rbb-Doku "Boom im Speckgürtel" - "Man hätte viel früher kaufen müssen"

Berlin dehnt sich immer weiter aus. Wohnraum ist knapp und teuer. Immer mehr Menschen zieht es ins Umland. Der Speckgürtel wächst – mit Folgen für Infrastruktur, Immobilienpreise und Natur. Von Ulrich Bentele
"Goldene Zeiten für Immobilienmakler?" Barbara Schrobback runzelt die Stirn. "Könnte man meinen", sagt sie. Dann kommt das Aber: "Die Nachfrage ist zwar riesig, aber das das Angebot sehr schmal." Man müsse auch als Makler erstmal an geeignete Objekte rankommen, um Aufträge zu bekommen. Aber es stimme schon: Der Boom, den ihre Region zuletzt erlebt habe, suche seinesgleichen.
Schrobback ist Immobilienmaklerin in Grünheide, die Gemeinde südöstlich Berlins, die kaum noch ohne den Zusatz "Tesla" vorkommt. Schrobback ist hier aufgewachsen, kennt die Menschen und die Mentalität. Und sie schaut durchaus mit Sorge auf die Entwicklung. "2017 in etwa ging es los, dass man fast jedes Jahr sagen konnte: 30-40 Prozent Preissteigerung im Immobilienbereich."
Dann folgt ein Satz, den man - zumindest dem Klischee nach - von Immobilienmaklern eher selten hört: "Wenn sich alles nur noch um den Preis und das Maximum dreht, dann finde ich das persönlich unangenehm." Zumal es für junge Familien aus der Region immer schwieriger werde, in der Heimat ein eigenes Zuhause finanzieren zu können.
Die Gegend um Grünheide ist vielleicht das herausstechendste Beispiel für den Aufschwung, den das Berliner Umland derzeit erlebt. Rund um Berlin steigen die Preise seit Jahren. Die Corona-Pandemie mitsamt Lockdown-Erfahrungen in kleinen Berliner Stadtwohnungen ohne Balkon hat die Sehnsucht nach Stadtflucht ebenso steigen lassen wie die Aussicht auf weniger Pendeln durch mehr Homeoffice.
Zuzug aus Berlin
Die Bevölkerung im Berliner Umland hat seit 1990 um gut 50 Prozent zugenommen. In der Metropolregion leben rund 4,7 Mio. Menschen, davon gut 1 Million rund um Berlin. Künftig werden im Speckgürtel, der nur gut 10 Prozent der Landesfläche einnimmt, 42 Prozent der Brandenburgerinnen und Brandenburger leben. Und Brandenburgs Einwohnerzahl steigt weiter.
Vor allem bei Berlinerinnen und Berlinern ist das Nachbarland beliebt. 2021 gewann Brandenburg 18.479 neue Einwohner aus der Hauptstadt hinzu, so aktuelle Zahlen vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg.

Zehn Kilometer bis zum nächsten Supermarkt
Familie Kappenstein gehört bald zu diesen Neu-Brandenburgern. Sie haben ihre Entscheidung, den Wedding zu verlassen, schon vor der Pandemie getroffen. Clara und Tobias haben zwei kleine Kinder, und die sollen mehr Bewegungsfreiheit haben, Natur und einen eigenen Garten. Das gebaute Haus in Schönwalde-Glien nordwestlich Berlins ist fast fertig. Der Umzug steht kurz bevor. Oma Kirsten hat die Einliegerwohnung bereits bezogen, sie hat dafür ihre Wohnung in Spandau aufgegeben.
"Ich glaube, dass das hier unserer Idealvorstellung am nächsten kommt. Ein kleines neues Baugebiet. Man ist nicht die einzige Bulette, die her zieht. Es gibt keinen Supermarkt, aber der ist nur zehn Kilometer entfernt“, sagt Clara Kappenstein. Sie ist freie Mediengestalterin, hofft auf Aufträge im Homeoffice. Tobias ist IT-Experte, er wird künftig nach Berlin-Tegel pendeln.
Anfangs hofften die Kappensteins, einen bezahlbaren Bauplatz etwas dichter an Berlin zu finden, aber auch so sind sie zufrieden: "Soweit raus wie nötig, aber so nah an Berlin wie irgendwie möglich", sagt Clara Kappenstein.
Eine gute Handvoll Häuser wird gerade in direkter Umgebung gebaut. Die neuen Nachbarn sind auch allesamt Berliner. "Wir sind definitiv zu spät. Man hätte viel früher kaufen müssen", heißt es da angesichts der rasant wachsenden Preise. Andererseits, auch da sind sich alle einig: Die Preise werden im Speckgürtel auch künftig weiter steigen, trotz höherer Bauzinsen und stark steigender Baukosten.
Umland wird teurer, bleibt aber preiswerter als Berlin
Und Immobilienkäufer kommen im Umland noch immer günstiger weg als in Berlin. Für rund 3.500 Euro pro Quadratmeter stand hier vergangenes Jahr im Schnitt eine Immobilie zum Verkauf und damit 26 Prozent günstiger als in der Hauptstadt, so eine Marktstudie von McMakler aus 2021. Auch wer eine Wohnung im Umland mietet, kann dabei bis zu 25 Prozent gegenüber einer Stadtwohnung sparen, so eine Untersuchung von Immowelt – wenn eine Anfahrt von bis zu 60 Minuten in Kauf genommen wird.
Das stetig wachsende Umland ist auch eine Herausforderung für die Politik. Zuletzt haben die Länder Berlin und Brandenburg auf einem gemeinsamen Bahngipfel den Ausbau der Schieneninfrastruktur auf den Weg gebracht, mit geplanten Investitionen von 8,5 Milliarden Euro.

