Einsatzlage bei Berliner Feuerwehr immer dramatischer - Wenn der Ausnahmezustand keine Ausnahme mehr ist

Eine schlimme Nacht liegt hinter den Einsatzkräften der Berliner Feuerwehr: Am Samstag herrschte ganze 16 Stunden lang der "Ausnahmezustand" - der scheint inzwischen aber eher "Normalzustand" zu sein. Kann eine Analyse der Nacht in Zukunft helfen?
Nachdem die Berliner Feuerwehr in der Nacht von Samstag auf Sonntag 16 Stunden lang im Ausnahmezustand war, soll es nun eine interne Auswertung geben. Das sagte ein Sprecher der Feuerwehr am Montag auf Anfrage von rbb|24. Am Montag fanden erste Krisensitzungen statt. Wann es ein Ergebnis gebe, sei aber noch offen.
Jedes Jahr mehr Ausnahmezustände
Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt: Die Situation wird immer angespannter. 2020 wurde der Ausnahmezustand noch 64 Mal ausgerufen, 2021 verdreifachte sich dann die Zahl auf 178. Jetzt sieht es danach auch, als ob dieser Rekord bereits zur Hälfte des Jahres gebrochen wird.
Ein Ausnahmezustand wird dann ausgerufen, wenn die Rettungswagen zu 80 Prozent ausgelastet sind und die vorgegebene Eintreffzeit von zehn Minuten bei den Patientinnen und Patienten kaum noch eingehalten werden kann. Schon in den Tagen vor Samstag war der Rettungsdienst mehrmals über mehrere Stunden im Ausnahmezustand. "Was wirklich neu ist, dass wir nach einem Notruf gar keine Fahrzeuge dorthin schicken konnten, beziehungsweise nur zeitversetzt.", sagt Feuerwehrsprecher Thomas Kirstein zu rbb|24 über den vergangenen Samstag.
Warum ist die Lage so angespannt?
Für die derzeitige Situation im Rettungsdienst sieht Kirstein mehrere Gründe. Ganz akut seien die hohen Temperaturen ein Problem. "Das macht vielen alten Menschen mit Vorerkrankungen zu schaffen." Außerdem seien wieder mehr Touristen in der Stadt, es gebe viele Veranstaltungen, dazu käme die Partyszene: "Es sind einfach viele Menschen in der Stadt unterwegs."
Die Einsätze sind deshalb so häufig wie noch nie, "1.678 Einsätze innerhalb von 24 Stunden. Das muss erst mal bewältigt werden."
Aber wie viele davon sind wirklich nötig? Während die Gewerkschaft der Polizei zuletzt noch die "fehlende Selbsthilfefähigkeit in der Bevölkerung" als Grund genannt hatte [morgepost.de, bezahlter Inhalt] will Kirstein hier auf keinen Fall intervenieren. "Wir dürfen halt niemanden verlieren."
Statistiken über die Sinnhaftigkeit von den Einsätzen gibt es kaum. Bei 20 bis 25 Prozent werden die Patientinnen und Patienten zumindest nicht ins Krankenhaus gefahren. Bei gut vier Prozent der Einsätze finden die Sanitäterinnen und Sanitäter gar niemanden mehr am Einsatzort vor.
Personalmangel als permanentes Problem
Ein weiteres großes Problem: Ressourcen-, vor allem aber Personalmangel. 107 Funktionen seien am Samstag laut Kirstein nicht besetzt gewesen. 2018 wurde die Arbeitszeit der Feuerwehrfrauen und -männer nach einem großen Protest um vier Stunden verkürzt. "Wir rennen immer noch den dadurch 300 fehlenden Leuten hinterher. Dazu kommt der generelle Mehrbedarf plus die Altersabgänge, die jetzt noch kommen." In den nächsten sieben Jahren geht laut Kirstein fast ein Viertel des Personals in den Ruhestand.
Obwohl bereits Löschfahrzeuge und deren Besatzung als Rettungsdienst losgeschickt worden sind, müsse man genau hier ansetzen, so Kirstein. "Wir müssen die Rettungswagen einfach besser besetzten." Das sei nach wie vor eine der "Hauptstellschrauben", die auch in der Analyse noch mal genau angeschaut werden sollen. Dienstpläne entsprechend zu gestalten sei bei der hohen Belastung der Einsatzkräfte aber keine einfache Aufgabe.
"Wir werden bald auch noch zusätzliche Rettungswagen von Hilfsorganisationen in den Dienst nehmen können.", so Kirstein weiter. So habe man Wagen und Personal aufgestockt.
Eine bessere Vernetzung
"Wir haben richtige Frequent-User, die im Jahr bis zu 300 Mal bei uns anrufen. Im Rahmen des vorbeugenden Rettungsdienst versuchen wir dann mit dem Hausarzt, der Krankenkasse, der sozialpsychatrischer Dienst und den Angehörigen in Kontakt zu treten.", so Kirstein. Man müsse den Menschen helfen, aber gleichzeitig verhindern, "dass sie ständig den Notruf wählen."
Auch innerhalb der Einsätze sei eine bestmögliche Vernetzung sinnvoll. Am vergangenen Wochenende habe man bereits über 100 Einsätze an die Kassenärztliche Vereinigung abgegeben, was Rekord sei.
"Ist der Ausnahmezustand überhaupt noch Ausnahmezustand?"
Lars Wieg, Vorsitzender der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) fordert im rbb24-Inforadio die Berliner Politik auf, mehr zu tun. Denn neben der Häufigkeit der Ausnahmezustände sieht Wieg auch die Dauer des letzten Zustandes als Indikator für eine neue Dimension: "Dass wir einen Ausnahmezustand über 16 Stunden hatten, da ist dann schon die Frage: Ist das noch ein Ausnahmezustand?"
"Wir fordern einen runden Tisch mit allen Beteiligten. Sich hinzusetzen und noch mal Lösungsvorschläge zu erarbeiten." Eine laufende Taskforce mit der Innenverwaltung "hat aus unserer Sicht abschließend nicht die Ergebnisse geliefert, wie wir es gerne gehabt hätten." Konkret fordert Wieg eine Änderung des Rettungsdienstgesetzes, sodass manche Einsätze nicht mehr in den Bereich der Feuerwehr fallen. Außerdem seien schon seit 2020 weitere 20 Rettungsfahrzeuge angefragt, die Innenverwaltung habe bisher nicht geantwortet.
Thomas Kirstein bestätigt die angefragten Fahrzeuge, bewertet die Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung aber positiv.
CDU kritisiert Senatsverwaltung
Auch die Berliner CDU sieht den ständigen Ausnahmezustand Feuerwehr als ein Alarmsignal. "Er dokumentiert den systematischen Missstand bei den Rettungsdiensten", so Kai Wegner, CDU-Fraktionsvorsitzender. Man habe in der Haushaltsberatung bereits zwölf zusätzliche Rettungswagen und eine Sanitätsmotorradstaffel vorgeschlagen. Der Senat habe das abgelehnt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.06.2021, 14:15 Uhr