Wie es Schwarzen Menschen geht, die hier ins Grüne fahren - "Ich fühle mich sehr unwohl"

Sa 25.06.22 | 11:51 Uhr | Von Sabine Priess
Touristen fahren mit einem Kahn über ein Fließ (Wasserweg) im Spreewalddorf Lehde. (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Bild: dpa/Patrick Pleul

Es ist Sommer, die Sonne scheint und wer Zeit hat, fährt raus ins Grüne – ins Brandenburgische also. Doch nicht alle Menschen fühlen sich dabei wohl. Manche fahren sogar gar nicht – sie fürchten rassistische Übergriffe. Von Sabine Priess

Als die Schwarze Ich-Erzählerin in Olivia Wenzels Roman "1000 Serpentinen Angst" mit einem Freund an einem Badesee in Brandenburg sitzt, tauchen vier gut erkenntliche Neonazis auf. "Rechter Terror ist: Die Stimmung kippt von jetzt auf gleich, die zwei Familien verziehen sich, es sind nur noch wenige Leute am Badesee. Mein Freund und ich bleiben unbeholfen im Schatten (…)", schreibt Wenzel.

Sie weiß, wovon sie spricht. Denn die Autorin und Dramatikerin Olivia Wenzel ist selbst Schwarz, sie ist in Thüringen aufgewachsen und lebt inzwischen in Berlin. In einem Interview mit rbb|24 sagte sie, es gehe ihr in ihrem Buch auch um die "Angst vor der Angst". Also auch der Angst vor "Realitäten, die vielleicht gar nicht eintreffen". In der Geschichte passiert dem Paar in dieser Szene dann tatsächlich faktisch nichts. Dennoch bricht der Schwarzen Protagonistin "kalter Angstschweiß" aus.

"Von Kopf bis Fuß komisch angesehen"

Doch nicht immer passiert Menschen, denen man ihren Migrationshintergrund ansieht, in Brandenburg rein gar nichts. "Du nix machen, Du mache kapuuuut", bekommt seinen Angaben nach einer unserer Nutzer zu hören, als er im Spreewald an einem Kiosk Hand an einen Sonnenschirm legt. Das radebrechende Deutsch wird wohl angewandt, weil der Nutzer Schwarz ist. Ein anderer, Vater einer halbasiatischen Tochter, schreibt, ihm sei nahegelegt worden, lieber nicht mit dem Kind zum Dorffest zu kommen – in das Dorf, in dem seine eigenen Eltern leben.

Estera, eine junge Romni aus Berlin-Neukölln, berichtet rbb|24, sie sei in Brandenburg bislang immer gemeinsam mit Freunden unterwegs gewesen. Diese hätten ihr "das Gefühl von Sicherheit" gegeben. Aber der Gedanke, dass sie als nicht weiß gelesene Person jederzeit Rassismus erfahren könnte bei einem dieser Ausflüge, bereite ihr kein gutes Gefühl. Es sei für sie zudem "selbstverständlich, dass sie in Brandenburg von Kopf bis Fuß komisch angesehen" würde.

Familien in Potsdamer Park am See am 16.07.2020. (Quelle: dpa/Karl-Heinz Spremberg)Zwei Kopftuch tragende Frauen mit einem Kinderwagen picknicken im Freien

"Weltoffen, tolerant, partnerschaftlich und gastfreundlich"

Dabei lebt Brandenburg auch vom Tourismus und wirbt mit idyllischen Motiven um Urlauber. "Dieser Weg ist das Ziel" begrüßt man an der Landesgrenze mit dem Auto Einreisende. Zu sehen ist ein Steg, an einem malerischen See. Der offizielle Landes-Slogan heißt "Brandenburg. Es kann so einfach sein". Beide Sprüche sollen Lust auf die Mark machen, heißt es bei der Tourismus-Marketing GmbH (TMB) und suggerieren, dass Reisende sich willkommen fühlen sollen, und sich um ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden keinen großen Kopf machen müssen. Aber gilt das für alle Reisenden? Sind auch Urlauber mit sichtbarem Migrationshintergrund willkommen? In der Theorie auf jeden Fall. Zu lesen in der Selbstdarstellung der Tourismus-Marketing: "Wir sind weltoffen, tolerant, partnerschaftlich und gastfreundlich", heißt es da.

