Trockenheit macht Vögeln zu schaffen - Europäisches Storchendorf Rühstädt hat drastische Nachwuchssorgen

Die Zahl der Jungstörche rund um Rühstädt in der Prignitz, das storchenreichste Dorf Deutschlands, ist in diesem Sommer besonders gering. Durch die immer trockener werdenden Böden fehlt es den Tieren an wichtiger Nahrung. Von Wolfgang Albus
Rühstädt in der Prignitz trägt den Namen "Europäisches Storchendorf". Der Grund dafür, dass das Dorf bundesweit die größte Storchpopulation besitzt, sind die nahen Elbauen. Für Störche eigentlich ein Paradies, um Nahrung zu finden. Die trockenen Wiesen machen es den Vögeln in diesem Sommer allerdings besonders schwer, Nahrung zu finden.
Und so schrumpft das Dorf.

Immer weniger Nachwuchs im Horst
Eins, Zwei oder Drei? Das ist die bange Frage, die sich das Team des Naturschutzbunds (Nabu) zurzeit stellt, das in Rühstädt extra wegen der vielen Störche ein Besucherzentrum eingerichtet hat, wenn sie vor einem Horst stehen. Wie viele Jungstörche werden sie vorfinden, wenn sie mit einer mobilen Hebebühne zu den Jungtieren aufsteigen?
Das geschieht immer Anfang des Sommers. Kurz bevor die Störche flügge sind, werden sie beringt. Die Kennzeichnung ist international einheitlich und lässt später Rückschlüsse über die Flugrouten der Vögel zu. Auch lassen sich verendete Tiere zuordnen.
Die Beringung bietet die Gelegenheit für eine erste Schätzung über die Anzahl der Tiere. Der Trend zeigt dramatisch nach unten. Im Jahr 1999 zählten die Naturschützer 85 Jungvögel von 37 Storchenpaaren. Im Vorjahr waren es nur noch 37 Jungvögel von 26 Storchenpaaren. Diesmal sind es 27 Paare und bislang nur noch 18 Jungvögel. Wie viele von denen überleben, ist ungewiss. In den Prignitz-Dörfern rundherum ist die Lage kaum besser. Dass die Experten drei Störche im Horst vorfinden, ist bei der diesjährigen Beringung die große Ausnahme.
Folge des Klimawandels und der Landnutzung
In Zeiten des Hungers werfen Störche den nicht überlebensfähigen Nachwuchs aus dem Nest. Das hat den Tieren einen schlechten Ruf eingetragen. Zu Unrecht, meinen die Experten. Sie beobachten bei den Storchen ein liebevolles Familienleben.
Jan Dierks, der Leiter des Besucherzentrums, sieht den Rückgang beim Storchennachwuchs nicht nur als eine Folge der durch den Klimawandel bedingten Trockenheit. Er sieht darin auch eine Folge der Landnutzung, die das Nahrungsangebot der Störche immer weiter verkleinert. Er wünscht sich von der Landwirtschaft ein Umdenken. Es müsse die Bewässerung mit Grundwasser reduziert werden und auch der wasserintensive Maisanbau. Auch die Entwässerung der Boden im Frühjahr hält er für sehr problematisch. Sie beginne immer früher, damit Landwirte mit ihren schweren Maschinen auf die Felder kommen.
Regenwürmer fehlen
Im trockenen Boden fehlen vor allem Regenwürmer, eine Lieblingsspeise der Störche. Ein ausgewachsener Storch benötigt etwa 16 Mäuse oder 500 Regenwürmer am Tag, um satt zu werden.
Selbst wenn Regen fällt in Brandenburg, dann sei es häufig ein Riesenschauer, der abfließt ohne den Boden zu durchfeuchten. Ein zusätzliches Problem sieht Dierks in den extrem niedrigen Wasserständen der Elbe. Der Fluss bringe vor allem nach dem Winter zu wenig Wasser. Regelmäßige moderate Hochwasser helfen der Landschaft, bleiben aber immer häufiger aus.

Bester Ort für Storchenfreunde
Trotz aller Sorgen ist Rühstädt für Vogelliebhaber nach wie vor eine Reise wert. Der Ort gilt als einer der besten Orte Europas, um die großen Vögel zu beobachten. Wenn die Tiere mit ihrer Flügelspannweite von fast zwei Metern über die Elbwiesen kreisen oder auf gemähten Wiesen den Traktoren hinterherlaufen, dann sind sie weithin sichtbar und die Attraktion der Region.
Sendung: Antenne Brandenburg, 03.07.2022, 14:00 Uhr