Trotz rechnerischem Überhang - Berliner Schulen klagen über Personalengpässe bei Erzieher:innen
An Berliner Schulen gibt es einen Überhang an Horterzieher:innen – errechnete die Bildungsverwaltung. Doch in der Praxis müssen die Schulen mit vielen Ausfällen klarkommen, das zeigt das Beispiel Lichtenberg. Von Kirsten Buchmann
Die Grundschule am Wilhelmsberg im Bezirk Lichtenberg - rund 400 Hortkinder sind hier zu betreuen. Allerdings fehlen Erzieherinnen und Erzieher.
Laut dem koordinierenden Erzieher Matthias Schütz sind an diesem Tag 14 von 26 nicht da. "Es wird so sein, dass wir einige Räume zu lassen müssen, wie die Lernwerkstatt oder den Bewegungsraum." Die Folge in den anderen Räumen: "Es wird lauter, es wird voller, es gibt mehr Streitereien. Das wird die Situation heute sein und die ist sehr, sehr häufig", so Schütz. Nur noch eine Notbetreuung sei das. Selbst die Hausaufgabenbetreuung kann laut Schütz an diesem Tag nicht stattfinden.
Weniger Angebote für Kinder
Es fehle zudem die Aufmerksamkeit für die Kinder, die sie am dringendsten brauchen, sagt Integrationserzieherin Jessica Gemsa, nämlich die mit erheblichem Förderbedarf: "Die fallen leider hinten runter.“
Dem Elternsprecher der Schule, Alexander Hrabu, ist es gerade in der Corona-Zeit wichtig, dass genügend Erzieherinnen und Erzieher da sind: "Kinder haben teilweise psychische Probleme. Die häusliche Gewalt ist gestiegen. Dadurch brauchen sie viel mehr und sensiblere Betreuung." So müssten sie öfter mal in den Arm genommen werden.
Für die Kinder sei es zudem traurig, wenn die Arbeitsgemeinschaften ausfallen, sagt der Elternsprecher - kein Schwimmen oder Eislaufen ohne Erzieherinnen, die sie dorthin begleiten können.
Es werde der Mangel verwaltet, kritisiert Johannes Frisch, dessen Sohn die Lew-Tolstoi-Schule ebenfalls in Lichtenberg besucht: "Ideen, die wir hatten, wie Programmieren, können nicht genutzt werden, weil die Situation so sein kann, dass ein Erzieher drei Klassen beaufsichtigen muss und noch auf den Hof gucken muss, ob denn da auch noch was passiert."
Überlastete Erzieherinnen
Die Bildungsverwaltung betont, sie habe der Region Lichtenberg "weitere Erzieherstellen in erheblichem Umfang zur Verfügung gestellt". Das sei Schulleitungen in einer Sitzung am vergangenen Freitag erläutert worden. Bei krankheitsbedingtem Ausfall könne ab der sechsten Woche befristet Ersatz eingestellt werden. Darüber hinaus sei es "gute Praxis, dass die Fachaufsichten auch zwischen den Schulen durch kurzfristige Abordnungen Personalengpässen begegnen".
Ist das Problem damit behoben? Ja, meint die Bildungsverwaltung, rechnerisch seien genügend Erzieherinnen und Erzieher vorhanden. Guido Richter vom Grundschulleiterverband pocht dagegen auf weitere Hilfe: "Wir brauchen entweder finanzielle Mittel, aus denen wir eine temporäre Ersatzeinstellung finanzieren können. Oder wir brauchen eine bezirkliche Feuerwehr, einen Pool von Kolleginnen und Kollegen, die bei Bedarf an der jeweiligen Schule mit unterstützen."
An seiner Schule, ebenfalls im Bezirk Lichtenberg, fehlt an diesem Tag die Hälfte der Erzieherinnen. Wichtig wäre aus seiner Sicht kurzfristiger Ersatz ohne lange bürokratische Vorlaufzeiten. Die Leiterin der Schule am Wilhelmsberg, Jana Reiter, hat an ihrer Schule gute Erfahrungen damit gemacht, etwa Studierende kurzfristig als Vertretungen für erkrankte Lehrer einstellen zu können. Ein entsprechendes Budget dafür würde sie sich daher ebenfalls für Erzieherinnen wünschen. Denn, so sagt die Schulleiterin, "die Erzieherinnen, die da sind, sind überbelastet. Es fallen immer mehr aus."
Bisher keine Mittel für flexiblen Ersatz
Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Paul Fresdorf findet, insgesamt müssten die Arbeitsbedingungen für Erzieherinnen und Erzieher an Schulen verbessert werden: "An der Schule, wenn ich denn schon Bildungsaufgaben mit übernehme, muss ich mir da die Bezahlung genauer anschauen und dadurch den Beruf attraktiver gestalten und mehr Menschen dafür begeistern. Denn je schlechter die Arbeitsbedingungen vor Ort sind, desto schwieriger wird es, Menschen dafür zu gewinnen."
Die CDU-Abgeordnete Katharina Günther-Wünsch fordert ebenfalls Verbesserungen. Es müsse dringend eine Personalkostenbudgetierung auch für die Erzieherinnen eingeführt werden - also Mittel, damit die Schulen bei Erkrankungen flexibel reagieren und Vertretungskräfte engagieren könnten. Bisher habe die Koalition dafür allerdings keine solchen Mittel bereitgestellt.
Diese will den Landeshaushalt für 2022 und 2023 im Berliner Abgeordnetenhaus an diesem Donnerstag beschließen.
Sendung: Radioeins, 22.06.2022, 15:00 Uhr