Berlins Boulevards of Broken Cars - Warum Schrottautos in Berlin oft über Monate herumstehen (müssen)

In jedem Bezirk stehen Schrottautos, die in Berlin über Monate auf Straßen vor sich hingammeln - und es werden mehr. Das zuständige Ordnungsamt kann in vielen Fällen nur zuschauen. Dabei gibt es Ideen, die Beseitigung zu beschleunigen. Von Fabian Stratmann
Es hat schon fast etwas Künstlerisches, wie sich der Ast in die Windschutzscheibe eines roten Polo bohrt und das Glas um ihn herum splittern und platzen lässt. Stünde das Auto in einer Ausstellung zum Thema "Das Auto hat ausgedient", würden sich Betrachter womöglich an dem Anblick erfreuen. Statt in einem Museum steht dieses Auto aber seit Monaten neben dem Volkspark Rehberge und gammelt vor sich hin.
Berlin hat ein Schrottproblem und das nicht nur rund um den Volkspark Rehberge in Wedding. Auch in anderen Bezirken sammeln sich am Straßenrand die Autowracks auf platten Reifen mit eingeschlagenen Fensterscheiben.
Achtmal mehr Schrottautos binnen fünf Jahren
1.509 Fahrzeugwracks wurden im vergangenen Jahr von den Berliner Behörden gezählt, notiert und anschließend verschrottet. Im Jahr 2020 hatte es mit 1.380 Fahrzeugwracks bereits einen neuen Rekord gegeben. Vor fünf Jahren waren es noch 197. Das hat das Amt für Regionalisierte Ordnungsangelegenheiten (RegOrd) rbb|24 auf Nachfrage mitgeteilt. Das Amt ist in Berlin für die Entsorgung der Schrottautos zuständig. Pro Bezirk haben die Mitarbeiter im vergangenen Jahr also durchschnittlich 125 Autos von den Straßen geholt. 125 zum Teil tonnenschwere Hinterlassenschaften, die mit eingeschlagenen Scheiben, zugemüllten Innenräumen und abmontierten Rädern vor sich hingammelten - und zwar über Monate.
Gern würde er die Autos schneller beseitigen lassen, sagt Amtsleiter Steffen Krefft im Gespräch mit rbb|24. Er könne es aber nicht, weil unklare Besitzverhältnisse ihm oft Grenzen setzten.
"Wir müssen den Besitzern schon eine Möglichkeit geben, reagieren zu können"
Das größte Problem für Krefft: Dem Anschein nach handelt es sich bei vielen Autos zwar um Schrott. Solange aber ein Auto, oder das, was davon noch übrig ist, ein gültiges Nummernschild über den Stoßstangen hängen hat, ist es juristisch betrachtet vor allem eines: Eigentum. Einfach wegräumen ginge somit nicht, sagt Krefft. "Da müssen wir immer noch an den Besitzer denken. Den können wir zwar anschreiben und ihm unterstellen, dass er sein Auto nicht mehr haben will, weil es seit Monaten nur rumsteht oder stark beschädigt ist", so Krefft. "Wir müssen ihm aber auch eine Möglichkeit geben, reagieren zu können."
Und das dauert. Falls das Auto vier Wochen nach dem ersten Schreiben immer noch auf platten Reifen am Straßenrand vor sich hingammelt, markieren es die Mitarbeiter des RegOrd mit einem gelben Aufkleber. Dann gilt das Auto als Abfallverdachtsfall. Danach muss Krefft allerdings wieder vier Wochen warten. Könnte ja sein, dass der Halter jetzt reagiert. Erst nach weiteren vier Wochen kann Krefft selbst wieder reagieren und zum letzten Mittel greifen: dem roten Aufkleber.

Damit gilt das Auto als Schrott und kommt - nach weiteren vier Wochen Schonfrist - in die Schrottpresse. Danach ist der Wagen von den Straßen verschwunden. Als Verwaltungsakt bleibt er den Behörden aber erhalten. Sie müssen versuchen, Bußgelder von den Haltern einzutreiben, die ihren Schrott in der Öffentlichkeit entsorgt haben. Bis zu 100.000 Euro Strafzahlung drohen pro Auto. 671.777 Euro konnten die Behörden im Jahr 2020 eintreiben.
Die Kritik an diesem langen Verwaltungshandeln kennt Krefft gut. Er hört sie laufend. Verteidigen muss er sich dafür nicht. Das Procedere ist gesetzlich geregelt. Trotzdem wirbt er für Verständnis: "Natürlich ist das nicht schön, dass zweieinhalb Monate und mehr vergehen, ehe so ein Auto wegkommt. Jetzt stellen Sie sich aber mal vor, wir wären schneller und nach drei Monaten kommt der Halter aus dem Urlaub, will sein Auto zurückhaben. Geht aber nicht, weil es schon in der Schrottpresse gelandet ist." Dass es Krefft allerdings schafft, ein Auto wirklich binnen drei Monaten von der Straße zu holen, ist eher unwahrscheinlich. Meist dauert es noch sehr viel länger.
Nicht für jedes Auto lässt sich ein Halter zurückverfolgen
In vielen Fällen ist es für das Amt nämlich schlicht unmöglich, den Halter zu finden - trotz Identifikationsnummern. Oft seien Autos privat verkauft worden und die Identität der Käufer nicht eindeutig feststellbar, so Krefft. Das sei beispielsweise der Fall, wenn gefälschte oder gar keine Ausweisdokumente beim Kauf vorgelegt wurden. "Dann schreiben wir vermeintliche Halter an, die uns nach Wochen mitteilen, dass sie den Wagen doch schon vor Monaten verkauft hätten." Das sei wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen, so Krefft, zu der das Amt aber verpflichtet sei.
Bei ausländischen Fahrzeugen würde die Sache noch einmal komplizierter: "Hier wissen wir trotz Nummernschild oft gar nicht, ob das Auto noch zugelassen ist. Auf die Halterdatenbanken können wir nicht ohne die Polizei zugreifen und auch die bekommt teilweise keine oder nur unvollständige Datensätze zugeliefert."

