allen möglichen Geschwindigkeiten. Einzelne lassen mich bei Grün über die Fußgänger-Ampel - Ausnahmen, leider... Aber die Wege-Konzepte für Radler sind auch 'perfekt' - bis Punkt "X" gut markiert, dann hört plötzlich jede klare Regelung auf - die Planer haben wohl vieles nie selbst getestet, höchstens im Sonntags-Spaziermodus.

  12. 62.

    "Ich denke, es wäre journalistisch geboten, die Aussagen zum Sachstand in der Stargarder Straße, sich nicht nur durch einen Interessenvertreter Pro-Fahrrad sondern, z.B. auch durch Anwohner oder noch besser durch unabhängige (Polizei?) bestätigen zu lassen."

    Merkwürdig, also ich lese: "Das bestätigt auch Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Die UDV habe zusammen mit der Polizei Autofahrer befragt, die trotz Warnschild eine Fahrradstraße befahren haben und festgestellt, "dass sehr viele Autofahrer den Bedeutungsinhalt des Schildes 'Fahrradstraße' nicht kennen oder zumindest nicht alle Inhalte."

    Ich unterstelle ihnen, dass es ihnen NICHT um einen "ausgewogenen und journalistisch korrekten" Artikel geht, sondern ihnen gefällt das Ergebnis nicht.

  13. 61.

    "Wie wäre es denn mal mit nem Bericht über die "Kampfradler" die täglich in Berlin unterwegs sind" Dazu gab es neulich eine Glosse. Ansonsten braucht man cih auch nur die Fotos in den Artikel z.B. zu den Fahrrad-Lieferdiensten anschauen.

  14. 60.

    Tja, Symbolpolitik wie Schilder zum Tempolimit oder Parkverbot. Schade.
    In Frankreich sind in sehr vielen Innenstädten solche versenkbaren Poller installiert, was diese Städte auch sehr beruhigt, auch weil die Anwohner:innen Parkhäuser nahebei haben. Hier wird das erst garnicht probiert (außer in Fh-Kb, bravo!), obgleich das "Berechtigten" dann auch die Zufahrt erlauben würde.
    Wegen mir weit mehr solche "Poller"!!

  15. 59.

    Früher gab es mal vor der Tagesschau die kurze Sendung „ Der siebte Sinn“, in der die Verkehrsregeln und Gefahren im Straßenverkehr gezeigt wurden. Wäre wohl wieder angebracht.
    Wäre besser als Gendern und Straßenkämpfe.

  16. 58.

    Lieber rbb/sehr geehrter Journalist!

    Ich denke, es wäre journalistisch geboten, die Aussagen zum Sachstand in der Stargarder Straße, sich nicht nur durch einen Interessenvertreter Pro-Fahrrad sondern, z.B. auch durch Anwohner oder noch besser durch unabhängige (Polizei?) bestätigen zu lassen.
    So wird, so denke ich, ein Artikel ausgewogener und journalistisch korrekter präsentiert.
    MfG

  17. 57.

    Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt ! Vielleicht ist da doch was dran ? Besonders, wenn man dadurch das Flanieren auf der Flaniermeile noch attraktiver macht, als es schon ist.

  18. 56.

    @Janni: na, Sie haben ja einen netten Tonfall drauf - passt zur (innen-)Stadt.
    Das Radfahren auf dem ich nenne es mal "Weg" (das ist kein befestigter Weg) ist auf Höhe der Brücke als auch für Radfahrer ausgewiesen. Ich nehme Rücksicht auf Fußgänger - natürlich (das hat also nichts mit "Radfahrvirtuosität" zu tun). Dazu muss man sagen, dass dieser Weg weg und hin zu Discountern und Biomarkt ist. D.h. eine vielbenutzte Strecke samt Bushaltestelle dann im oberen Teil.
    in diesen Weg hineinwachsende Büsche sind dann noch das I-Tüpfelchen. Dank ans Bezirksamt.

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