Interview | Nachbarschaft in Pankow - "Die Urigkeit, das Einfache, ist ein bisschen verloren gegangen"

Fr 20.05.22 | 15:10 Uhr
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Kindermannschaft von Borussia Pankow (Quelle: rbb/privat)
Bild: rbb/privat

Dass nach Prenzlauer Berg auch Pankow boomt, ist keine Neuigkeit. Allerdings hat sich die Nachbarschaft verändert. Das macht sich zum Beispiel auch beim Fußballverein Borussia Pankow im Florakiez bemerkbar. Ein Vereinsmitglied erzählt.

Am 20. Mai 2022 findet der "Tag der Nachbarn" statt. Eine Gegend in Berlin, in der sich die Nachbarschaft in den vergangenen Jahren deutlich verändert hat, Stichwort Gentrifizierung, ist Alt-Pankow. Der dem Großbezirk namensgebende Ortsteil direkt am Flüsschen Panke boomt. Und wer könnte besser berichten, inwiefern sich die Nachbarschaft verändert hat, als ein Mitglied eines alteingesessenen Fußballvereins.

Zur Person

Frank Holweger vom Verein Borussia Pankow. (Quelle: privat)
privat

Borussia Pankow - Frank Holweger

Frank Holweger stammt ursprünglich aus Rathenow im brandenburgischen Havelland. Um die Jahrtausendwende zog er nach Berlin, landete irgendwann in Alt-Pankow, im heutigen Florakiez. Dort engagiert er sich im ansässigen Fußballverein - bis heute, obwohl er längst an den Stadtrand gezogen ist.

rbb|24: Hallo Herr Holweger, Sie gehören ja mit Borussia Pankow zu einem Traditionsfußballverein in Alt-Pankow. Wie lange gibt es den Verein schon und wie lange sind Sie selbst dabei?

Frank Holweger: Den Verein gibt es in der jetzigen Form seit 1990. Gegründet wurde der Vorgängerverein aber schon 1960.

Ich bin seit 2008 dabei. Seit 2009 als Trainer und 2011 herum bin ich zum Jugendleiter gewählt worden. Und als dann der ganze Boom losging hier in Pankow habe ich die Jugendabteilung mitaufgebaut und bin seit 2019 auch Vereinsvorsitzender.

Wir reden heute über den beliebten und ja, boomenden, Florakiez. Welche Beschreibung fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an die Gegend heute denken?

Elitär. Das ist das erste Wort, das mir einfällt, auch wenn es vielleicht überspitzt klingt. Aber die Mitglieder die wir haben, vielmehr hauptsächlich deren Eltern – wir sind ja hauptsächlich ein Jugendverein – sind wirklich zu 80 bis 90 Prozent Zugezogene, die mit den entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet sind, dass sie sich die Gegend auch leisten können. Sie haben entsprechend hochrangige Jobs in Kultur, Wirtschaft, Bildung und Politik.

Der Anteil der alteingesessenen Berliner ist sehr gering mittlerweile. Dadurch fehlt das herzlich-prollige, was den Urberliner so ausmacht. Am Anfang konnte ich das ja noch erleben. Das ist schon ein ganz schöner Bruch zu der Klientel, das wir jetzt haben. Die Leute passen nicht so hundertprozentig zu dem, wie ich Fußball kennengelernt habe. Die Urigkeit, das Einfache, ist ein bisschen verloren gegangen. Das ist eine ganz neue Zeit.

Kommen die Fußballspielerinnen und -spieler vor allem aus der näheren Umgebung? Und war das schon immer so? Der Wedding ist ja quasi nur einen Steinwurf entfernt, kommen von da auch Spieler?

Wir sind tatsächlich ein Kiezverein. Etwa 80 Prozent unserer Mitglieder kommen aus der unmittelbaren Umgebung. Ganz wenige, aber eher im Erwachsenenbereich, kommen auch von weiter weg. Aus Friedrichshain oder Reinickendorf. Aus dem Wedding kommen noch weniger Spieler. Etwa 20 von 550 Kindern. Darüber sind wir eher traurig. Theoretisch müssten da mehr kommen. Die S-Bahn bildet in der Gegend eine Art Grenze und die spüren wir auch.

Wer sein Kind bei Ihnen anmelden will, muss sich auf lange Wartezeiten einstellen oder erhält gleich eine Absage. Seit wann ist das so?

Nein, das war nicht immer so! Als ich als Jugendleiter 2011 herum angefangen habe, hatten wir eine kleine Jugendabteilung mit fünf, sechs Nachwuchsteams. Da konnten wir noch jedes Kind aufnehmen. Nach und nach haben wir sämtliche Altersklassen und Jahrgänge besetzen können. Und etwa seit 2015 ist es so, dass wir fast mehr Wartende haben als Mitglieder. Zumindest in einigen Jahrgängen. Wir haben teilweise fünfte und sechste Mannschaften. Das ist ein Umfang, den wir vom Platz her eigentlich gar nicht so wirklich gut stemmen können. Wir machen es aber trotzdem, um dem großen Andrang irgendwie gerecht zu werden. Es macht uns keinen Spaß, Kinder nachhause zu schicken. Aber manchmal geht es einfach nicht anders. Daher gibt es Wartelisten.

Nehmen die Eltern aus der Nachbarschaft das einfach hin oder probieren die, Sie zu überzeugen und machen Stress?

