Interview | Berliner Nachtleben - Warum über das Phänomen Needle Spiking noch so wenig bekannt ist

So 12.06.22 | 12:00 Uhr | Von Victor Marquardt
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Symbolbild: Tanzende Partygäste anlässlich einer Techno-Party. (Quelle: imago images/D. Heerde)
Video: rbb|24 | 12.06.2022 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: imago images/D. Heerde

Ende Mai berichtete die australische Sängerin Alison Lewis alias Zoe Zanias, im Berghain mit einer Spritze attackiert worden zu sein. Andrea Piest vom Präventionsprojekt Sonar erklärt, was über sogenanntes Needle Spiking bekannt ist.

rbb|24: Frau Piest, was genau ist Needle Spiking? 

Andrea Piest: Es gibt Unterschiede zwischen dem Needle Spiking und Drink Spiking. Beim Drink Spiking schüttet eine Person einer anderen ohne deren Wissen eine Substanz ins Getränk, um die Person wehrlos zu machen. Needle Spiking bedeutet, dass diese Substanz mit einer Spritze verabreicht wird. 

Das Projekt Sonar

Sonar [safer-nightlife.berlin] ist ein Kooperationsprojekt der Berliner Präventions- und Suchthilfeprojekte, der Initiative Eclipse e.V. sowie der Clubcommission Berlin. Sie bieten in der Berliner Club- und Partyszene Infostände, Schulungen, Workshops und Beratungen an.

Wie lange beschäftigen Sie sich bei Sonar schon mit dem Phänomen? 

Mit dem Problem Spiking beschäftigen wir uns schon, seitdem es uns gibt. Das ist kein neues Phänomen, dass Menschen Substanzen unwissentlich verabreicht werden. Das Phänomen Needle Spiking ist erst im Herbst 2021 in Großbritannien aufgekommen und seitdem sind wir natürlich dabei, uns mit den Kolleg:innen in Großbritannien auszutauschen, so dass wir gut informiert sind, valide Aussage treffen und das beobachten können.

Wo kommen Vorfälle von Needle Spiking vor? Kann man sagen, dass sich Needle Spiking auf die Clubszene beschränkt? 

 Das können wir ehrlich gesagt nicht so genau sagen. Bisher sind ausschließlich Fälle aus der Techno- und Clubszene bekannt. In Großbritannien waren es auch Bars. Grundsätzlich gehen Menschen, die Macht missbrauchen wollen oder die Absicht haben, Personen auszurauben oder sexualisierte Gewalt anzuwenden, eher ins Nachtleben. Es ist wahrscheinlich ein bisschen leichter, das im Dunkeln zu tun, im Verborgenen.

In Berlin wurde von einem Vorfall berichtet. Die australische Sängerin Alison Lewis alias Zoe Zanias soll im Berghain mit einer Spritze attackiert worden sein. Gibt es noch weitere Fälle von Needle Spiking? 

Uns wurden bisher keine weiteren Fälle berichtet, und es ist auch nach wie vor kein Fall zur Anzeige gebracht worden. Wir versuchen gerade, gemeinsam mit der ClubCommission Betroffene dazu aufzurufen, sich beispielsweise bei der ClubCommission zu melden und die Fälle zumindest in der Gewaltschutzambulanz der Charité zu Kenntnis zu bringen. Von einer statistischen Erfassung ließen sich dann wiederum Hinweise für die Prävention ableiten.

Wie muss man sich so eine Needle Spiking-Attacke vorstellen? 

Da noch kein Betroffener einen Vorfall zur Anzeige gebracht hat und keine Zeugenaussage aufgenommen wurde, ist auch das schwer zu sagen. Die Aussagen, die bekannt sind von betroffenen Menschen, sind häufig mit Wissenslücken verbunden, was den Tathergang betrifft. Häufig wurde erst danach bemerkt, dass man gepiekt worden ist, oder dass etwas ins Getränk gemischt wurde.

Was raten Sie bei Betroffenen? Was können sie nach einer Attacke machen? 

