Deutschlands größtes Insektenschutzprojekt - Forscher suchen im Havelland nach Wegen gegen das Insektensterben
Immer wieder heißt es, dass einfache Blühstreifen helfen könnten, das Insektensterben aufzuhalten. Ein simples Rezept. Ob es wirklich Erfolge verspricht, wird derzeit im Havelland getestet - in Deutschlands größtem Insektenschutzprojekt. Von Claudia Baradoy
Schnöde Landwirtschaft auf den Äckern und Wiesen zwischen Pessin, Möthlow und Paulinenaue (Havelland) war gestern. Auf rund 900 Hektar Fläche erforschen derzeit Wissenschaftler des Leibniz-Zentrums für Agrarlandforschung, was Insekten guttut - und wo sich sie besonders heimisch fühlen. Das Interesse an Ergebnissen ist in der Wissenschaft riesig. Seit Jahren machen Naturschutzverbände bereits auf das Insektensterben aufmerksam.
Die Wissenschaft hingegen sei damals "de facto auf dem kalten Fuß erwischt worden, sagt Frank Eulenstein im Gespräch mit dem rbb. Eulenstein leitet für das Leibniz-Zentrum das Projekt zur Förderung von Insekten in Agrarlandschaften, kurz "FInAL", das mit 35 Millionen Euro vom Bund gefördert wird. Erst ein Hobby-Insektenverein aus Krefeld habe 2015 darauf aufmerksam gemacht, dass wir europaweit ein kontinuierliches Insekten- und Vogelsterben haben, sagt Eulenstein. Geforscht würde in Bayern, Niedersachsen und eben in Paulinenaue im Havelland. Hier sei das größte Programm zum Insektenschutz deutschlandweit angesiedelt.
Neues Leben zwischen Bohnen, Kamille und Kümmel
Im Fokus des Forschungsvorhabens stehen pflanzliche Behausungen für Insekten. Auf einem Feld in Paulinenaue ranken sich an Maispflanzen beispielsweise neuerdings auch Bohnen in die Höhe. In der Kombination für das menschliche Auge ein ungewohnter Anblick. Naturwissenschaftlich betrachtet ist das allerdings ein Coup. Bohnen sind ein Stickstoffsammler. Sie nehmen ihn aus der Luft auf und bringen ihn über ihre Wurzelknöllchen in den Boden. Das wiederum freut den Mais, der Stickstoff zum Wachsen braucht. Und wenn die Bohnen blühen, sieht das nicht nur hübsch aus. Die Blüten dienen Insekten dann als wichtige Nahrungsquelle.
Auch jede Menge Blühstreifen gibt es an den Ackerrändern in Paulinenaue. Zwischen Mohn und Lupinen wachsen Kräuter wie Kamille, Dill oder Kümmel. Ein Insektenparadies, in dem Hummeln, Bienen, Schwebfliegen und viele Schmetterlingsarten Nahrung finden. Biologe Martin Wendt findet in diesen Blütenstreifen vor allem Arbeit. Er untersucht, welche Insektenarten sich auf welchen Pflanzen am liebsten tummeln.
Auch Insekten brauchen mal ihre Ruhe
Altbekannte Arten beobachte er fast täglich, sagt Wendt im Gespräch mit dem rbb. Am häufigsten seien Insekten wie Tagpfauenaugen, der Kleine Kohlweißling oder auch Distelfalter auf den Pflanzen. Am spannendsten seien aber für ihn die seltenen Arten, die sich nunmehr auch beobachten ließen, wie etwa der Große Kohlweißling.
Dass Wendt in Paulinenaue nun auf die seltenen Insekten treffen kann, ist seiner Ansicht nach nur möglich, weil die Bepflanzung besonders vielfältig angelegt worden sei. Vor allem die Kombination der Altgrasstreifen mit Hecken und Blütenstreifen erweise sich als hilfreich. "Denn so ein Insekt braucht ja nicht nur Futter, sondern auch einen Ort, an dem es sich fortpflanzen und zurückziehen kann."
Mit der reinen Beobachtung ist die Arbeit von Wendt indes nicht erledigt. Wendt interessiert sich vor allem für Zahlen. In Fallen auf den Wiesen werden deswegen Insekten gefangen und gezählt. Im Büro der Forschungsstation erfasst Martin Wendt die Daten - und wertet sie aus.
Gut sind Ideen nur, wenn alle sie auch gut umsetzen
Neun regionale Landwirte haben sich inzwischen bereiterklärt, im Landschaftslabor Havelland mitzumachen und die ersten Versuche aus Paulinenaue auszubauen. Paul Moos aus Pessin ist einer von ihnen. Der junge Landwirt, der auch Schafe hält, hat gerade sein Studium in Neubrandenburg abgeschlossen: "Mir persönlich war es sehr wichtig, dass wir auch in Zukunft ertragfähiges Grünland schaffen können, auf dem die Artenvielfalt hoch ist."
Dass die Gemeinden, Wasser- und Bodenverbände aber eben auch die Landwirte mit am Tisch sitzen, dass die Maßnahmen gemeinsam entwickelt werden, freut Projektleiter Frank Eulenstein. "Es geht darum, dass wir als Wissenschaftler nichts überstülpen, sondern dass alle zusammen an einem Strang ziehen." Denn strengere Regeln zum Insektenschutz müssen am Ende vor allem die Akteure vor Ort umsetzen. Die ersten Ergebnisse werden nun ausgewertet. Danach wird sich aller Voraussicht nach entscheiden, wie das Projekt fortgeführt und ausweitet werden kann.
Sendung: Antenne Brandenburg, 26.06.2022, 14 Uhr