"Selbstverständlich sind uns alle Menschen herzlich willkommen", sagt so auch Birgit Kunkel von der TMB rbb|24. Man engagiere sich sehr für Weltoffenheit und gegen Rassismus, so die Touristikerin. Es scheine aber, so Kunkel weiter, "alte Ressentiments zu geben, was Brandenburg betrifft", die nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmten. Die aktuelle Zahl der Übergriffe beziffere die Opferperspektive Brandenburg für das Jahr 2021 mit 150 rechten Gewalttaten für Brandenburg, 65 davon seien rassistisch motiviert gewesen. Betroffen davon waren vor allem geflüchtete Menschen. "Aber wenn man weiter zurückblickt, gab es leider vereinzelt auch Fälle, wo Menschen betroffen waren, die hier als Touristen unterwegs waren. Der letzte Fall, der da aktiv an uns gemeldet wurde, ist aus dem Jahr 2011", so Kunkel.

Ein Einzelfall? Im 2020 erstmals erhobenen Afrozensus, der größten jemals durchgeführten Befragung unter "Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen in Deutschland", gaben 94 Prozent der Befragten an, bestimmte Zielorte zu meiden, weil sie für sie gefährlich sein könnten.

Junge Frau unterwegs im Grünen (Quelle: IMAGO / Westend61)Touristin unterwegs im Grünen

Ausflüge ins Grüne als potenzieller Stressfaktor

Fahre sie nach Brandenburg, berichtete die Schwarze Berliner Moderatorin und Influencerin ShaNon rbb|24 2020 in einem Interview, frage sie sich schon vorher, bis wohin sie sich in den Öffentlichen Verkehrsmitteln wohlfühle. "Gefühlt kippt die Stimmung da manchmal für mich schon zwei Stationen nach der Stadtgrenze", so die Frau. "Es geht um das Bauchgefühl". Auch ihre weißen Freunde würden ihr oft vom Zug abraten, weil sie das Risiko eines Übergriffs als zu hoch einschätzen.

Kemi Fatoba, eine Schwarze Autorin aus Berlin, berichtete für die "Zeit", seit der Pandemie lese sie öfter Anfragen in den Sozialen Medien, in denen nach Empfehlungen für einen Tagesausflug ins Umland von Berlin gefragt werde. "Die Orte sollten sicher für People of Color (PoC) sein." Ausflüge ins Grüne seien für PoC im Prinzip immer ein potenzieller Stressfaktor, heißt es in dem Beitrag. Überschrift des Artikels: "Stadt, Land, Angst".

Es gibt migrantische Einzelpersonen und Communities, sowie zivilgesellschaftliche Akteure, die sich aktiv gegen Rassismus einsetzen. Dennoch wäre es vermessen, davon zu sprechen, dass Brandenburg sicher für BPoC sei.

Birgit Peter, Antidiskriminierungsberatung Brandenburg

Die Schwelle, Vorfälle zu melden, ist hoch

Man spreche für nicht weiße Touristen "keine Sicherheitsgarantien aus. Aber das kann niemand. Niemand kann einem garantieren, dass einem nichts passiert, wenn man irgendwo hinreist", sagt Birgit Kunkel. Sie sagt auch, bei der TMB habe noch niemand nach Empfehlungen für nicht weiße Touristen gefragt.

"Wir bekommen zu diesem Thema regelmäßig Anrufe", sagt hingegen Nevena Mitić vom Verein Opferperspektive in Potsdam. Viele wollten gern eine "Lageeinschätzung" dafür, wie sicher Ausflüge und Reisen nach Brandenburg für beispielsweise Schulgruppen aus Berlin seien. "Es gibt ein reales Bedrohungsgefühl", das Schwarze Menschen und PoC, die nicht aus Brandenburg kommen, mit dem Bundesland verbinden würden, so Mitić. Es gäbe auch durchaus Orte, in denen Rassismus und rechte Gewalt prominenter seien als anderswo. Sie sei sich aber auch nicht ganz sicher, inwieweit ihre Zahlen die Realität widerspiegelten. Wenn Touristen schlechte Erfahrungen machten in Brandenburg, würden diese sich nämlich nicht zwangsläufig bei der Opferperspektive melden, weil sie die lokalen Strukturen gar nicht kennen würden.