Das kommt immer ein bisschen auf die Situation an. Wir empfehlen auf jeden Fall, sofort eine andere Person zu informieren, wenn man merkt, mir ist was passiert, ich fühle mich unwohl. Das kann ein Türsteher oder Türsteherin sein oder jemand vom sogenannten Awareness-Team. Das kann aber auch eine persönliche Vertraute sein, Freund oder Freundin, die man mitgenommen hat. Gemeinsam sollte man besprechen, was jetzt als nächstes zu tun ist. Möchte man in die Rettungsstelle, möchte man zur Polizei, möchte man erstmal in den Ruheraum? Es ist wichtig, dass man auf gar keinen Fall alleine gelassen wird oder vom Clubpersonal vor die Tür gesetzt wird, weil man berauscht wirkt, oder nicht ganz bei sich ist. 

Wo können sich Betroffene noch melden?

Es gibt in Berlin unterschiedliche Anlaufstellen. Weiblich gelesene Personen können auf jeden Fall zur Beratungsstelle Lara Berlin [lara-berlin.de] gehen. Das ist eine Beratungsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Da geht es nicht um Anzeige, sondern um Aufarbeitung und psychologische Nachbetreuung. Männlich gelesene Personen können zu MUT [mut-traumahilfe.de] gehen, und dort erfolgt genau das gleiche Programm. 

Bei der Gewaltschutzambulanz der Charité [gewaltschutzambulanz.charite.de] können medizinische Beweise gesichert werden, um diese, wenn man sich zu einer Anzeige entschließt, auch verfügbar zu haben. Gerade Einstichverletzungen oder blaue Flecken heilen schnell ab. Dort wird das alles fachgerecht dokumentiert, sodass es vor Gericht Bestand hat. Aber man sollte vorher anrufen.

Es gibt viele Diskussionen in den Sozialen Netzwerken zu Needle Spiking, auch über mögliche weitere Fälle, die aber nicht offiziell bestätigt wurden. Wie ernst muss das Problem genommen werden? 

 Wir gehen erstmal grundsätzlich davon aus, dass jeder gemeldete Fall - und sei es auf Social Media - natürlich ein echter Fall ist. Jeder Fall ist grundsätzlich ernst zu nehmen. Was uns fehlt, sind letztlich die Aussagen, wie es passiert ist, welche Substanz es gewesen ist. Wir wünschen uns tatsächlich von den Betroffenen, dass sie sich bei den geeigneten Stellen melden, damit wir Licht ins Dunkel bringen können. 

Warum ist es für die Polizei so schwierig, Täter zu ermitteln?

 Einerseits konnte bisher noch keine Substanz ermittelt werden. Falls es GHB gewesen ist – das ist nach vier bis sechs Stunden nicht mehr nachweisbar. Die meisten Betroffenen erleben das zudem als traumatisches Erlebnis und können eben nicht sofort zur Polizei gehen oder in die nächste Rettungsstelle. Das ist die Schwierigkeit. 

Glauben Sie, dass es Nachahmungstaten geben wird?

 Das Problem der Trittbrettfahrer:innen gibt es ja tatsächlich immer. Also je höher die mediale Aufmerksamkeit ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Menschen gibt, die einfach nur andere Menschen pieken und dadurch Panik erzeugen wollen. Was Drink Spiking betrifft, ist das eigentlich immer auf dem gleichen Niveau geblieben über die Jahre, dass es immer mal wieder vorkommt und dann wieder abflacht. Aber statistisch wird es nicht erfasst.

Wie kann man sich vor solchen Übergriffen präventiv schützen?

 Was wir empfehlen ist, einfach gut aufeinander achtzugeben, dass man zusammen mit Freunden weggeht, nicht alleine nach Hause geht. Außerdem sollte man verdächtige Personen sofort dem Clubpersonal melden, gerade wenn Leute verdächtig rumschauen, nach Gläsern Ausschau halten oder nach berauschten Persönlichkeiten. Schließlich sollte man auch wehrlose Personen ansprechen: "Hey wie geht´s dir? Kann ich irgendwas für dich tun?" oder man meldet sie beim Clubpersonal.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Victor Marquardt.

Sendung: rbb24 Abendschau, 12.06.2022, 19.30 Uhr

Beitrag von Victor Marquardt

17 Kommentare

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  1. 17.

