Waldbrandforscher im Interview - Glasscherben als Ursache von Waldbränden "wirklich keine realistische Option"

Hunderte Hektar Wald wurden in Treuenbrietzen und Beelitz (Potsdam-Mittelmark) durch zwei Feuer zerstört. Brandstiftung ist schnell der erste Gedanke - zu Recht? Und warum sind die Brandenburger Wälder so anfällig? Ein Experte gibt Antworten.
rbb|24: Herr Ibisch, der Meteorologe Jörg Kachelmann hat auf Twitter erklärt, dass der Waldbrand in Treuenbrietzen durch Brandstiftung verursacht worden sei. Was denken Sie?
Pierre Ibisch: Das ist zunächst einmal Polizeiarbeit. Wir wissen aber, dass der Wald munitionsbelastet ist und Kampfmittel sich selbst entzünden können. Allerdings bedarf es deutlich extremerer Bedingungen, als wir sie bei Ausbruch des Feuers hatten. Eine Selbstzündung erscheint mir somit nicht plausibel. Es war zwar trocken, aber die große Hitze kam ja viel später. Insofern kann ich mir vorstellen, dass Brandstiftung der Auslöser war.
Können denn hohe Temperaturen Munition entfachen?
An heißen Tagen kann die Temperatur der unbedeckten Bodenoberfläche schon auf 50 oder 60 Grad steigen. Wenn die Luft sehr trocken ist und die Munition sich an der Oberfläche befindet, halte ich das für möglich, aber das war am vergangenen Freitag, als der Brand begann, nicht der Fall. Bei Waldbränden wird schnell von mutmaßlicher Brandstiftung gesprochen – ob durch fahrlässiges Handeln oder bewusstes Feuerlegen.
Kommen wirklich so wenige andere Faktoren infrage?
Unter natürlichen Bedingungen: ja. In unseren Breitengraden kommt eigentlich nur Blitzschlag infrage – den es übrigens am Freitag nicht gab. Dann ist man schon beim Faktor Mensch, der Funken freisetzt, eine Zigarette in den Wald wirft oder sogar bewusst Feuer legt. Hinzukommt der Beitrag der Klimakrise. Je häufiger Temperaturrekorde erreicht werden, umso trockener ist der Boden generell und die Gefahr von Waldbränden erhöht sich.
Was ist mit den berühmten Glasscherben, die das Sonnenlicht bündeln und den Boden erhitzen sollen?
Studien haben gezeigt, dass das als Ursache auszuschließen ist. Glasscherben müssten schon wirklich sehr gescheit liegen, um ein Feuer auslösen zu können. Sie müssten sich etwa in einem bestimmten Winkel einen Meter über dem Boden befinden und so weiter. Das ist also wirklich keine realistische Option.
Der Brand hat Auswirkungen auf ihre Forschung, die sie seit 2018 in Treuenbrietzen durchführen. Was machen Sie konkret?
Das Projekt "Pyrophob" [pyrophob.de] ist das größte Vorhaben zur Waldbrandforschung in Deutschland. Wir untersuchen die Wirkungen unterschiedlicher Maßnahmen auf die Regeneration des Ökosystems. Dazu gehört etwa das Belassen abgestorbener Bäume oder das Pflanzen verschiedener Baumarten. Im Projektgebiet haben wir auch Wetter- und Mikroklimastationen installiert, die etwa Auskunft über Temperaturen und Luftfeuchtigkeit geben. Durch unsere Arbeit hatten weniger gut brennbare Laubbäume bereits begonnen, sich zu entwickeln. Nun müssen wir fürchten, dass der Brand einen Teil unserer Arbeit, dazu gehören auch Messgeräte, zerstört hat. Wie groß der Schaden genau ist, wissen wir noch nicht.
Das Projekt wird vom Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium finanziert. Wurde das Geld auch genutzt, um Kampfmittel zu räumen?
Ja, das war allein aus Gründen der Arbeitssicherheit notwendig. 170.000 Euro wurden ausgegeben, um Flächen in Treuenbrietzen von rund 1.500 Kilogramm Kampfmittel zu räumen, darunter 450 Granaten und Zünder. Zudem wurden 3.700 Kilogramm Munitions-Metallschrott auf etwa 13,3 Hektar entfernt.
