101-jähriger Josef S. - Anwalt fordert Freispruch für mutmaßlichen KZ-Wachmann

Im Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Wachmann Josef S. sind die Plädoyers gehalten worden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, als KZ-Wachmann an Verbrechen beteiligt gewesen zu sei. Der Verteidiger forderte am Montag einen Freispruch.
Im Prozess gegen einen mutmaßlichen früheren SS-Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen hat der Verteidiger am Montag einen Freispruch für seinen Mandanten gefordert. Für den Fall, dass das Gericht Josef S. doch verurteilt, beantragte sein Anwalt eine Bewährungsstrafe von bis zu zwei Jahren. Sollte es mehr werden, will er in Revision gehen.
Anwalt verweist auf fehlende Nachweise
Dem 101-Jährigen hätten im Prozess keine konkreten Taten der Beihilfe zum Mord an Tausenden Lagerhäftlingen nachgewiesen werden können, sagte dessen Verteidiger Stefan Waterkamp am Montag in seinem Plädoyer. Außerdem sei nach wie vor nicht sicher, ob sein Mandant der Mann sei, der in den Unterlagen der Staatsanwaltschaft aufgeführt ist - auch wenn Name und Geburtsort - es handelt sich um ein Dorf mit etwa 800 Einwohnern - übereinstimmten. Denn die vorliegenden Unterlagen stammten ja von der SS und könnten, so Waterkamp, auch gefälscht sein. Es fehlten Nachweise, wie ein "von ihm selbst unterschriebenes Beitrittsformular zur SS", Fotos in SS-Uniform oder auch ein Bekleidungsnachweis, der die ihm ausgehändigte Kleidung im Wachlager quittierte.
Zudem seien die Morde im KZ auch ohne die Wachleute, so sein Mandant denn überhaupt einer gewesen sei, verübt worden. "Man kann solche Leute nicht für alles, was in einem Lager passiert ist, verantwortlich machen. Aber genau das ist das, was die Staatsanwaltschaft hier tut. Weil man eben heute nicht mehr feststellen kann, was der Angeklagte – wenn er denn dort war – genau gemacht hat."
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reiche eine allgemeine Tätigkeit im Wachdienst des KZ für eine Verurteilung nicht aus, so der Anwalt. Doch eine Änderung der Rechtsprechung hat es möglich gemacht, auch "untergeordnete Täter" wie SS-Wachleute und andere Helfershelfer anzuklagen.
101-Jähriger streitet alles ab
Josef S. selbst rief am Montag vor Gericht, er wisse gar nicht, warum er "hier" sei. Er habe "damit gar nichts zu tun". Der Angeklagte beteuerte in seinem Schlusswort vor dem für Dienstag erwarteten Urteil erneut seine Unschuld. Der 101-Jährige ist vor dem Landgericht Neuruppin wegen Beihilfe zum Mord an Tausenden Lagerhäftlingen angeklagt.
Der Prozess wird aus organisatorischen Gründen am Wohnort des hochbetagten Angeklagten in Brandenburg/Havel geführt.
Der 101-Jährige hat in dem seit Oktober vergangenen Jahres laufenden Prozess bislang bestritten, dass er in dem KZ überhaupt tätig war und angegeben, er habe in der fraglichen Zeit von 1942 bis Anfang 1945 als Landarbeiter bei Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) gearbeitet. Die Staatsanwaltschaft stützt sich bei ihrer Anklage aber auf Dokumente zu einem SS-Wachmann mit dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Mannes sowie auf weitere Dokumente.
Haft droht dem Mann aufgrund seines Alters nicht wirklich
Die Staatsanwaltschaft hatte fünf Jahre Gefängnis für den Mann gefordert. Nebenklage-Vertreter Thomas Walther plädierte auf eine mehrjährige Haftstrafe, die ein Maß von fünf Jahren nicht unterschreiten solle. Zwei weitere Nebenklage-Vertreter forderten einen Schuldspruch, ohne ein konkretes Strafmaß zu nennen.
Josef S. ist der bisher älteste mutmaßliche NS-Täter, der sich je vor einem deutschen Strafgericht verteidigen musste. Geboren wurde er im November 1920. Sein Verteidiger hat angekündigt, bei einer drohenden Haftstrafe in Revision zu gehen. Der Bundesgerichtshof müsste sich dann noch einmal mit seinem Fall beschäftigen und vermutlich erst in acht bis zwölf Monaten entschieden.
Opferfamilien warten auf Urteil
Christoph Heubner vom Internationalen Ausschwitz-Komitee verfolgt den Prozess. Den Opferfamilien komme es nicht auf die Länge der Strafe an, sagt er. So wollten, "dass Recht gesprochen wird und dass es endlich zu einem Urteil kommt - und zu einer Benennung dessen, was geschehen ist, das ist der zentrale Punkt. Darauf haben sie lange gewartet, dass das in Deutschland geschieht". Ein Schuldspruch gilt als wahrscheinlich.
Sendung: Antenne Brandenburg, 27.06.2022, 12 Uhr