Interview | Beratungsstelle "HateAid" zu Hass im Netz - "Bewusstsein, dass das Internet das richtige Leben ist, ist bei vielen noch nicht da"

Was passiert, wenn man die gleichen Hasskommentare in allen Bundesländern anzeigt? Das hat die ZDF-Redaktion des Moderators Jan Böhmermann ausprobiert - mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Die Geschäftsführerin der Initiative "HateAid" sagt im Interview, woran das liegt - und was sich aus ihrer Sicht ändern muss.
rbb: Frau von Hodenberg, bestätigt diese Recherche des "ZDF Magazin Royale" Ihre Erfahrungen, dass Hasskriminalität im Internet in den Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt wird?
Anna-Lena von Hodenberg: Absolut, in den Bundesländern und zum Teil auch von Woche zu Woche ist es total unterschiedlich. Die Recherche [zdf.de] hat uns am Ende nicht überrascht, weil wir wöchentlich Betroffene in der Beratung haben, die von schlechten Erfahrungen mit der Polizei berichten. Das reicht von "von der Wache weggeschickt" bis hin zu: "Das wird klein gemacht". Oder es wird den Leuten geraten, das doch nicht anzuzeigen, sondern einfach seinen Facebook-Account oder seinen Twitter-Account zu löschen. Das sind Dinge, die wir hier in der Beratung immer wieder erlebt haben.
Woran liegt das? An mangelndem Wissen und Verständnis, also wissen die zum Beispiel einfach nicht, dass sie zuständig sind? Oder an mangelndem Willen, an Faulheit? Was sagen Sie?
Wie immer liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Mangelnde Sensibilisierung ist auf jeden Fall ein großer und wichtiger Grund. Wir haben eben dieses Feld Tatort, Internet und diesen massiven Hass erst seit einigen Jahren, vor allem aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum, wir haben das ja auch in den Kommentaren gesehen, die in der Sendung gezeigt wurden. Da ist die Frage: Bilde ich meine Polizei weiter aus, sensibilisiere ich die dafür, kennt die die Straftatbestände, ist klar, wie das gemeldet werden muss, was man dafür braucht? Wie kläre ich Zeug:innen auf? Das ist in vielen Bundesländern gar nicht geschehen und wurde eben ignoriert. Jetzt wird es langsam besser.
Man hat das auch an Schlaglichtern gesehen. Hessen zum Beispiel ist ein Bundesland, mit dem wir zusammenarbeiten. Da hat sich schon einiges verändert. Also ich glaube, ein wichtiger Punkt ist eben Sensibilisierung dafür, dass mit dem Thema noch überhaupt nicht umgegangen wurde. Das andere ist, dass das Internet auch bei der Polizei als so ein anderer Raum wahrgenommen wird, dass es wie eine Bagatelle wahrgenommen wird. Man hat jetzt noch drei wichtige andere Dinge und dieses Internet – das ist ja irgendwie noch nicht das richtige Leben. Das Bewusstsein, dass das Internet tatsächlich das richtige Leben ist und dass hier eben auch Straftaten passieren, das ist bei vielen einfach noch nicht da.
rbb: Wenn man sich dann aber den Umgang der einzelnen Bundesländer mit diesen Fällen der Recherche der Redaktion von Jan Böhmermann genauer anguckt, dann sieht man zum Beispiel, dass in Brandenburg erst gar keine Anzeige aufgenommen wurde. Auch in Sachsen-Anhalt wurde die Anzeige verweigert, in Sachsen verschwand sie. Können Sie aus Ihrer Erfahrung von Ost-West-Unterschieden in den Ermittlungen berichten? Oder war das jetzt Zufall?
Ich finde es ist verfrüht zu sagen, dass es tatsächlich systematische Ost-West-Unterschiede gibt. Es kann auch sein, dass wir Betroffene haben, die auch in westdeutschen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen nach Hause geschickt werden. Das kann überall passieren. Es ist eben nur eine Stichprobe. Aber man kann sich natürlich angucken: Welche Bundesländer haben tatsächlich schon in das Thema investiert, haben das in ihren Landtagen besprochen, Maßnahmenpakete aufgelegt, beschäftigen sich schon lange mit dem Thema?
Hessen ist so ein Beispiel. Der Mord an Walter Lübcke hat dazu geführt, dass eine große Schwerpunktstaatsanwaltschaft aufgesetzt wurde. Es gibt das Netzwerk "Hessen gegen Hetze", das ein Meldeportal hat. Auch dort kann es passieren, dass Sie auf die Polizeidienststelle gehen und abgewiesen werden. Aber es ist schon ein großer Unterschied, wenn dieses Thema auch im Polizeiapparat, den Staatsanwaltschaften und Richter:innen zu einem Thema geworden ist.
Im Netzwerkdurchsetzungsgesetz heißt es eigentlich, dass die Betreiber von sozialen Medien strafbare Inhalte dem BKA melden müssen. Das passiert aber nicht, oder?
Genau. Am Anfang sollten laut des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes nur die Inhalte gelöscht werden. Die Betreiber sollten gucken: Ist jetzt dieser Inhalt strafbar? Wenn ja, dann löschen wir den. Danach hat man gesagt: Okay, wenn jetzt klar ist, dass das ein strafbarer Inhalt ist, dann muss er ja auch strafverfolgt werden, dann sollen auch Täter:innen verfolgt werden. Das war auch das Ziel des "Böhmermann-Experiments": zu zeigen, dass im Netz die gleichen Gesetze gelten wie im analogen Leben.
Leider ist es so, dass die Novelle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes datenschutzrechtlich nicht ganz sauber war. Dann haben die Betreiber, also Google, Facebook, Tiktok auch, dagegen geklagt und Recht bekommen. Das heißt, jetzt sitzen da ganz viele BKA-Beamt:innen, die eigentlich diese Meldungen bearbeiten und Täter:innen identifizieren sollten, und bekommen diese Meldungen nicht weitergeleitet.
Man muss sehen, was jetzt mit der neuen Bundesregierung passiert, ob die da noch mal nachschärft. Denn das ist durchaus möglich. Das Ziel sollte sein, dass wir mehr Strafverfolgung bekommen. Aber das ist das, was der Bund macht. Das wird uns nicht davon entbinden, dass wir in den Ländern Polizeien und Staatsanwaltschaften brauchen, die dieses Thema ernst nehmen und hier auch wirklich konsequent Strafverfolgung betreiben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dörte Nath, rbb24 Inforadio. Es handelt sich um eine redigierte Fassung. Mit einem Klick ins Titelbild können Sie das Gespräch als Audio nachhören.