Erster CSD in der Prignitz - "Das ist eine riesige Befreiung"

Fr 17.06.22 | 07:47 Uhr | Von Björn Haase-Wendt
1. Christopher Street Day in der Prignitz (Quelle: rbb/Björn Haase-Wendt)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 15.06.2022 | Franziska Tenner | Bild: rbb/Björn Haase-Wendt

Anders als in Metropolen fehlt auf dem Land oft die Sichtbarkeit von queeren Menschen - dabei sind sie auch in Brandenburg zunehmend Angriffen ausgesetzt. Um das zu ändern, hat in Wittenberge eine Gruppe junger Prignitzer den ersten CSD organisiert. Von Björn Haase-Wendt

Laut, bunt und vielfältig soll es am Samstag in Wittenberge werden, wenn der erste Christopher Street Day in der Prignitz stattfindet. Seit drei Jahren arbeitet das ehrenamtliche Team rund um Jeremie Tille auf diesen Tag hin. "Der CSD Prignitz soll ein Safeplace für queere Menschen werden, und wir wollen mit den Prignitzern in den Austausch kommen", sagt der 21-jährige Pritzwalker.

Jeremie ist in den letzten Jahren zum Kopf des Prignitzer CSD geworden, an dem das ehrenamtliche Team aus jungen Prignitzerinnen und Prignitzern seit 2019 arbeitet. Aufgrund der Coronapandemie musste der Demozug bereits zweimal ausfallen, nun kann er aber stattfinden.

Paradiesvogel übernimmt Schirmherrschaft

Ab 12 Uhr wird eine Demonstrationsparade angeführt von einem Musiktruck durch die Wittenberger Innenstadt ziehen. Etwas mehr als drei Kilometer wird die Route lang sein - vom Festspiel- und Kulturhaus über den Bahnhof und die Perleberger Straße. Ab 14:30 Uhr gibt es auf dem Paul-Lincke-Platz ein Bühnenprogramm mit politischen Reden, DJs, Dragqueens und Travestie.

Die Schirmherrschaft hat der Berliner TV-Entertainer und selbsternannte Paradiesvogel Julian F.M. Stoeckel. "CSDs sind in den Weltmetropolen gesetzt, aber ein Christopher Street Day in der ländlichen Region ist etwas Besonderes. Wenn ein junger Mann wie Jeremie den Mut aufbringt, dieses Wagnis einzugehen, dann muss man das unterstützen", sagte der Berliner dem rbb. Julian F.M. Stoeckel wird am Samstag auch in Wittenberge sein und den Demonstrationszug mitanführen. Weitere Gäste aus der LGBTQIA+-Community sind unter anderem Österreichs bekanntester Travestie-Künstler Angelo Conti, Prince-Charming-Teilnehmer sowie "Vollqueer"-Podcaster Antonio Sosic und Dragqueen Ruda Puda.

"Wir müssen uns wehren, wenn Grenzen überschritten werden"

Mit dem CSD sollen queere Menschen in der Prignitz sichtbar werden, denn immer wieder sind sie Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt. Die Erfahrung musste auch Jeremie Tille früh machen. In seiner Schulzeit wurde er aufgrund seiner Homosexualität beleidigt und ausgegrenzt. Durch Schüler und Lehrer, die Hassbotschaften gegen den Pritzwalker nicht entfernen ließen, sondern Jeremie Schleifpapier in die Hand drückten mit den Worten, dass er sie doch selbst entfernen solle. Diese Erfahrung gibt Jeremie heute die Kraft und Motivation, sich für andere Menschen einzusetzen: "Mein Ziel ist es, dass queeren Menschen nicht gleiches wiederfährt, wie ich es habe erfahren müssen."

Doch auch heute schlägt den CSD-Organisatoren regelmäßig der Hass vor allem in den sozialen Netzwerken entgegen. Das Team hatte jüngst mehrere Strafanzeigen gestellt. "Wir müssen uns wehren, wenn Grenzen überschritten werden. Das sind persönliche Angriffe oder wenn Pädophilie mit Homosexualität verglichen wird – da hört einfach der Spaß auf", sagt Jeremie, der eine Ausbildung zum Erzieher absolviert.