Zudem sei die Schwelle, Vorfälle zu melden, relativ hoch. Menschen meldeten sich im Regelfall nicht, wenn sie angestarrt oder rüde bedient würden. Wenn sich jemand hingegen wegen erfahrener rechter Gewalt melde, komme im Gespräch oft heraus, wie viele alltagsrassistische Vorfälle es schon vorher gab und welches Ausmaß die Bedrohung habe. Sie verweist aber auch darauf, dass inzwischen viele Schwarze Menschen in Brandenburg lebten. Sie sagt, es gäbe "tolle Menschen und Orte in Brandenburg, die dazu beitragen, dass es sicherer ist".

Antidiskriminierungsberatung fordert mehr Engagement

Es gebe nicht zuletzt durch die Fluchtbewegungen in den letzten Jahren vermehrt Zuzug von BPoC (Black and People of Colour) nach Brandenburg, was einen positiven Wandel unterstütze, sagt auch Birgit Peter von der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg. "Es gibt migrantische Einzelpersonen und Communities, sowie zivilgesellschaftliche Akteure, die sich aktiv gegen Rassismus einsetzen. Dennoch wäre es vermessen, davon zu sprechen, dass Brandenburg sicher für BPoC sei". Sie sagt es brauche mehr Engagement aller Brandenburger. "Auch Strukturen im Tourismus müssten sich dem Problem offen stellen, was unverständlicherweise zu wenig passiert. Denn betroffene Touristen, die sich nach einer Anfeindung oder ähnlichem an uns gewendet haben, wollten in Zukunft bewusst nicht mehr nach Brandenburg reisen", so Peter von der Antidiskriminierungsberatung.

"Mir sind keine Statistiken oder Zahlen bekannt, die das zum Ausdruck bringen", sagte wiederum vom Tourismus-Marketing TMB. "Und ich kann es auch aus unseren Erfahrungen und Gesprächen heraus, die wir hier intensiv mit Gästen führen, nicht bestätigten. Insofern würde ich ein wenig in Abrede stellen, dass belegbar ist, dass sich Leute nicht trauen würden, nach Brandenburg zu fahren."

Touristen, die nicht kommen, kann man nicht messen

Zählen kann man Touristen, die nicht kommen, tatsächlich nicht. Ihnen zuhören, was sie zu sagen haben, aber schon. rbb|24 hat daher aktuell nachgefragt, wie sich nicht weiß gelesene Menschen in Brandenburg oder im Urlaub in Deutschland fühlen. "Ich fühle mich sehr unwohl", berichtet ein User, denn es kämen schon viele Kommentare. Eine Frau berichtet, sie würde weder an die Ostsee noch nach Brandenburg "ohne Gruppe" fahren.

Viele weitere Nutzer berichten in der nicht repräsentativen Umfrage von permanentem Anstarren: "Man wird gemustert, als wäre man ein Alien" und mehrere von NS-Symbolen, die in Gärten offen gezeigt würden. Auch von physischen Attacken wird berichtet. Er sei in Potsdam von einer Frau auf dem Fahrrad angespuckt worden, berichtet ein Nutzer. Ein weiterer schreibt, eine Freundin sei von Rechten auf dem Campingplatz überfallen worden. Ein Nutzer schreibt er sei als "Kanake" beschimpft worden, eine andere Zusenderin berichtet von Bemerkungen wie "Schleiereule, geh zurück in dein Land".

