Hohe Hürden für Menschen mit Behinderung - Kein einziger DB-Bahnhof in Brandenburg ist komplett barrierefrei

Auch im Jahr 2022 heißt es für Menschen mit Behinderung an fast allen Bahnhöfen in Brandenburg: Hier geht es für Sie nicht weiter! Der Nachholbedarf bleibt groß, nicht nur für Rollstuhlfahrende. Hör- und Sehbehinderte bleiben noch häufiger auf der Strecke.
Nicht ein einziger Bahnhof der Deutschen Bahn in Brandenburg ist vollständig barrierefrei. Von den 310 Bahnhöfen und Haltepunkten des Unternehmens sind nur 106 "weitreichend", 204 sogar "nicht weitreichend" barrierefrei. Das geht aus der Antwort des Verkehrsministeriums in Potsdam auf eine Anfrage der Linken-Landtagsfraktion hervor, wie am Donnerstag bekannt wurde.
Als uneingeschränkt barrierefrei gelten Bahnhöfe erst dann, wenn mehrere Ausstattungen vollständig vorhanden sind. Dazu zählen unter anderem der stufenfreie Zugang zum Bahnsteig, Leitsysteme auf den Bahnsteigen für Blinde und Sehbehinderte, Stufenmarkierungen auf den Treppen und eine Bahnsteighöhe von über 55 Zentimetern, wie das Ministerium mitteilt.
Nicht einmal jeder zweite Bahnhof hat einen Aufzug
Das Ministerium beruft sich dabei auf die Deutsche-Bahn-Tochter DB Station Service AG (DB StuS). Ihren Angaben zufolge waren bis zum Mai dieses Jahres nur die Kriterien für die Fahrgastinformationsanzeige, für die Lautsprecher und das Wegleitsystem auf allen Bahnhöfen jeweils zu 100 Prozent erfüllt.
Bei den Bestimmungen für tastbare Leitsysteme für Blinde und Sehbehinderte durch im Boden der Bahnsteige eingelassene Rillen oder Nocken lag die Quote erst bei 53 Prozent. Bei der Stufenfreiheit der Bahnsteigzugänge waren es immerhin schon 93 Prozent. Die Zahl der Aufzüge erhöhte sich von 114 im Jahr 2017 auf 139 im vergangenen Jahr. Damit war noch nicht einmal jeder zweite Bahnhof mit einer Aufzugsanlage ausgestattet.
Einen Termin, bis wann alle Bahnhöfe in Brandenburg vollständig barrierefrei sind, nannte die Deutsche Bahn nicht. Viele Projekte befänden sich noch in der frühen Planungsphase, hieß es.
Bundesweit gut drei Viertel der Bahnhöfe barrierefrei
Bundesweit gibt es derweil noch teilweise großen Nachholbedarf beim Thema barrierefreie Bahnhöfe: Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren zum Zeitpunkt Juli 2020 rund 78 Prozent der Bahnhöfe in Deutschland barrierefrei. Der Rest der Bahnhöfe ist jedoch unter anderem für Rollstuhlfahrer, Senioren und Kinderwagen nicht oder nur schwer zugänglich. Außerdem fehlt bei 43 Prozent der Bahnhöfe ein Leitsystem für Sehbehinderte.
Seit 2012 hat die DB StuS eigenen Angaben zufolge knapp 300 Millionen Euro für den Um- und Ausbau von barrierefreien Bahnhöfen in Brandenburg investiert. Bis 2030 seien weitere Investitionen in Höhe von mindestens 670 Millionen Euro geplant. Gemäß eigenen Angaben baut die Deutsche Bahn bundesweit pro Jahr rund 100 Bahnhöfe barrierefrei um.
Lage bei der S-Bahn ist besser
Bei der S-Bahn in der Region Berlin-Brandenburg zeigt sich derweil ein besseres Bild: Nach Angaben der Berliner S-Bahn sind 160 Bahnhöfe von den 168 S-Bahnstationen in der Region durch ihre ebenerdige Lage, Rampen und/oder Aufzüge in der Regel bereits barrierefrei nutzbar. 145 Bahnhöfe sind an den Bahnsteigen mit einem Blindenleitsystem ausgestattet, 49 Stationen verfügen über mit Braille-Schrift versehene Handläufe an den Treppen. 238 Aufzüge gibt es auf den Bahnhöfen.
BVG verfehlt Ziel der Barrierefreiheit
Schwächer aufgestellt in Sachen Barrierefreiheit sind die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Sie haben das Ziel verfehlt, von 2022 an alle U-Bahnhöfe barrierefrei zugänglich gemacht zu haben. Von insgesamt 175 Bahnhöfen sind aktuell 141 für Rollstuhlfahrer oder Gehbehinderte mit einer Rampe oder einem Aufzug zugänglich, wie die BVG im Januar auf rbb-Anfrage mitteilte. Das sind rund 80 Prozent der Bahnhöfe. 130 U-Bahnhöfe (74 Prozent) verfügen demnach über ein Blinden-Leitsystem.
Eine UN-Konvention zur Stärkung der Rechte behinderter Menschen sieht vor, dass von 2022 an der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) vollständig barrierefrei sein soll. Deutschland hatte die Konvention bereits 2009 ratifiziert.
Sendung: Antenne Brandenburg, 30. Juni 2022, 8 Uhr