Pläne für Fläche in Friedrichshain - Die Zukunft des RAW-Geländes wird "ˈɝbən"

Erst funktional, dann vernachlässigt, später ein Hort für Partys und jetzt ein urbanes Investitionsobjekt: das RAW-Gelände in Friedrichshain. Dienstag werden Pläne für das Gelände präsentiert, die Stefan Ruwoldt kommentiert. Zusammengefasst: Es geht hoch hinaus.
Es ist der ewige Kreislauf der Stadt: Erst ist ein Grundstück oder ein Haus einfach nur nützlich, später abgenutzt und hässlich und noch später kommen dann Aktivisten und machen in der Hässlichkeit Partys, richten sich ein. Eines Tages aber bekommen sie Besuch von Investoren. Die bringen Konzepte mit und Geld, nennen das Ganze "Immobilie" und sprechen nur noch von "Investitionsprojekten". Die Namen dieser Projekte werden auf Englisch verfasst und tragen meist "urban" im Titel. Natürlich englisch betont: ˈɜːbən. Das ehemalige Berliner Reichsbahnausbesserungswerk, kurz RAW, an der Warschauer Straße soll jetzt richtig "urban" werden.
Ein "L" soll die Vergangenheit in die Zukunft retten
In dieser geplanten Zukunft, die auf dem RAW-Gelände mit großen Bauprojekten starten soll, fehlt wohl all das, was den Ort in den letzten 25 Jahren zum schicksten Berliner Partyplatz gemacht hat. Doch das ist der Preis des Urban-Seins: Das Astra Kulturhaus, der Haubentaucher und einige Einrichtungen um den Kletterturm, der Suicide Circus oder eine Galerie etwa müssen ganz oder teilweise dran glauben.
Die Investoren gewähren dem RAW-Gelände eine Art Bestandsschutz mit einer kleinen Straße in Form eines "L". Rundrum aber wird entwickelt. So soll dieses L-Herz des künftigen RAW einen Tower an die Seite gestellt bekommen: ein 100-Meter-Hochhaus, also eine Art Gegenstück zum Amazon-Tower in der Nachbarschaft. Die Argumentationsidee, das Ganze als eine Art Gewinn für das ausschließlich rumplige Gesicht des RAW-Geländes zu verkaufen, lautet "Quadrameter-Geschossfläche": Wenn also hier Büros gebaut werden, müssen unten aus den Hallen und Schuppen keine Büros gemacht werden.
Pläne der Investoren für das Gelände sehen vor, dass hier künftig die Fahrräder auch gesonderte Ständer bekommen, sie zeigen den urbanen Youngster mit Mini-Stadtrucksack beim Latte und ordnen alles, was bisher irgendwie einfach so lief. Ein Einkaufzentrum soll entstehen und eine Reihe weiterer, reichlich schicker Sachen - Büros, Läden, Gastronomie und wohl auch Wohnungen sind Teil der Entwürfe.
Die Entwürfe interpretierte dann auch jeder ganz individuell: "So gut wie fast alle" Einrichtungen auf dem RAW-Geländen blieben erhalten, zitierte die B.Z. Investor Lauritz Kurth. Doch es gehört auch zu den Plänen, dass von Strandbar und Haubentaucher nur die Außenwände bleiben sollen, dass eine Markthalle dort gebaut wird, auf der verglaste Etagen für Gewerbe entstehen. Und das Astra muss im Investorensprech "umziehen".

Von Milliönchen zu Millionen
Auf dem Gelände sind teilweise seit Mitte der Neunziger in den Häusern, Schuppen und Hallen Dutzende Vereine und Firmen angesiedelt mit mehreren hundert Mitgliedern und mehreren hundert Mitarbeitern, so die Angaben aus Vorpandemiezeiten. Mehrere Hunderttausend Besucher und Gäste feiern hier regelmäßig oder spazieren hier, hören Konzerte oder treffen sich. All das wurde möglich durch Aktivisten, die lange vor allem durch den Verein RAW-Tempel vertreten wurden und die vielen soziokulturellen Projekten ein Heim auf dem Gelände gaben.
Bereits seit Jahrzehnten gibt es Pläne für eine Bebauung des Geländes. Als Ausbesserungswerk der Bahn wurde es nach der Wende sehr schnell nicht mehr genutzt, dann 1994 geschlossen und nach rund zehn Jahren Unklarheit ging die Bahn selbst an die Öffentlichkeit mit der Idee, es zu bebauen. Es war ihr Besitz, Teil der Erbmasse der Deutschen Reichsbahn der DDR.
Doch nach sieben Jahren war nichts geschehen und die Bahn verkaufte an eine Entwicklungsgesellschaft. Nach Streitigkeiten erwarben mehrere neue Eigentümer das Gelände. 2015 erwarb die Kurth-Gruppe aus Göttingen drei Viertel des Geländes: rund 50.000 Quadratmeter.
Die Berliner Zeitung nannte diesen Kauf 2015 den "Erwerb einer der größten und aufregendsten Freiflächen" Berlins. Der Kaufpreis wurde damals nicht bekannt, die Berliner Zeitung nannte 20 Millionen Euro, die Käufer widersprachen der Zeitung und erklärten nur, er läge darunter. Acht Jahre zuvor hatte die Käufergruppe für das gesamte 100.000 Quadratmeter große Gelände vier Millionen bezahlt. Man ahnt grob, wie die Eigentümer ihren Grundbesitz dort heute bilanzieren können.
In der Nachbarschaft ist viel Geld unterwegs
Die Idee und der Ruf nach Veränderung kommt nun aus hippen Vierteln rundum. Durch Neubebauung von Brachflächen und Sanierung hat sich die Einwohnerschaft gewandelt. Hier ist nun viel Geld unterwegs. Vor allem nachts und mit wenig Rücksicht. Darum soll nun genauer definiert werden, entlang welcher Strecken gefeiert und gefreizeitet wird. Der künftig neu definierte Feierbereich bekommt von der Warschauer Straße einen Zugang mit direktem Anschluss an die Partylinie M10, und auch von der S-Bahn geht es dann direkt ins Getümmel.
Vorstellung von Grobentwurf
Der Grobentwurf, der nun bekanntgegeben werden soll, ist die Essenz aus vier entwickelten und zuletzt im Februar vorgestellten Vorvorschlägen. Dialogwerkstätten nannten sich die Diskussionsrunden des Immobilienbesitzers, der Anwohner, der Betreiber und der Politik. Die Idee war eine möglichst große Übereinstimmung - ein Konsens. Geplanter Umbaustart ist 2024. Am Dientagabend soll dieser Friedensplan verkündet werden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.05.2022, 09:20 Uhr
Korrektur: In einer früheren Version des Textes wurde für "urban" auf Englisch als die Lautschrift "ʊʁˈbaːn" verwendet. Das ist allerdings IPA für die deutsche Aussprache. Richtig ist "ˈɝbən". Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.