    Ja genau - und wenn einem der im Radio eingestellte Sender nicht gefällt, einfach kaputt kloppen das Ding. Dann hat sich das Problem auch erledigt.

  2. 16.

    EInfach dichtmachen diese Kriminalitätshotspots, Drogenumschlagsplätze und eskapistischen künstlichen Paradiese einer durchstrukturierten Leistungsgesellschaft.

    Wird unter der Ägide eines "Clubkultursenators" natürlich nicht passieren, aber dafür sorgt dann halt die so- und sovielte CoronaWelle im kommenden Herbst.

  3. 15.

    Bouncer ist Englisch für Türsteher! Und die meisten Bouncer sind sind nun mal Männer da kann ICH gar nichts für. Klar das irgendwann ein MENSCH die Genderbombe wirft.

  4. 14.

    Genau, ich bin blöd weil ich eine Meinung. Das ohne Drogen oder Alk keine Party geht habe ich in keiner Silbe geschrieben. Ich bin seit 92 in der Szene sowohl als Gast wie auch als L+T techniker, Dj auch habe ich selber schon Events Veranstaltet. Drogen oder berauschendes werden numal konsumiert ob es gefällt oder nicht. Der logistische Aufwand den so ein Abend dann mit sich bringt(Kontrollen wie Malte vorschlug) würde viele Partys einfach unbezahlbar machen. Und ist den Kaffee trinken, Hochleistungssport, Süßkram, TV, Internet u.v.m nicht auch ne Form von Rausch. Egal ob freiwillig berauscht oder nüchtern achtet einfach alle mehr aufeinander und hört auf euch gegenseitig dafür zu verurteilen, Ziel ist n geilen Abend zu haben.

  5. 13.

    Danke für ein bisschen Raver-Splaining. Sie lesen mehr aus meinem Kommentar, als dort steht. Ich habe Ihren Drogenkonsum nicht kritisiert, machen Sie mit Ihrem Körper, was Sie wollen. Hier geht es um Needle Spiking und damit um Gewalt und sexualisierte Gewalt. Mir geht es darum, dass die Bouncer die Instrumente fürs Needle Spiking rausziehen bzw. eben die Personen, die solches mit sich führen. Was die Leute an anderen Pillen durchlassen, liegt doch eh in deren Ermessen, zumal sie vielleicht daran mitverdienen(?). Und interessant, dass Sie bei "Bouncer" zunächst nur an männliches Personal denken. Naja.

  6. 12.

    Der Witz beim Spiking ist doch, dass diese Substanzen unfreiwillig verabreicht werden. Das kann im Cocktail, im Bier oder im Wasser landen... Man ist also nicht automatisch sicher, wenn man auf Alkohol verzichtet... Ansonsten klar, man kann nüchtern absolut Spaß haben.

  7. 11.

    Korrekt, dann sind diese Personen aber nicht "weiblich gelesen" sondern identifizieren sich selbst als weiblich. Ich habe auf diesen eklatanten Unterschied bzw. Fehler in der Formulierung hingewiesen. Beim Versuch des krampfhaften Genderns kommt immer wieder solch ein Unfug heraus.

  8. 10.

    Das sehe ich genauso. Man braucht weder Alkohol noch sonstwelche riskanten Substanzen, um Spaß beim Tanzen und Feiern haben zu können.

  9. 9.

    Richtig, nur zugedröhnt bis unter die Dachkante kann man man feiern. Wie blöd diese Argumente sind, ist auch seit tausenden Jahren bekannt. Wer Party nur auf Droge kann, ist eh arm dran.

  10. 8.

    Ich finde viel wichtige das so Einrichtungen wie eve and rave wieder wieder in den 90ern agieren dürfen, haste Stoff gehabt könntest de den gleich vor Ort checken lassen. Klar bei dieser Nadel und gba ist das was total anderes und doch wären besser ausgebildetes bzw erfahrenes Personal was mit solchen (opfern) zu tun ist statt sie des Clubs zu verweisen. Spiking ist das allerletzte und gehört unter Höchststrafe sowohl von der Justiz als auch von der Szene. Aber leere bzw besoffene Clubs können auch nicht die Lösung sein.

