Die neuen Luftfahrtpioniere in der Lausitz - Abheben mit Strom

Fliegen mit Strom aus erneuerbaren Energien könnte die Luftfahrt revolutionieren. Doch es fehlen ausgereifte Speichertechnologien und elektrische Antriebe. Jetzt stellt sich in Cottbus ein Institut der Spitzenforschung dieser Herausforderung. Von Wolfgang Albus
Die Energieregion Lausitz entwickelt sich zu einem Zentrum der Luftfahrtforschung. Zusätzlich zur Universität in Cottbus sollen 150 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker eine grundlegend neue Art des Fliegens entwickeln. Das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) baut in Cottbus seit Jahresanfang das Institut für Elektrifizierte Luftfahrtantriebe auf.
Das Kohlerevier will hoch hinaus
Das Projekt gehört zu einer Bundesinitiative zum Strukturwandel im Braunkohlerevier. Noch arbeiten gut 30 Mitarbeiter in Cottbus und warten auf den Umzug im Oktober in ein frisch renoviertes Bürogebäude in der Nachbarschaft der Technischen Universität. In einer angemieteten Halle sollen Prüfstande untergebracht werden. Ein kompletter Neubau in fünf Jahren soll folgen. Es fließen mehr als 100 Millionen Euro in das Vorhaben.
Fliegen ohne Kerosin
"Das Fernziel ist das vollelektrische und CO2-freie Fliegen", sagt Institutsleiter Lars Enghardt. Die Teststände und Forschungsanlagen entstehen komplett neu. Im Start – quasi auf der grünen Wiese – sieht das DLR eine große Chance. Visionen gibt es schon seit geraumer Zeit, aber noch hat weltweit kein batteriebetriebener Flieger eine Zulassung für den Transport von Fracht oder gar von Menschen bekommen. Der Euphorie tut das keinen Abbruch.

Elektrisch fliegen, aber wie?
Der größte Klotz am Bein der elektrischen Fliegerei sind die Batterien. "Deren Energiedichte müsste in einem Maße steigen, das heute unvorstellbar ist", räumt Enghardt ein. Ist also der Urlaubsflug nach Mallorca mit grünem Strom nur eine Utopie? Die Forschung muss liefern, denn die Forderungen der Politik an die Luftfahrtindustrie sind deutlich. Norwegen will alle Kurzstreckenflüge elektrifizieren. Das Land hat gute Voraussetzungen, weil es schon heute fast den gesamten Strombedarf aus Wasserkraft abdeckt. Doch wie die Flugzeuge funktionieren sollen, ist unklar. Trotzdem soll diese Idee bis spätestens 2040 Wirklichkeit werden. In der Luftfahrt ist das ein sehr kurzer Zeitraum.
Grüner Treibstoff als Hoffnungsträger
Als vergleichsweise schnell verfügbarer Beitrag zum Klimaschutz gilt Flugbenzin, das beispielsweise aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt werden kann. Auf diesem Gebiet macht sich die Raffinerie in Schwedt große Hoffnungen, die heute Kerosin aus russischem Erdöl herstellt. Bei den neuen Kraftstoffen liegt das Know-how in deren Herstellung. Die Flugzeuge müssten kaum verändert werden. Und auch die Infrastruktur der Flughäfen könnte bleiben wie bisher.

Herausforderung E-Flieger
Beim Elektroantrieb ist es komplizierter. Das gesamte Flugzeug müsste neu konzipiert werden. Da die Batterien für einen Langstreckenflug zu schwer sind, bleibt eine Alternative: Der Strom müsste an Bord erzeugt werden. Als Energieträger bietet sich aus Sicht des DLR Wasserstoff an. Damit könnte über eine Brennstoffzelle der Strom für die E-Triebwerke gewonnen werden.
"Der Transport von Wasserstoff im Flugzeug stellt die Konstrukteure vor erhebliche Probleme", erläutert DLR-Experte Enghardt. Kerosin kann in den Tragflächen transportiert werden, während Wasserstoff Spezialtanks oder eine extreme Kühlung benötigt. Man müsste das Design der Flugzeuge rund um die neue Anlagen herum verändern. Das könnte sogar eine neue Form der Flügel erfordern. Auch dafür sollen in Cottbus Strategien erforscht und erprobt werden.
Starten mit Strom
Anfangs sind auch Mischformen denkbar: Hybrid-Flugzeuge. Sie werden von Elektromotoren angetrieben und nutzen für den Start Batterien, die am Boden aufgeladen werden. Danach fliegen sie mit Energie, die an Bord erzeugt wird. Wahrscheinlich wird die Technik zunächst bei kleinen Flugzeugen serienreif. Dazu zählen Flugtaxis für kürzere Strecken mit vier Personen an Bord.
Leise, aber nicht lautlos
Der Elektroantrieb lässt auf einen charmanten Nebeneffekt hoffen. Neue Flugzeuge werden etwas leiser sein. Aber auch hier dämpft das DLR übertriebene Hoffnungen: Wenn die Luft mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde Bauteile umströmt, wird es laut, egal welchen Antrieb man wählt. "Lediglich der Strahllärm aus der Turbine fällt weg", sagt Enghardt. 80 bis 90 Prozent des Fluglärms bleiben weiterhin erhalten. Auch hier gibt es ein großes Forschungspotenzial, denn Lärm wird durch vieles beeinflusst: Die Zahl der Propeller und dort wiederum der Blätter, die Drehzahl und auch deren Unterschiede. "Man kennt das von einer Drohne, wo die Rotoren unterschiedlich schnell drehen, das erzeugt ein lästiges Geräusch."

Neue Technologien in Flugzeugen sind ein brisantes Thema. Die Zertifizierung dauert oft Jahre - und das nicht ohne Grund. Wichtige Systeme müssen mehrfach gegen Ausfälle gesichert sein. Beim elektrischen Antrieb gibt es gleich eine ganze Reihe von bislang unbekannten Risiken. So muss die reichlich vorhandene Elektronik wirksam gegen Blitzeinschläge während des Fluges geschützt werden. Und Gefahr droht nicht nur von außen: Schon mehrfach haben Lithium-Ionen-Batterien, die in aktuellen Flugzeugen als Hilfsbatterien eingesetzt wurden, Brände erzeugt. Auch Wasserstoff ist leicht entzündlich und seit der Zeppelin-Katastrophe 1937 in Lakehurst mit 36 Toten mit vielen Vorbehalten behaftet.
Langfristige Lösungen gesucht
Flugzeuge haben eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten. Ein heute fabrikneues Flugzeug soll auch noch 2050 fliegen. Enghardt, der sich als Berufsoptimist sieht, glaubt dennoch an einen emissionsfreien Luftverkehr. Airbus und Boeing arbeiten an Prototypen, vielleicht braucht die Industrie aber auch neue Player nach dem Beispiel von Tesla. Am Himmel wird sich vieles anders bewegen, Erdöl wird dabei aus Sicht der Cottbuser Wissenschaftler eine immer geringere Rolle spielen.
Sendung: rbb|24 inforadio | Mi 22.06.2022 | 9:36 Uhr