Wir hätten gerne mehr räumen lassen, aber die Munitionsbelastung ist auf einigen Flächen so groß, dass das bereitgestellte Budget nicht ausgereicht hätte. Das Sicherheitsrisiko wurde somit auch für uns zu groß, deshalb konnten einige Flächen bisher weder begangen noch forstlich bearbeitet werden. Das sind übrigens nun genau jene Flächen, auf denen es schon 2018 brannte und wo der Brand auch dieses Mal ausgebrochen ist.
Dabei wäre eine vollständige Räumung doch wünschenswert. Wenn auf munitionsbelastetem Boden Feuer ausbricht, wie jetzt in Treuenbrietzen, kann die Feuerwehr schlechter eingreifen. Ist es am Ende nur eine Geldfrage?
Die Räumung von Kampfmitteln ist mit enormen Kosten verbunden. Das lässt sich nicht kleinreden. Ob sie aber zu teuer ist, ist eine Frage, die die Politik entscheiden muss. Ich kann nur auf die Kosten hinweisen, die entstehen, wenn große munitionsbelastete Flächen erst einmal in Brand geraten. Zumindest aber sollte die Sondierung solcher Flächen systematisch vervollständigt werden und Daten über munitionsbelastete Stellen den lokalen Feuerwehren übergeben werden, bevor es brennt. Wir haben unsere Ergebnisse zur Munitionssondierung am Freitag der Feuerwehr übergeben, die Stadt hatte sie vorher. Bestimmte Wege waren gesichert.
Warum sind Wälder in Brandenburg so anfällig für Brände?
Nach wie vor werden Waldflächen im Land zu mehr als 70 Prozent von Nadelbäumen dominiert. Konkret geht das größte Risiko hierbei von den Kiefernforsten aus. Ohne sie gäbe es kein vergleichbares Waldbrandrisiko. Kiefern sind leicht brennbare Bäume, in denen sich Feuer sehr leicht und schnell ausbreitet. Außerdem sind die gefallenen Nadeln harzhaltig, sie zersetzen sich schlechter, das führt zu weniger Humusbildung im Boden, der wiederum wichtig ist um Wasser aufzusaugen. Allein deshalb brauchen wir unbedingt mehr Laubmischwälder.
Warum kultiviert man solche Wälder dann nicht einfach?
Wieder einmal spielt Geld eine Rolle. Kiefernbäume erzeugen gut nachgefragtes Holz von der gewünschten Qualität – aus Nadelbaumholz etwa werden Latten und Bretter hergestellt. In Brandenburg ist es der "Brotbaum" der Forstwirtschaft. Kiefernbäume zu fördern, hat für Waldbesitzer also vor allem wirtschaftliche Gründe.
Allerdings gibt es hier auch eine historische Komponente. Nach dem Zweiten Weltkrieg etwa wurde auf schnellwüchsige Kiefern gesetzt, weil sie relativ schnell und verlässlich in Reihe und Glied auf großen Flächen wuchsen.
Sie sprechen von Waldbesitzern. Wer sind die?
Der Wald in Treuenbrietzen gehörte der Stadt. Aus finanziellen Gründen wurde er verkauft und befindet sich seit kurzem in privater Hand. Generell lässt sich sagen, dass rund die Hälfte der Wälder in Brandenburg in privater Hand sind. Der Rest verteilt sich vor allem auf Landes- und kommunale Wälder. In Landeswäldern gibt es tendenziell ein stärkeres Umdenken, einzelne Förster sind sehr engagiert und zeigen Wege auf, wie man aus den Kiefernforsten herauskommt. Am vielerorts zählt meistens doch der wirtschaftliche Faktor, und so bleibt es bei den Nadelbaum-Plantagen.
Die Wirkung von Projekten wie "Pyrophob" ist auf viele Jahre ausgelegt. Wenn Brandstiftung meistens eine Rolle spielt, sollten nicht direktere Maßnahmen eingeleitet werden?
Welche sollen das sein? Es könnte theoretisch stärker überwacht werden, aber niemand will einen Wald, der voller Kameras ist. Deshalb ist die wichtigste Schraube an der gedreht werden kann, jene, die die Entzündbarkeit von Wäldern senkt. Dafür brauchen wir diversere Laubwälder. Wer sie entwickelt, muss belohnt werden. Außerdem muss das Neuanlegen von Nadelbaum-Reinkulturen verboten werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.06.2022, 11:30 Uhr