Doch rbb|24 wird auch bezichtigt, betroffene Menschen schon mit der Frage noch mehr zu verunsichern, und es gibt Einsendungen – wiederum zu Potsdam - dass ebendiese Stadt sehr weltoffen sei und man "in Ruhe in den Parks spazieren gehen könne". Nicht alle, die sich zu Wort melden, scheinen, das suggeriert ihr Profilbild, jedoch zur von etwaigen Anfeindungen betroffenen Zielgruppe zu gehören.

Social-Media-Umfrage von rbb|24: Sie werden nicht weiß gelesen? Wie fühlen Sie sich im Urlaub in Brandenburg?

Collage: User-Kommentare. (Quelle: rbb)User-Antworten auf unsere Frage, wie sich nicht weiß gelesene Menschen beim Urlaub in Brandenburg fühlen

Nach Lübbenau kommen Touristen aus aller Welt

Im Spreewald, im Großen Kahnhafen in Lübbenau, sei das touristische Publikum inzwischen absolut international, berichtet Steffen Franke, Vorstandschef der Kahnfährgenossenschaft Lübbenau und Sprecher der Lübbenauer Fährunternehmen rbb|24. Dieses Pfingsten sei man regelrecht überrannt worden.

Es kämen Touristen aus den USA, davon viele Schwarz, aus Frankreich ebenso. "Und jeder Schwede ist auch schon hier gewesen, sagen wir immer". Die Schweden allerdings sähen ja doch sehr europäisch aus, konkretisiert Franke. Es kämen aber auch sehr viele Touristen inzwischen, die aus Pakistan oder Indien stammen müssten. "Das sind wohl oft Menschen, die in Berlin leben und dort in der IT-Branche arbeiten", so Franke. Er hätte schon gehört, dass diese sich gegenseitig Tipps geben würden, welche Urlaubsorte für sie sicher seien. "Lübbenau schneidet da bestimmt ganz gut ab", mutmaßt Franke. Man sei in dem Spreewaldort in jeder Hinsicht auf die Gäste aus aller Welt eingestellt. Wie das abseits der sehr touristischen Pfade sei, könne er jedoch nicht einschätzen.

Rassismus findet in allen Regionen statt

Seit der Corona-Pandemie spätestens ist bekannt, dass auch Menschen asiatischer Herkunft Diskriminierung ausgesetzt sind in Deutschland. Auf Nachfrage von rbb|24 berichtet eine deutsche Mittvierzigerin mit koreanischen Eltern, die in Berlin lebt, sie mache keinen Urlaub in Brandenburg. Das Bundesland fühle sich "merkwürdig" für sie an. Insbesondere in Zeiten von Wahlen, in denen Plakate von NPD und AfD "sehr dominant und präsent waren". Sie sagt aber auch, dass Rassismus, diese Erfahrung habe sie gemacht, unabhängig von Regionen stattfinde.

Das betonen auch die Touristikerin Birgit Kunkel, Birgt Peter von der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg und Nevena Mitić von der Opferperspektive Brandenburg.

Glossar / Begriffserklärung

PoC steht im Singular für "Person of Color", im Plural für "People of Color". Es handelt sich um eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrungen, die nicht als weiß, deutsch und westlich wahrgenommen werden, sich aber auch nicht unbedingt selbst so definieren. Seinen Ursprung hat der Begriff in der Black Power-Bewegung in den USA Ende der 1960er Jahre

BPoC steht für Black and People of Color. So sollen Schwarze Menschen ausdrücklich eingeschlossen sein.

BIPoC steht für Black, Indigenious and People of Color. So sollen auch indigene Menschen explizit eingeschossen werden.

Bei den Begriffen geht es weniger um die Farbe der Haut, als um eine (Selbst-)Bezeichnung für die Menschen und Gruppen, die Rassismus ausgesetzt sind, die diese Erfahrungen teilen und die aufgrund von Fremdzuschreibungen als nicht zugehörig definiert werden.

"Schwarz" wird als politische Bezeichnung Schwarzer Menschen groß geschrieben, "weiß" gilt als eine Beschreibung sozialer Positionierung und wird daher klein geschrieben.

Nicht alle Betroffenen verwenden diese positiv besetzten kollektiven Selbstbezeichnungen.

Beitrag von Sabine Priess

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