Unverständnis bei Impfwilligen - Warum Berlin nicht schon mit den Affenpocken-Impfungen begonnen hat

Sa 09.07.22 | 08:13 Uhr | Von Christopher Ferner
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Symbolbild: Impfausweis mit Schriftzug Affenpocken und Impfspritze. (Quelle: dpa/Christian Ohde)
Bild: dpa/Christian Ohde

Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Affenpocken-Virus steigt täglich. Berlin hat sich dabei zum Hotspot Deutschlands entwickelt. Doch wurde noch keine einzige Impfung verabreicht. Das Unverständnis ist groß. Von Christopher Ferner

Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hat angekündigt, in Bezug auf die Affenpocken-Impfungen aufs Gas treten zu wollen. "Wenn ich sehe, dass sich täglich 30 bis 50 Menschen neu infizieren, möchte ich da möglichst schnell handeln können", sagte die Grünen-Politikerin nach einer Senatssitzung. Das war am Dienstag letzter Woche. Stand Freitag, also mehr als eine Woche später, wurde in Berlin allerdings noch keine einzige der verfügbaren Affenpocken-Impfungen verabreicht.

Dass es mit den Immunisierungen noch nicht losgegangen ist, liegt nicht etwa daran, dass die Vakzine fehlen. In Berlin lagern derzeit 8.000 Dosen des Imvanex-Stoffes. Vielmehr konnte aufgrund bürokratischer Hindernisse noch niemand geimpft werden, wie der "Tagesspiegel" am Dienstag berichtete. Der Vertrag zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Gesundheitsverwaltung sei noch nicht unterschrieben worden.

Unverständnis über Verzögerung

Mittlerweile wurde dieser Vertrag laut einer Mitteilung des Senats vom Freitag unterzeichnet. In der kommenden Woche kann es dann mit den Impfungen losgehen. Immunisiert werden sollen Menschen mit einem erhöhten Infektionsrisiko. Dazu zählen unter anderem Männer, die Sex mit Männern haben. Auch Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf sollen prioritär geimpft werden.

In die Impfkampagne eingebunden werden laut einer Mitteilung des Senats für Gesundheit unter anderem mehrere HIV-Schwerpunktpraxen, die Spezialambulanzen der Charité, das Auguste-Viktoria-Krankenhaus und das St.-Joseph-Krankenhaus. Ebenso soll das Gesundheitsamt Mitte beteiligt werden. Eine Liste mit allen Impfstellen soll Anfang kommender Woche veröffentlicht werden.

Dass mit dem Impfen erst nächste Woche begonnen wird, stößt auf vielen Seiten auf Unverständnis: "In anderen Bundesländern wird das Vakzin bereits verabreicht. Berlin ist zwar Affenpocken-Hotspot, aber es wird immer noch nicht geimpft", sagt Jacques Kohl, Psychosozialer Leiter des "Checkpoint BLN". Der Checkpoint versteht sich als Anlaufstelle für jegliche Fragen der sexuellen Gesundheit für die queere Community.

Auch dort sollen sich Menschen bald immunisieren lassen können. Dass der Checkpoint in die Impfkampagne mit einbezogen wird, weiß man dort allerdings erst seit Dienstag. Die nötige Infrastruktur, um impfen zu können, musste also kurzfristig beschafft werden. Wenn es dann losgeht, sind im Checkpoint zuerst besonders vulnerable Personengruppen wie Sexarbeiter:innen und Menschen, die HIV-Medikamente beziehen, an der Reihe.

Zum Impfen in die USA

Genügend Impfwillige gibt es allemal. So wie Christian D., der auf den Start der Immunisierungskampagne wartet. Der Berliner zeigt sich nicht nur verärgert über die Verzögerungen, sondern auch über die mangelhafte Aufklärung: "Es müssen klare Informationen herausgegeben werden, wer und wo geimpft werden soll und ob die Krankenkassen für die Kosten aufkommen", sagt er. Mittlerweile hat die Gesundheitsverwaltung mitgeteilt, dass die Impfung kostenlos ist.

Zudem falle es ihm schwer, außerhalb seines Freund:innenkreises über das Thema Affenpocken zu sprechen, da es öffentlich als schwule Sexkrankheit abgetan würde, sagt D. weiter.

Miguel Y. arbeitet im Berliner Nachtleben und möchte sich ebenfalls so schnell wie möglich impfen lassen. "Tausende Impfdosen werden derzeit gelagert, aber können nicht verabreicht werden, aufgrund von unentschuldbaren bürokratischen Hürden", sagt er. Auch er ist nach eigener Aussage der Meinung, dass die Informationen zur Impfkampagne nicht ausreichend sind.

Tom (Name von der Redaktion geändert), auch aus Berlin, spielte aufgrund des verzögerten Impfstarts sogar mit dem Gedanken, in die USA zu reisen, um sich dort immunisieren zu lassen. Als US-amerikanischer Staatsbürger hätte er sich in den Vereinigten Staaten kostenlos impfen lassen können.

Auch er bemängelt die unzureichende Aufklärung: "Ich finde es krass, wie schwierig es ist, an aktuelle Fallzahlen zu kommen und sich über das weitere Vorgehen beim Impfen zu informieren", sagt er.