Ausländische Autos haben oft einjährige Schonfrist
Lässt sich der Halter im Ausland nicht ausfindig machen, muss das RegOrd ein Jahr warten, ehe es handeln darf. So lang dürfen Autos mit ausländischen Kennzeichen nämlich am deutschen Straßenverkehr teilnehmen. Weil aber niemand sagen könne, wann der erste Tag auf deutschen Straßen gewesen ist, muss der auf den Tag der ersten Inaugenscheinnahme durch seine Außendienstmitarbeiter datiert werden. Danach müsse er dann wieder warten - ein Jahr, ehe die gelben und roten Aufkleber wieder ins Spiel kommen.
Schnelle Entsorgung nur bei fehlenden Nummernschildern möglich
Schneller kann das Amt unter Krefft nur handeln, wenn in der Zwischenzeit die Nummernschilder abhanden kämen. Dann wäre das Auto nicht mehr zugelassen und das Abstellen auf öffentlichen Straßen eine Ordnungswidrigkeit. Eine amtliche Plakette wiegt also schwerer als der Frust der Anwohner, die wegen der abgestellten Schrottautos keine Parkplätze finden oder beobachten müssen, wie rund um das eine abgestellte Schrottauto weitere hinzukommen.
Auch der rote Polo am Volkspark Rehberge steht in Gesellschaft - von gleich acht stark demolierten und zum Teil ausländischen Autos und Transportern. Dass diese nun monatelang neben dem Park stehen werden, nur weil sie teilweise noch Nummernschilder, aber keine auffindbaren Halter haben, können viele nicht verstehen.

Alternative Entsorgungsmodelle gefordert
Derweil liegen erste Vorschläge auf dem Tisch, das bestehende Gesetz kreativ auszulegen. Felix Schönebeck, Bezirksverordneter für die CDU in Reinickendorf, schlug schon vor vier Jahren ein alternatives Modell vor. Er denkt an einen zentralen Verwahrplatz für Autos in Berlin, auf dem die zurückgelassenen Fahrzeuge zwischengeparkt werden könnten, erklärt er im Gespräch mit rbb|24. "Dann würden die Fahrzeuge erst einmal von der Straße verschwinden und es gäbe in Ruhe die Möglichkeit, die Halter zu ermitteln oder eben nicht."
Ein Eingriff in das Eigentumsrecht sei das nicht, weil die Autos nicht sofort verschrottet würden, merkt Schönebeck, der selbst Jurist ist, an. In Bremen geht die Innenverwaltung seit Jahren schon rigoroser vor. Stehen hier Autos unter dem Verdacht, als Schrott der Allgemeinheit überlassen worden zu sein, werden sie markiert und nach vier Wochen abgeschleppt.
Änderungen nicht in Sicht - Zuständigkeiten unklar
Steffen Krefft ist schon häufig mit dem Vorschlag von Schönebeck konfrontiert worden. Zuständig für die Umsetzung sei aber die Politik, die das Geld für die Verwahrflächen bereitstellen müsse. Krefft selbst rechnet mit Kosten von mehreren hunderttausend Euro. Ob die aber jemals für die Entsorgung der Autos ausgegeben werden, ist fraglich.
Auf der Tagesordnung hat die Politik das Problem allerdings nicht. Im Oktober vergangenen Jahres hieß es in einer Antwort der Senatsverwaltung für Inneres im Berliner Abgeordnetenhaus noch, dass keine weiteren Maßnahmen geplant seien. Auf erneute Nachfrage von rbb|24 ließ die Verwaltung nach einer Woche Bedenkzeit wissen, dass sie gar nicht zuständig sei und verwies auf die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität und Verbraucher. Die wiederum verwies bei der Anfrage schriftlich auf das RegOrd - und Steffen Krefft.
Eine Änderung scheint zunächst also nicht in Sicht. Zumindest aber, so Krefft, könne durch das längere Verfahren noch etwas Geld eingenommen werden. Zwanzig Euro gäbe es im Moment ungefähr für eine Tonne Schrott. Beim roten Polo am Volkspark Rehberge sind inzwischen die Nummernschilder verschwunden. Das Amt unter Steffen Krefft kann jetzt also schnell handeln. Der Auftrag für die Verschrottung ist schon erteilt.