Im Fokus steht auch der Wohnungsbau, der Bedarf wird künftig weiter steigen. Nicht nur in Berlin ist der Druck auf den Wohnungsmarkt gewaltig, auch Potsdam verzeichnet stetigen Zuzug. Dort entsteht im Norden der Stadt derzeit ein komplett neues Wohnquartier. In Krampnitz sollen bis 2038 auf einem ehemaligen Kasernengelände auf 140 Hektar 10.000 Menschen angesiedelt werden. Die Ambitionen sind groß: Nachhaltig will man bauen, sozial ausgewogen - und auch die Verkehrswende soll bei der Planung eine Rolle spielen: In Krampnitz etwa stehen künftig nur 0,5 PKW-Stellplätze pro Wohneinheit zur Verfügung. Autos sind hier künftig eher nicht gern gesehen.
Dafür wird die Infrastruktur ausgebaut: eine Tramverbindung nach Potsdam und eine Fahrradschnellstraße. Der neue Radweg allerdings führt nach jetziger Planung dann durch ein Landschaftsschutzgebiet. Axel Kruschat, Geschäftsführer des BUND Brandenburg, sieht das kritisch: "Der Radweg ist insofern problematisch, da er durch geschützte Gebiete führt und um dies zu vermeiden, müssen alternative Wegführungen gesucht werden." Die Naturschützer fürchten um die sensible Natur rund um das geplante Wohnquartier. Ein Zielkonflikt, der auch an anderen Orten rund um Berlin bemerkbar ist: Menschen müssen wohnen, aber wo gebaut wird, scheinen Eingriffe in die Natur unumgänglich.
Sehnsucht nach einem "Dritten Ort"
Auch viele Menschen, die sich von Berlin nicht ganz trennen mögen, linsen verstärkt ins Umland. Diese Klientel hat der Unternehmer Benjamin Rohé ins Auge gefasst. Gemeinsam mit einem Geschäftspartner hat er einen Landgasthof samt Pferdegestüt in Werder bei Jüterbog gekauft. Im "Project June" soll ein Co-Working-Space entstehen, gerade wird liebevoll und nachhaltig renoviert.
"Wir wollen hier einen Ort für Begegnung, zum Arbeiten, für gutes Essen, für ein bisschen mehr Work-Life-Balance. Dass die Leute eben auch eine Möglichkeit haben, nicht nur zu Hause oder im Büro zu sein, sondern auch an einem dritten Ort", sagt Rohé. Eine Antenne auf dem Dach liefert schnelles Internet. 60 Kilometer von Berlin entfernt sollen hier vor allem Kreative und Freiberufler angesprochen werden. Der Speckgürtel dehnt sich aus: früher hieß das JWD - "Janz weit draußen" - heute spricht man von aufstrebenden Orten der "Zweiten Reihe". Über ein Mitgliedermodell will man sich finanzieren, die Kosten liegen zwischen 150 und knapp 700 Euro pro Monat. Für Leute, die nur ab und zu zum Arbeiten kommen, ebenso, wie für Menschen, die länger bleiben und auch Übernachten wollen.
"Immer wieder kommt die Frage auf: Stadt oder Land? Unsere Antwort ist: Stadt und Land muss machbar sein", sagt Rohé und lacht.
Sendung: rbb Fernsehen, 05. Juli 2022, 20:15 Uhr