Fehlende Räume, hohe Auflagen - Quereinsteiger fürs Lehramt in Berlin klagen über Hürden und Probleme
Seit Jahren sucht Berlin nach Lösungen für den Lehrermangel - auch mithilfe von Quereinsteigern, die parallel zum Job an den Unis ausgebildet werden. Betroffene klagen jedoch über zahlreiche Probleme und Hürden. Von Christina Rubarth
Auf dem Boden eines kahlen Büroraums sitzt ein gutes Dutzend Studentinnen und Studenten im Kreis. Auf dem grauen Teppichboden hocken Studierende im Master-Studiengang Grundschullehramt für Quereinsteiger, zusammen mit klassischen Lehramts-Studierenden. Solche Bedingungen treffen in diesen Tagen einige, die an der Humboldt-Universität studieren. Das Sommersemester läuft zwar schon seit drei Wochen, aber für diese Studierenden steht erst jetzt ein Raum zur Verfügung - und die Möbel sind noch nicht da.
Dass nach zwei Jahren Online-Unterricht auch drei Wochen nach Semesterstart noch nicht klar war, ob ihr wichtigstes Seminar aus Raumgründen überhaupt stattfinden kann, habe bei ihr das Fass zum Überlaufen gebracht, sagt Saro Gorgis: "Ich dachte, das kann eigentlich nicht sein. Wir haben diesen Notstand an den Schulen - und es hapert an der Raumkapazität, auch oft an personellen Kapazitäten an den Universitäten." Die Mitte-30-Jährige ist gefrustet über die Umstände ihres Studiengangs. Nicht nur über fehlende Unterrichtsräume, sondern auch über zu wenig Dozenten, unflexible Studienbedingungen und einen engen Lehrplan.
Quereinsteiger müssen sich selbst finanzieren
Saro Gorgis arbeitet seit Jahren als wissenschaftlich-kurative Assistenz in diversen Museen und bereitet dort Ausstellungen mit vor. Zwei-Jahres-Verträge sind in dem Bereich üblich, sie suchte daher einen sicheren Job, unbefristete Verträge und eine Perspektive für die Zukunft. Drei Semester hat sie nun schon hinter sich und das Zertifikat in der Tasche, das sie für den Master-Studiengang braucht. Studierende, die in ihrem Erststudium keines der relevanten Grundschul-Hauptfächer studiert haben - Deutsch, Mathe und Sachunterricht -, müssen vorher innerhalb von zwei Semestern ein Zertifikat erwerben, um in den Master starten zu können. Der dauert dann nochmal vier Semester, ein Praxissemester inklusive. Dann folgt das Referendariat. "Wir haben einen Notstand an den Schulen", sagt Saro Gorgis, "aber wir haben einen sehr festgelegten Idealstudienverlaufsplan." Der hat strenge Fristen - wenn dann ein gefordertes Seminar aus Kapazitätsgründen ausfällt, müssen Studierende im Zweifel länger studieren.
Gerade für die ist das schwer, die beim Eintritt in ihr zweites Studium schon Familie haben. So wie Jakob Hort: Der Anfang Vierzigjährige ist Historiker, hat sieben Jahre als Erzieher in Grundschulen gearbeitet und ist Vater von drei Kindern. "Meine Frau arbeitet Vollzeit im Schichtdienst als Ärztin, und ich muss mich halt auch um die Kinder kümmern und nebenbei studieren. Das Studium ist aber Vollzeit. Also es ist schwierig, das zu vereinbaren." Dabei hat er sogar noch Glück: Er ist nicht darauf angewiesen, neben dem Vollzeitstudium noch seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Denn für die Quereinsteiger-Studierenden gibt es kein Bafög, sie müssen sich selbst finanzieren.
Praktika - selbst wenn schon unterrichtet wird
Neben Saro Gorgis und Jakob Hort berichten auch weitere Studierende von Problemen und Frust: "So wie das Studium inhaltlich und organisatorisch aufgebaut ist, macht es meiner Meinung nach überhaupt keinen Sinn", äußert sich ein 44-Jähriger Student gegenüber dem rbb. "Viele von uns arbeiten schon lange an Schulen mit großen Schülergruppen und haben teilweise schon Klassenleitungen übernommen, müssen trotzdem unbezahlte Praktika machen und sich am Ende des Studiums noch mit unsinnigen Forschungsseminaren und Theorieseminaren abquälen. Das wirkt alles nicht gerade dem Lehrkräftemangel entgegen und trägt auch nicht zur Steigerung der Motivation bei."
Räume fehlen
Masterarbeiten verzögerten sich, weil Betreuer fehlten, heißt es. Für Seminare fehlten Räume. Dabei könnte zumindest dieses Problem - bei besserer Planung - gelöst werden: In der Invalidenstraße 110 steht ein großes Gebäude der Humboldt-Universität mit zig Räumen leer. Es ist ein riesiger Klotz mit grauer Betonfassade an der Kreuzung zur Chausseestraße. Für Umbau und Sanierung wurde das Gebäude leergezogen. Doch noch bewegt sich nichts. Zurzeit nutzt die Humboldt-Uni daher zum Beispiel in der Schönhauser Allee Räume als Ersatz - nur dass dort die Studierenden in den dritten Woche des Sommersemesters noch keine Möbel vorfanden.
Auch eine Studentin betont, dass sie bereits fest in einem Klassenteam arbeite und stellvertretende Klassenlehrerin sei. Doch nach dem Studienverlaufsplan müsse sie ein unbezahltes Praxissemester absolvieren, das bewusst nicht an einer Schule durchgeführt werden solle, an der man bereits tätig war. Begründet würde das mit Rollenkonflikten. Diese Regelung führe dazu, dass Studierende unbefristete Stellen und die von ihnen geleiteten Klassen für das Praxissemester aufgeben müssten, kritisiert sie. Es sei für sie unverständlich, dass hier nicht mehr Flexibilität möglich sei.
Studierende fordern mehr Flexibilität
Von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie heißt es, dass das Master-Studium für Quereinsteiger im Grundschullehramt seitens der Universitäten einen hohen Aufwand erfordere. Die Studierenden kämen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen an die Universitäten, betont Sprecher Martin Klesmann. Daher sei der Betreuungsaufwand höher als bei Regelstudierenden. Außerdem, so Klesmann, hätten aufgrund der Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren räumliche und personelle Kapazitäten eingeschränkt werden müssen.
Eine Lösung, sagen sowohl Jakob Hort wie Saro Gorgis, könne doch sein, Unterricht in Präsenz und online anzubieten. Das würde Raumprobleme lösen und den Studierenden mehr Flexibilität ermöglichen. "Ich würde mir wirklich wünschen, dass der Fokus auf die Lehre gelegt wird", sagt Saro Gorgis. "Dass mehr Interesse da ist von Seiten des Senats, auch von Seiten der Universität, die Studierenden zu unterstützen."
Sendung: rbb24 Abendschau, 09.05.2022, 19:30 Uhr