Seismologischer Ausschlag - Konzertbesucher lassen offenbar Erde in Berlin erbeben
Anwohner im Südosten Berlins berichteten am Freitagabend über eine kurze, starke Erschütterung. Ein Erdbeben? Nein, sagt ein Experte. Allerdings bebte die Erde tatsächlich, offenbar ausgelöst durch ein Konzert der Band Florence & the Machine auf dem Tempelhofer Feld. Von Mark Perdoni
"Das ist nicht lustig. Meine Wohnung schwankte, die Stehlampe schwankte auch", schreibt eine Anwohnerin in Berlin-Neukölln rbb|24 über ihre Erfahrungen vom Freitagabend. Ihre erste besorgte Vermutung: "ein Erdbeben".
Sie ist an diesem Abend offenbar nicht die einzige, die eine Erschütterung in ihrer Wohnung spürt: Der Datenanalyst Jens Skapski registriert an dem Abend auf seinem Portal "erdbebennews.de" eine hohe Anzahl Zugriffe von Menschen aus Berlin-Neukölln. "Wir haben ja normalerweise keine Erdbeben in Berlin. Deshalb wollte ich es genauer wissen", sagt Skapksi rbb|24 auf Nachfrage. Am Samstag liefert er das Ergebnis seiner Recherchen auf Twitter.
1,4 auf der Lokalmagnitudenskala - für eine Minute
Und tatsächlich: Um Punkt 20:58 registrieren laut Skapksi gleich drei private seismologische Stationen in näherer Umgebung des Tempelhofer Feldes einen überdurschnittlichen Ausschlag, 1,4 auf der Lokalmagnitudenskala. "Das ist äquivalent mit einem kleinen Erdbeben", erklärt der studierte Geowissenschaftler. Ein Erdbeben schließt Skapksi jedoch aus: "Ein natürliches Erdbeben wäre kürzer und mit höherer Frequenz." Laut seinen Auswertungen dauerte die Erschütterung eine Minute. Das deckt sich mit den Schilderungen der Neuköllner Anwohnerin: "Ich hatte für 30 bis 60 Sekunden das Gefühl von Schwankschwindel", schreibt sie.
"Vermutlich gehen die Signale auf ein Konzert zurück", sagt Skapski. Diese Vermutung kommt nicht von ungefähr: Am Wochenende findet erstmals das Rockfestival Tempelhof Sounds auf dem Rollfeld vor dem ehemaligen Flughafengebäude auf dem Tempelhofer Feld statt. Zum Zeitpunkt der Erschütterung auf der Bühne: die englische Rockband Florence & the Machine.

"Das hatten wir bei Open Airs mit 60.000 Zuschauern noch nie"
So schreibt ein Nutzer, der offenbar zu dem besagten Zeitpunkt auf dem Konzert war, bei Twitter: "Bei Florence & the Machine gab es gegen 21 Uhr einen Moment, wo ziemlich viele gleichzeitig gesprungen sind. Da hat man die Erschütterungen vor Ort auch gespürt."
Experte Jens Skapksi hält diesen Ursprung für plausibel. "Bei natürlichen Erdbeben dieser Stärke spürt man nichts. Da sind ja auch noch einige Kilometer Gestein dazwischen. Hier ist die Quelle direkt an der Bodenoberfläche. Das spürst du dann direkt. Und da sind auch Schwingungen von Häusern möglich."
Auf Skapksis Ergebnisse reagierte eine Facebook-Nutzerin, die sich als ehemalige Tourmanagerin bezeichnet, verwundert: "Das hatten wir selbst bei Open Airs mit 60.000 Besuchern noch nie."
Laut Skapski hat das weniger mit der Menge der Zuschauer, sondern mit dem Untergrund zu tun. Ein entsprechender Boden könne die Energie der springenden Menge gut aufnehmen und weiterleiten. Das könnte ihm zufolge auch der Grund sein, dass die Erschütterung zwei Kilometer entfernt zu spüren gewesen ist.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Erde infolge eines Konzertes bebt: Im Jahr 2017 kam es während eines Auftritts der Chemnitzer Band Kraftklub in Leipzig zu Dutzenden Anrufen von besorgten Anwohnern wegen eines möglichen Erdbebens bei der Feuerwehr [mdr.de]. Zumindest für einen anderen Facebook-User scheint das Phänomen auch in Berlin nicht neu zu sein: "Aus meiner Zeit, als ich noch am Tempelhofer Feld wohnte, kenne ich diese Erschütterungen bei Konzerten".
Sendung: Radioeins, 11.06.2022, 16 Uhr