Stress gibt es eher weniger. Die meisten sind recht einsichtig. Die Kommunikation mit den Leuten bei uns im Kiez läuft sehr gut. Das mag am Bildungsstand liegen. Ich höre von anderen Vereinen ja andere Geschichten. Aber der Druck, den einige Eltern machen, ist schon recht groß. Wenn ich jemandem empfehle, in zwei Monaten nochmal für sein Kind nachzufragen, kommt schon oft nach zwei Wochen wieder eine Nachfrage. Das ist nervig - aber ich kann es auch verstehen.

Der Anteil der alteingesessenen Berliner ist sehr gering mittlerweile. Dadurch fehlt das herzlich-prollige, was den Urberliner so ausmacht.

Frank Holweger, Vereinsvorsitzender Borussia Pankow

Wie hat sich die Gegend um ihren Fußballplatz in den vergangenen Jahren denn verändert?

Als ich angefangen habe beim Verein 2008 war ich erstmal "nur" Vater. Da gab es sogar noch zwei Fußballplätze nebeneinander, die uns zur Verfügung standen. Auf dem zweiten wurde aber bald eine Wohnsiedlung mit Einfamilienhäusern errichtet. Das war aber auch eine der letzten Flächen in Pankow, wo man noch einen Platz hätte erhalten oder neu bauen können. Es gab noch ein weiteres Grundstück, das wir nutzen konnten, da wurden auch Millionenvillen hingebaut. So geht das ja hier mit jeder Fläche. Und die Leute, die dann da wohnen, sind unsere Nachbarschaft, deren Kinder spielen in unserem Verein.

Sie sind ja mit dem Fußballverein direkt neben zuerst erwähnten Wohngebiet. Gibt es da auch manchmal Beschwerden aus der Nachbarschaft?

Nein, da wussten die Leute ja schon beim Einzug, auf was sie sich einlassen. Außerdem kommt wirklich aus mindestens jedem zweiten Haus ein Kind, das bei uns spielt oder gespielt hat. Da haben andere, innerstädtische Plätze mehr Probleme.

Blick auf die Wollankstraße in Alt-Pankow (Quelle: rbb/privat)
Blick auf die Wollankstraße im Pankower Ortsteil Alt-PankowBild: rbb/privat

Über Eltern am Spielfeldrand ist ja immer mal wieder abgründiges zu lesen. Flippen die Alt-Pankower Eltern auch gern mal aus, wenn der Nachwuchs spielt? Oder sind die immer achtsam und entspannt?

Da flippt auch mal jemand aus, das gibt es schon. Aber das hat weniger mit den Eltern zu tun, sondern vielmehr damit, wie man die Kinder und ihre Eltern als Sportverein aufnimmt. Wenn man von Anfang an klarmacht, wo die Eltern stehen und wie sich verhalten sollen, geht das ganz gut. Daher haben wir eigentlich relativ wenig Probleme. Klar kommt es immer mal wieder vor, dass sich ein Vater ungerecht behandelt fühlt, weil sein Kind gerade gefoult wurde oder weil es nur sieben Minuten spielen durfte in der ersten Halbzeit, während alle anderen acht gespielt haben. Aber das kann man gut handhaben.

Sie selbst wohnen inzwischen nicht mehr in Alt-Pankow, sondern am Stadtrand. War es ihnen zu anstrengend mittendrin?

Nein, im Gegenteil. Aber ich bin der Vater von Zwillingen und wir haben eine etwas größere Wohnung gesucht. Und in Pankow war nichts zu finden, was wir uns hätten leisten können oder wollen. Meine Kinder, die gerade in Pankow ihr Abitur machen, spielen auch noch immer bei Borussia.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Prieß, rbb|24

Sendung: Antenne Brandenburg, 19.05.2022, 14:30 Uhr

5 Kommentare

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  1. 5.

    Ein schöner WE-Artikel. Und auch in anderen Regionen, gilt man, auch nach50 Jahren noch, als Zugezogener...
    Ein sehr schöner nachdenklicher Satz: Provinz ist überall. (Was da alles drinsteckt)

  2. 4.

    Sie lesen da etwas heraus, was „Bernd“ so nicht gemeint hat und eher eine Nebenrolle spielt. Er hat aber wunderbar deutlich gemacht, dass man dem Urigem widersprüchlich nachtrauert, sonst aber „erzieherisch“ falsch spricht, was „von oben herab“ wirkt.... und so unnötig signalisiert: Ich gehöre nicht dazu.

    P.S. Es hat seinen Grund, wenn man auf andere angewiesen ist, besser richtig geschlechtsneutral zu sprechen/schreiben, also nicht zu gendern.

  3. 3.

    Was genau soll daran verkrampft sein?
    Als geborener Berliner kann ich nur sagen, dass mir viele "Zugezogene" in ihrer Art sympathischer sind als die mit der sogenannten "herzlich", v. a. eher prolligen Art.
    Allein dieses ständige Hinweisen auf "Zugezogene" nervt einfach.
    Hohe Mieten sind ätzend, genauso ist es aber das ständige Rumgejammer und Herabsehen auf "Zugezogene".

  4. 2.

    Das herzlich-prollige ist verloren gegangen. Merkt man allein schon am Interview. Der Fragesteller gendert verkrampft, der Befragte nutzt unbekümmert locker das generische Maskulinum. Daumen hoch für Letzteren.

  5. 1.

    Die Kolonialmacht schlägt unbarmherzig zu. Ich kenne die Florastrasse, dort gibt es kaum noch Berliner und in Pankow ist es in anderen Stadtteilen ebenso. Ich bin auch 1965 aus beruflichen Gründen nach Pankow gezogen, um mich anzupassen. In den letzten Jahren sind gut Betuchte aus dem Westen gekommen, um uns zu verändern ob wir wollen oder nicht.

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