"Hier zählt jeder Tag"

Insgesamt sind 1.490 Fälle (Stand: 8. Juli) von Affenpocken in Deutschland an das Robert-Koch-Institut (RKI) übermittelt worden. Laut dem hiesigen Landesamt für Gesundheit und Soziales wurden mit 905 Fällen (Stand: 7. Juli) der Großteil aus Berlin gemeldet.

Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen Aids-Hilfe, sagt, er habe kein Verständnis dafür, dass sich der Impfstart weiter verzögere. "Hier zählt jeder Tag. Die Impfung ist das effektivste Mittel gegen die weitere Ausbreitung der Affenpocken", sagt er. Deshalb brauche es dringend schnelle und pragmatische Lösungen. "Der Impfstoff ist bereits seit einiger Zeit verfügbar. Es geht hier immerhin darum, Menschen vor einer ernst zu nehmenden Infektion mit teils sehr schmerzhaften Folgen zu bewahren."

Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass im Gesundheitssektor schnell agiert werden könne – wenn der nötige Wille da sei, sagt Wicht weiter. "Da müssen sich die Verantwortlichen die Frage gefallen lassen, ob sie den Schutz der Betroffenen, also vor allem von Männern, die Sex mit Männern haben, wirklich ernst nehmen."

Mittlerweile haben sich laut Informationen der WHO in Europa fast 6.000 Menschen mit Affenpocken infiziert. Der überwiegende Großteil sei mit 99,6 Prozent männlich. Laut RKI finden viele der Übertragungen im Rahmen von sexuellen Aktivitäten bei Männern, die Sex mit Männern haben, statt.

Sendung: Abendschau, 08.07.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Christopher Ferner

10 Kommentare

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  1. 9.

    Am wichtigsten ist doch, dass alles kostenlos ist. Ich muss nichts bezahlen, keiner muss was bezahlen. Nur Gewinner. Ich bin Risikogruppe, aber nehme auch Leute mit zum Arzt zum impfen, die nicht Risikogruppe sind, weil es kostenlos ist. Besser die schützen sich auch. Und wenn ich geimpft bin, dann dann ich auch mit gutem Gewissen weiter machen wie bisher, aktuell hat man ja doch etwas Angst und das trübt manchmal den Spaß. Egal, ich hab ja ein Anrecht auf diese Impfung sagt mein Arzt.

  2. 8.

    Was soll so ein Bericht? Gestern wurde bekannt, dass die Impfungen nun beginnen. Und heute bringen sie eine Schlagzeile aus dem Tagesspiegel von Tagen davor. Hauptsache meckern oder was soll das? Seriös geht anders.

  3. 7.

    Hab ich auch nicht behauptet, aber auf dem Link zum Tagesspiegel lese ich heraus, dass es nicht an der Gesundheitsverwaltung liegt, sondern an der KVB. Zitat TSp: "Der Vertrag regelt die Durchführung der Impfungen in Praxen und vor allem auch die Versicherung für die dortigen Ärzt:innen."

  4. 6.

    Und nun soll ein "Unrecht"(Untreue) durch ein anderes "Unrecht" (Verzögerung der Gesundheitsvorsorge) ausgehebelt werden?
    Das kann's doch wohl nicht sein!

  5. 5.

    Infektionsrate EU: 0,0009%. Der Coronaterror bringt es wohl nicht mehr, jetzt muss eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden....

  6. 4.

    Absolut nachvollziehbar, dass diesmal genau draufgeschaut wird, wer einen Vertrag unterschreibt. Schließlich wird von der Staatsanwaltschaft immer noch gegen (zwei) Vorstände der KVB wegen Betrug/Untreue ermittelt. Und die KVB wird sicherstellen wollen, dass auch diesmal ein erheblicher Betrag der Steuergelder in ihre Kasse fließt.
    Und bei ner 7d-Inzidenz von 7 ggü. 511 bei Coron kann es ja nun wirklich nicht soo dringend sein. ;-)
    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/06/kassenaerztliche-vereinigung-berlin-staatsanwaltschaft-verdacht-untreue.html

  7. 3.

    Hoffentlich werden Sie dann auch am 19.07. geimpft und nicht nur "informiert".
    Es dauert wieder alles viel zu lange ... einfach nur Unverständnis, aber es steht ja "nur" die Gesundheit auf dem Spiel ...

  8. 2.

    ....Unverständnis über Zeitverzug ??? ...man ist doch schließlich in Berlin, und dort wird immer erst reagiert wenn es gar nicht mehr anders geht....bürokratische Hindernisse nennt der Senat das dann... ein erneutes Bespiel dieser äußerst effizienten und leistungsfähigen Berliner Verwaltung

  9. 1.

    Mein Hausarzt hat eine HIV Schwerpunkt Praxis. Am 19.07. habe ich einen Termin bei ihm besucht um zu erfahren ob ich noch als 71 jähriger überhaupt auf Pocken geimpft werden sollte. Denn immerhin wurde ich noch nie darauf geimpft.

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