Angriffe auf queere Menschen seit 2019 verdreifacht

Auch ein Blick auf die Polizeistatistik zeigt eine deutliche Zunahme der Angriffe gegen queere Menschen in Brandenburg. Registrierte die Polizei 2019 nur acht Fälle, waren es im vergangenen Jahr schon 25. Dabei handelte es sich meist um Beleidigungen, aber auch um Körperverletzungen und Bedrohungen, wie die Polizei auf rbb-Anfrage mitteilte. Allerdings dürfte die Dunkelziffer deutlich höher sein. Gerade in Kleinstädten sei die Hürde, Beleidigungen und Angriffe anzuzeigen, sehr hoch, da damit meist auch ein Outing verbunden sei, heißt es von der Koordinierungsstelle Queeres Brandenburg.

"Das ist eine riesige Befreiung"

Es gibt aber auch die guten Erfahrungen, wie das Beispiel von Pascal Kaiser zeigt. Der 23 Jahre alte Pfleger ist für die Liebe von Köln in die Prignitz gezogen und sagt: "Die Prignitz ist toleranter als Köln."

Denn dort würden die Hasskommentare auch auf der Straße kommen, was auf dem Land von Angesicht zu Angesicht seltener sei. Der 23-Jährige will ein Vorbild für andere sein – vor allem in einer Sportart, die sich mit Homosexualität immer noch schwertut. "Fußball – mein Leben", sagt er. Vor kurzem hat sich der ehrenamtliche Schiedsrichter in einer Regionalzeitung als bisexuell geoutet. Vor der Veröffentlichung hatte der 23-Jährige viele Bedenken, aber es müsse sich etwas im Fußball bezüglich Homophobie ändern. "Ob es Fans sind, Spieler oder Spieloffizielle", sagt Pascal.

Die Reaktionen auf sein öffentliches Outing waren in der Region weitestgehend positiv. Der Fußballlandesverband, der Schiedsrichterausschuss und auch sein Verein Wittenberge/Breese würden hinter ihm stehen. "Da gab es ganz viele positive Feedbacks, aber klar hatte ich auch schon Äußerungen vom Rand des Fußballplatzes wie Schwuchtel oder ähnliches."

Als Schiedsrichter gehe er dagegen vor, schließlich sei das seine Aufgabe. "Ich akzeptiere das nicht, notfalls breche ich ein Spiel ab." Das Outing im Fußball sei aber der richtige Weg gewesen, sagt er rückblickend: "Das ist eine riesige Befreiung."

Pascal Kaiser und sein Freund Jeremie (Quelle: rbb/Björn Haase-Wendt)
Jeremie Tille (links) und Pascal Kaiser vom CSD-Team | Bild: rbb/Björn Haase-Wendt

Diskriminierung von schwulen und bisexuellen Männern bei Blutspende

Dem 23-Jährigen ist aber noch ein weiteres Thema wichtig, für das er beim Prignitzer CSD einstehen möchte und das ihn täglich in seiner Arbeit als Pfleger berührt: das Transfusionsgesetz. Zwar gab es im vergangenen Jahr eine Neuregelung, gänzlich aufgehoben ist die Diskriminierung von schwulen und bisexuellen Männern bei der Blutspende aber weiterhin nicht.

Statt einem Jahr müssen sie mindestens vier Monate monogam in einer Beziehung leben oder als Single auf Sex verzichten, um Blut spenden zu können. "Ich erlebe es täglich in meiner Arbeit, wie viele Blutkonserven wir brauchen", erklärt Pascal. Ein "Aussortieren" der Spender aufgrund der sexuellen Orientierung sei nicht richtig. "Es kann nicht sein, dass Menschen sterben, weil der potenzielle Blutspender überspitzt gesagt zu schwul ist – das muss geändert werden", fordert der Pfleger.

Und auch in der Prignitz sehen die jungen Macherinnen und Macher vom Christopher Street Day Handlungsbedarf. Gerade im ländlichen Raum fehle es in Brandenburg an ausreichend Beratungsangeboten für queere Menschen. "Wenn sie Probleme haben, dann ist die nächstmögliche Anlaufstelle in Potsdam oder Berlin. Auch unsere Gleichstellungsbeauftragten müssen dorthin weiterleiten", erklärt Jeremie Tille.

Der 21-Jährige wünscht sich deshalb, dass im Landkreis eine Referentenstelle für die Belange von Queeren geschaffen wird. "Das ist ein umfangreiches Thema, in das man sich reinarbeiten muss. Auch ich bin noch lange nicht dort, wo ich hinmöchte." Selbst Schulsozialarbeiter oder Jugendvereine könnten diese Arbeit nicht abdecken, wenn etwa Schulen nach Beratung und Aufklärungsangeboten fragten.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 15.06.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Björn Haase-Wendt

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