Nachhaltigkeit vs. Naturschutz - Windenergie wird zum Problem für Fledermäuse
Immer mehr Fledermäuse, aber auch Greif- und Wasservögel sterben durch die Rotorblätter an Windkraftanlagen. Forscher stufen die Zahl der jährlichen "Schlagopfer" als bedenklich ein. Von Peter Kaiser
Rund 30.000 Windkraftanlagen werden zurzeit in Deutschland betrieben. Die Bundesregierung will den Ausbau der Windenergie forcieren, dabei sollen vor allem vereinfachte und schnelle Genehmigungsverfahren helfen. Doch Windkraftanlagen, egal ob On- oder Off-Shore, haben negative Auswirkungen auf die Populationen von Greifvögeln wie Seeadler oder Rotmilan. Vom Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) heißt es, generell seien Anlagen an Gewässern und anderen Feuchtgebieten besonders unfallträchtig.
Ingrid Kaipf vom NABU sagt, dass Vögel "schützenswert sind wie andere Tiere auch". Aus ihrer Praxis habe sich gezeigt, dass Windkraftanlagen nicht immer an den Stellen stehen würden, wo sie sinnvoll seien, "sondern dass viel Politik eine Rolle spielt, warum die an diesem Ort stehen müssen". Kaipf zufolge wäre es machbar, Windkraftanlagen da zu bauen, wo sie ökologisch sinnvoll seien, "also nicht in den Wald, sondern ins offene Land. Das muss man sehr lokal untersuchen und die Untersuchungsergebnisse der Gutachter müssen ernster genommen werden", so Kaipf.
Mehr Windräder - mehr Opfer
Doch es geht nicht nur den Greif- und Wasservögeln per Rotorblatt an den Kragen. Besonders Fledermäuse, etwa die in Deutschland heimische Art des Großen Abendseglers, verenden zahlreich als sogenannte "Schlagopfer" an den Windkraftanlagen.
Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, IZW, sagt, die Situation sei inzwischen bedenklich. "Wir haben im Festlandsbereich 30.000 Anlagen, die Energiewende führt dazu, dass wir noch viel mehr bekommen werden, und es gibt einige Probleme, die wir noch gar nicht richtig verstanden haben. Es gibt Schätzungen, dass ungefähr acht bis zehn Fledermaus-Schlagopfer pro Jahr an jeder Windkraftanlage zu verzeichnen sind."
Rückschlüsse auf Nahrung durch "Metabarcoding"
Dabei habe sich die Gesellschaft letztendlich zu zwei Zielen verpflichtet, betont der Forscher. "Das eine ist der Schutz der Biodiversität und das andere sind die Klimaschutzziele. Und beide sind gleichwertig. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es hier um den Verlust von Individuen und Arten geht, sondern es geht auch um die ökologische Funktion dieser Arten. Und Fledermäuse haben eine ganz wichtige ökologische Funktion, in dem sie viele Schadinsekten reduzieren. Fällt diese Funktion weg, heißt das in der Konsequenz, dass wir zu unseren Lasten mehr Insektizide ausbringen müssen", sagt Voigt.

Wie genau sich die Formel "Schlagopfer vs. Nachhaltigkeit" auswirkt, hat das Team um Christian Voigt mit neuester Technik erforscht. "Wir untersuchten den Mageninhalt von Fledermauskadavern, die unter Windkraftanlagen gefunden wurden. Hierzu nutzten wir einen sogenannten Metabarcodingansatz."
Jede Tierart verfügt in ihrer DNA über ganz spezifische Sequenzen, die typisch sind für diese eine Tierart, das "Taxon". Nach diesem Barcode kann man suchen, mit genetischen Methoden, und hierüber jede Tierart identifizieren. Auch solche im Magen von Fledermäusen. Alternative Methoden wie zum Beispiel die visuelle Analyse des Mageninhalts sind nur begrenzt anwendbar und zudem fehleranfällig, da man zum Beispiel nur die harten Flügelteile von Insekten im Mageninhalt detektieren kann. Weichteilige Insekten zum Beispiel wären in einer solchen Analyse völlig unterrepräsentiert. Die Analyse des genetischen Barcodes von Insekten ermöglicht daher einen umfassenderen Blick auf die Nahrungszusammensetzung von Tieren.
Enormer Ausfall natürlicher Schädlingsbekämpfung
Was bei dieser neuesten Studie zu den Fledermaus-Schlagopfern herauskam, war erschreckend. "Durch den Tod von Fledermäusen an Windkraftanlagen verschwinden wichtige Akteure in diversen Lebensräumen. Einheimische Fledermäuse sind insektenfressend, so dass ihr Verschwinden dazu führt, dass ihre Funktion als regelndes Glied von Insektenpopulationen in Nahrungsketten für den jeweiligen Lebensraum verloren geht. Dies führt zu einer Vereinfachung von Nahrungsnetzen und wie wir wissen, sind vereinfachte Nahrungsnetze auch potentiell anfälliger gegenüber Störungen", so Christian Voigt vom IWZ.
Bis zu 46 verschiedene Insektenarten fanden die Forscher in den Mageninhalten des Großen Abendseglers, der häufigsten heimischen Fledermausart. Rund 20 Prozent der verzehrten Insekten waren dabei Schadinsekten wie Esskastanienbohrer oder Eichenwickler. Bei etwa 10 Fledermaus-Schlagopfern pro Windkraftanlage mal der Summe von 30.000 derzeit betriebenen Windrädern summiert sich der Ausfall der natürlichen Schädlingsbekämpfung enorm. Denn die Fledermäuse, so Voigt, "leisteten kurz von ihrem Tod an den Windkraftanlagen eine kostenlose sogenannte ökosystemare Dienstleistung für die Land- und Forstwirtschaft. Verschwindet diese Dienstleistung, nimmt der Schadfraß an Pflanzen zu."
Es wird also an der Politik sein, zu entscheiden, ob man weiter Windkraftanlagen baut, und andererseits mehr Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzt, damit man der Schädlinge Herr wird.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.06.2022, 15:45 Uhr