  11. 7.

    Und tausende clubgänger mit an Pranger oder wie? Sich zu berauschen, gehört seit tausenden Jahren zur Menschheit und nicht jeder der sogenannte Drogen mit in einen Club nimmt denkt sich "geil heute mach ich mir n Menschen gefügig". Ausserdem haben Türsteher in der Regel das hausrecht und können solche Maßnahmen veranlassen haben aber auch diverse Vorschriften zu beachten. Ein Mann darf zum Beispiel keine leibesvisitation bei Frau durchführen schon gar nicht allein. Und was hat der Club davon allen die Drogen abzunehmen oder ihnen den Zutritt zu verweigern außer ne lame party bzw den halben die Bullen vor der Tür. Gute Werbung

  12. 6.

    Zitat: "Müssen Betroffene jetzt fragen, ob sie als weiblich angesehen werden, oder wie?"

    Es geht m. E. darum, dass diese Beratungsstelle, "Lara Berlin", auf weibliche oder sich als weiblich fühlende Opfer spezialisiert ist; also auch (biologische) Männer sich dort hinwenden können. Bei MUT wird es dann eben dementsprechend 'gegenseitig' sein. Die Opfer müssen also nicht fragen, sondern können entscheiden, Steffen.

  13. 5.

    Recherchieren Sie doch mal, was ein Phänomen ist. Tatsächlich kann die beschriebene Straftat durchaus als Phänomen bezeichnet werden, ohne dass diese dadurch verharmlost wird.

  14. 4.

    Die interviewte Person ist scheinbar nicht auf dem neusten Stand. Erst letzte Woche wurde ein Fall von Needle Spiking zur Anzeige gebracht. Richtig ist aber, dass Substanzen meist nicht mehr nachweisbar sind und auch die Einstiche in der Haut teils so klein sind, dass Ärzte und Ärztinnen nur vage mit "ja, das könnte ein Einstich sein" antworten. Ganz zu schweigen davon, dass die Täter*innen kaum ausfindig gemacht werden können. Fakt bleibt jedoch, dass Personen in Clubs plötzlich Abstürze erleben, obwohl sie keine chemischen Substanzen zu sich genommen und nur nur wenig oder kein Alkohol getrunken haben. Mit Blackouts die Stunden dauern können. Vielleicht sollten die Bouncer den Leuten endlich mal die Unterhosen kontrollieren, in einem separaten Raum natürlich. Alles was in den Club geschmuggelt wird, landet in Unterhosen oder kommt durch mangelnde Kontrollen sowie durch das Personal selbst in die Clubs.

  15. 3.

    Sehe ich auch so.
    Es ist zumindest Körperverletzung und ggfs. auch Freiheitsberaubung (Was macht es für einen Unterschied, ob man gefesselt, eingesperrt oder mit einer Droge wehrlos gemacht wird?) und sollte unnachsichtig bestraft werde; schon deshalb, weil dabei eine große Portion Heimtücke im Spiel ist.

  16. 2.

    Das ist kein Phänomen, ein Sonnenuntergang in intensiveren Farben wäre ein Phänomen, das hier ist ein üble Straftat der heimtückischsten Art und Weise und gehört deshalb mit direktem Freiheitsentzug bestraft.

  17. 1.

    Echt jetzt? Weiblich "gelesene" Personen können sich an eine bestimmte Beratungsstelle wenden? Müssen Betroffene jetzt fragen, ob sie als weiblich angesehen werden, oder wie? Normalerweise sollte das doch bitte die Betroffene allein entscheiden, dass sie weiblich ist. Der Gender-Wahn ist schon unsinnig genug, aber solcher Unfug führt dessen ganze Absurdität vor. Kann man in solchen Fällen nicht mal einfach nur von Frauen sprechen, egal welche biologischen Merkmale sie hat. Es sind ja wohl ziemlich unstrittig mehrheitlich Frauen die Zielgruppe solcher Attacken in der Clubszene weltweit, wobei das Problem auch aus der männlichen homosexuellen Szene berichtet wurde, aber die werden nicht "als Frauen gelesen".

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